Tehilim (Psalmen)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Vom alltäglichen Umgang mit dem Verlust

„Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt, nicht auf dem Weg der Sünder geht, nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern Freude hat an der Weisung des Herrn, über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht.“ Mit diesen Worten beginnt in der Bibel das Buch der Psalmen, eine Sammlung von 150 Gebeten. Das Buch der Psalmen im Alten Testament ist eine der zentralen Schriften des Judentums, die meisten dieser Verse werden König David zugeschrieben, und nicht allein deshalb sind sie bis heute ein wichtiger Wegweiser durch das alltägliche Leben vieler Juden –zumindest jener, die religiös sind. Auch in der christlichen Liturgie nehmen sie eine wichtige Stellung ein, viele Psalmen leben bis heute im katholischen, evangelischen, orthodoxen und anglikanischen Christentum weiter als Kirchenlieder und als Gebete.
Den Trost, den die Psalmen spenden, kann die Familie Frankel aus Jerusalem gut gebrauchen, als eines Tages Eli (Shmuel Vilojni), der Vater, nach einem Autounfall spurlos verschwindet. Zurück bleiben die Mutter Alma (Limor Goldstein) sowie die beiden Söhne David (Yonathan Alster) und der etwas größere Menachem (Michael Moshonov) sowie Elis Vater Shmuel (Ilan Dar) und dessen zweiter Sohn Aharon (Yohav Hayit). Das unerklärliche Verschwinden des Vaters reißt eine Lücke in den Familienverbund, es bleibt eine Leerstelle zurück, die nicht gefüllt werden kann. Jeder der Betroffenen muss nun seinen eigenen Weg finden, mit dem Verschwinden und der daraus resultierenden Leere umzugehen. Anhand der unterschiedlichen Wege des Trauerns oder der Unfähigkeit dazu zeigen sich im ehemals festen Familienverbund all die Brüche und Abgründe, zwischen denen sich das Land bewegt. Während die Älteren schweigen oder Zuflucht in religiösen Ritualen suchen, sind es die beiden Söhne, die einen eigenen, eher pragmatischen Weg der Trauer suchen. Doch wie trauert man um jemanden, von dem man nicht weiß, was mit ihm geschehen ist?

Häufig wurde Raphaël Nadjaris neuer Film – insgesamt ist es sein fünfter Langfilm –, der auch im Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes 2007 zu sehen war, von einigen Kritikern mit Michelangelo Antonionis Meisterstück L’Avventura (1960) verglichen, denn hier wie dort geht es um das rätselhafte Verschwinden eines Menschen und was im Anschluss daran mit den Menschen passiert. Und das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen den beiden Filmen: Wie der italienische Altmeister so bevorzugt auch Nadjari eher die stille, beinahe wissenschaftlich anmutende Beobachtung, das behutsame, intime Begleiten seiner Figuren mit der Handkamera, lässt sie treiben durch eine Geschichte, die kaum dramaturgisch akzentuierte Höhepunkte setzt, sondern eher dahinplätschert wie ein zähflüssiger Tag, der einfach nicht vergehen mag. Dies macht es dem durchschnittlichen Zuschauer nicht gerade einfach, sich auf den stillen Film einzulassen, der möglicherweise gar nicht wörtlich genommen werden will, sondern als Parabel zu verstehen ist. Sicher ist hier nur eines: Die Antworten auf die vielen Fragen, die der Film – nicht nur inhaltlich – aufwirft, liegt in jedem von uns selbst. Und das macht aus einem oberflächlich betrachtet zähen und handlungsarmen Film dann doch eine spannende Angelegenheit – sofern man bereit und offen ist für andere Erzählweisen.

Tehilim (Psalmen)

„Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt, nicht auf dem Weg der Sünder geht, nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern Freude hat an der Weisung des Herrn, über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht.“
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