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Das Dreiecks-Melodram The Room, geschrieben, inszeniert, finanziert und in der Hauptrolle gespielt von Tommy Wiseau, ist ein Paradebeispiel für das Label „So schlecht, dass es schon wieder gut ist“.

The Disaster Artist (2017)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

"The Greatest Bad Movie Ever Made"

Das Dreiecks-Melodram The Room, geschrieben, inszeniert, finanziert und in der Hauptrolle gespielt von Tommy Wiseau, ist ein Paradebeispiel für das Label „So schlecht, dass es schon wieder gut ist“: Der 2003 erstmals gezeigte Film ist kein kühl kalkulierter Trash-Hit wie etwa Sharknado, sondern ein mit heiligem Ernst geschaffenes Werk, das allzu gern Citizen Kane wäre, in seiner hohen Ambition aber ganz bemerkenswert scheitert. Durch Mundpropaganda entwickelte sich der anfängliche Flop in Midnight-Movie-Vorstellungen zu einem Phänomen, das an den Mitmach-Kult um The Rocky Horror Picture Show erinnert.

In seiner neuen Regiearbeit The Disaster Artist widmet sich der unermüdliche Tausendsassa James Franco der Entstehungsgeschichte von The Room; das Skript von Scott Neustadter und Michael H. Weber basiert auf der literarischen Schilderung The Disaster Artist: My Life Inside The Room, the Greatest Bad Movie Ever Made, die Wiseaus bester Freund und Co-Star Greg Sestero gemeinsam mit Tom Bissell verfasste. Drehbuch und Regie vermeiden es erfreulicherweise, sich ausschließlich über Wiseau und dessen Mangel an Talent vor und hinter der Kamera lustig zu machen oder ihn – als gegenteiliges Extrem – gänzlich unkritisch zum Underdog-Helden zu stilisieren. Die Feinfühligkeit und den Charme von Tim Burtons Biopic Ed Wood (1994) über den titelgebenden, vermeintlich „schlechtesten Regisseur aller Zeiten“ vermag The Disaster Artist nur selten zu erreichen; dennoch ist Franco eine äußerst unterhaltsame und in ihrer Ambivalenz überaus interessante Satire gelungen, in welcher er zudem seine eindrücklichste Schauspiel-Leistung seit Spring Breakers (2012) zeigt.

Die Handlung setzt 1998 in San Francisco ein. Der 19-jährige Greg (James‘ jüngerer Bruder Dave Franco) träumt davon, Schauspieler zu werden, seit er Macaulay Culkin in Kevin – Allein zu Haus gesehen hat. Das Problem ist, dass ihm das Selbstvertrauen fehlt und er vor Publikum „like a wounded puppy“ wirkt, wie ihm seine Schauspiellehrerin (Melanie Griffith) nach der Darbietung einer Szene aus Warten auf Godot attestiert. Kurz darauf betritt Tommy (James Franco) die Bühne: ein Mann in undefinierbarem Alter und mit ebenso undefinierbarem, osteuropäisch anmutendem Akzent, der mit seiner langen, schwarzen Mähne, seiner Kombination aus roter Samtbluse und dunklem Napoleon-Jackett sowie einem wilden Gürtel-Mix an einen Fürsten der Finsternis gemahnt und vor der irritierten Schauspielklasse eine ziemlich eigenwillige Stanley-Kowalski-Interpretation präsentiert, die eher wie ein schlimmer Schmerzanfall daherkommt. Greg ist fasziniert von Tommys Furchtlosigkeit – und zögert zum Schrecken seiner Mutter (herrlich: Megan Mullally) nicht lange, als Tommy vorschlägt, zusammen nach Los Angeles zu ziehen, wo er ein Apartment hat. Dort findet Greg zwar rasch eine Agentin (Sharon Stone) und eine Freundin (Alison Brie), aber die Rollenangebote bleiben aus. Für Tommy sind die Erlebnisse in Hollywood noch frustrierender – weshalb er beschließt, einfach seinen eigenen Film zu machen. Nach dem Verfassen des Skripts und der Anstellung von Cast und Crew (unter anderen verkörpert von Seth Rogen, Jacki Weaver, Josh Hutcherson und Zac Efron) beginnt im Sommer 2002 der Dreh, welcher ein Budget von sechs Millionen US-Dollar verschlingt und deutlich länger als ursprünglich vorgesehen dauert. Die Freundschaft zwischen Tommy und Greg wird dabei auf eine harte Probe gestellt, da Tommys Exzentrik immer extremere Ausmaße annimmt.

Der Part des wunderlichen Narzissten Tommy bietet James Franco selbstverständlich die Gelegenheit zum Overacting – und diese wird von Franco ebenso selbstverständlich auch weidlich genutzt, etwa bei einem Tanz zu dem Eurodance-Song Rhythm of the Night oder bei den zahlreichen Capricen von Tommy am Set von The Room. Zur Karikatur verkommt Tommy trotz seiner bizarren äußeren Erscheinung und trotz seines ausgeprägten Akzents indes nicht. Franco kann in der Interaktion mit seinem Bruder Dave durchaus glaubhaft vermitteln, was Greg an Tommy so beeindruckend findet – wenn Tommy ihn zum Beispiel dazu bringt, in einem Restaurant gemeinsam einen Dialog zu rezitieren, um die Angst zu überwinden. Er wolle keine Karriere, sondern seinen eigenen Planeten, sagt Tommy an einer Stelle – und Franco gestaltet diesen Planeten mit Sorgfalt, ohne dem Protagonisten dessen Mysterium zu nehmen: Diversen Quellen nach wurde Tommy 1955 in Polen geboren, er selbst gibt sich allerdings als wesentlich jünger aus und behauptet, aus New Orleans zu stammen.

The Disaster Artist geht diesem Hintergrund (sowie der Frage, woher Tommys beträchtliches Vermögen kommt) nicht in Biopic-Manier nach; vielmehr befasst er sich mit der Diskrepanz zwischen Tommys Selbstbild und der Außenwirkung des überambitionierten Individualisten. Darin entdeckt der Film nicht nur Komik, sondern auch Tragik – und verbirgt überdies nicht, dass die Cast- und Crew-Mitglieder (insbesondere die von Ari Graynor verkörperte Juliette Danielle, die in The Room als untreue Verlobte der Hauptfigur auftritt) eine oftmals unangenehme, strapaziöse Zeit erlebten, weil sich Tommy beim Umgang mit ihnen an berüchtigt-fiesen Regisseuren wie Stanley Kubrick oder Alfred Hitchcock orientierte. Die seltsame Beziehung zwischen Tommy und Greg – etwa Tommys Eifersucht auf Gregs Freundin Amber – hätte das Drehbuch noch tiefer erforschen können; inszenatorisch hätte Franco wiederum noch etwas experimentierfreudiger sein dürfen. Insgesamt überzeugt The Disaster Artist jedoch als hingebungsvoll gespielter Blick hinter absurd-chaotische Kulissen sowie als Geschichte, die im Scheitern einen Triumph erkennt.

The Disaster Artist (2017)

Das Dreiecks-Melodram „The Room“, geschrieben, inszeniert, finanziert und in der Hauptrolle gespielt von Tommy Wiseau, ist ein Paradebeispiel für das Label „So schlecht, dass es schon wieder gut ist“: Der 2003 erstmals gezeigte Film ist kein kühl kalkulierter Trash-Hit wie etwa „Sharknado“, sondern ein mit heiligem Ernst geschaffenes Werk, das allzu gern „Citizen Kane“ wäre, in seiner hohen Ambition aber ganz bemerkenswert scheitert.

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