Talea

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Mutter-Tochter-Gefüge

Der Figur der Mutter begegnet das zeitgenössische Kino zuweilen mit großer Skepsis, wie zuletzt auf sehr intensive Art und Weise in John Wells‘ Im August in Osage County. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, zumindest jedenfalls nicht ungewöhnlich, dass auch Katharina Mückstein in ihrem Coming of Age Drama Talea ein schwieriges Mutter-Tochter-Verhältnis beschreibt.
Im Zentrum steht in diesem Fall jedoch nicht Mutter Eva (Nina Proll), sondern deren Tochter Jasmin (Sophie Stockinger). Wegen Evas langjähriger Haftstrafe steht das Mädchen mit 15 Jahren ihrer leiblichen Mutter erstmals bewusst leibhaftig gegenüber. Doch Eva erwidert die Sehnsucht ihrer Tochter nach einer gegenseitigen Annäherung zunächst nicht. In ihrem Gesicht spiegelt sich die Scham einer Frau, die ihr Kind unfreiwillig in fremde Hände geben musste. Nina Proll gelingt eine nuancierte Darstellung zwischen Verbitterung, Scham und tiefer Liebe, die trotz ihrer äußeren Gefühlskälte authentische Emotionen vermittelt. Ohne dies auf der Dialogebene zu transportieren, versteht der Zuschauer, dass Eva keine schlechte Mutter, sondern ein gezeichneter Mensch ist, der sich nach vielen Jahren der Isolation plötzlich mit einer völlig neuen Art der Beziehung konfrontiert sieht. Hier gibt es kein Gut und Böse, sondern zwei Frauen unterschiedlichen Alters, die aufgrund ihrer jeweiligen Situation Empathie verdient haben.

Denn auch Jasmin hat es nicht leicht. Ohne Selbstvertrauen und gefühlt abseits des gesellschaftlich vorgeschriebenen Schönheitsideals, gelingt es ihr nicht, sich in das soziale Gefüge ihrer Altersgruppe einzupassen. Auch mit der Tochter ihrer Adoptiveltern kommt es immer wieder zu Streitigkeiten, schließlich sogar zu Handgreiflichkeiten, so dass Jasmin beschließt, ihre Ziehfamilie zu verlassen und zu ihrer leiblichen Mutter zu gehen. Unter dem Vorwand, ihre Eltern würden den Kontakt der beiden befürworten, überredet Jasmin Eva zu einem gemeinsamen Wochenendtrip aufs Land.

Bis zu diesem Punkt erzählt Katharina Mückstein ihre Geschichte überaus unaufgeregt, vielleicht gar etwas zu ruhig. Die Farben sind blass, das Tempo gemächlich. Für den Tracking Shot einer Fahrradtour Jasmins nimmt sich die Regisseurin auffallend viel Zeit, lässt das Mädchen lange durchs romantische Abendlicht radeln. Doch es sind gerade diese intimen Momente, in denen Talea große Kraft entwickelt. Je stärker sich der Film auf seine jugendliche Hauptfigur konzentriert, desto größer wird die Sogwirkung dieser zurückhaltenden Inszenierung. Auch die Spannung zwischen Mutter und Tochter weiß Mückstein ergreifend einzufangen. Herzzerbrechend ist die Szene ihrer ersten gemeinsamen Nacht, in der Eva zögerlich nach Jasmins Hand greift. Wie zwei frisch Verliebte müssen auch sie sich langsam an eine körperliche und emotionale Nähe herantasten, sich darauf einigen, welche Rollen sie füreinander einnehmen wollen.

An eben dieser Stelle begeht Katharina Mückstein jedoch einen folgenschweren Fehler. Sie bricht das komplexe und hochinteressante Mutter-Tochter-Gefüge auf, um eine dritte, männliche Figur einzuführen. Dass der attraktive Herbergswirt Eva den Kopf verdrehen und einen Keil zwischen Mutter und Tochter treiben wird ist bedauerlicherweise vorherzusehen. Eben noch hat uns Mückstein damit begeistert, wie sie Jasmin beim Tanzen in einer Diskothek zeigt, erstmalig mit sich, ihrem Körper und ihrer Identität völlig im Reinen – die vielleicht größte Szene dieses Films – dann bricht die Regisseurin diese Intimität brachial durch einen Schnitt auf das turtelnde Erwachsenenpärchen. Unsere Enttäuschung über die klischeehafte Dramatisierung der Ereignisse spiegelt sich in Jasmins erschüttertem Gesicht. Kaum ins Gleichgewicht gefunden, beginnt das junge Mädchen wieder zu straucheln.

Denn Talea ist im Grunde eine Coming-of-age-Geschichte. Hauptfigur Jasmin ist auf der Suche nach ihrer Identität. Mit dem mädchenhaften Verhalten ihrer Adoptivschwester und deren Freundinnen weiß sie wenig anzufangen. Während jene sich für eine Party aufhübschen, möchte Jasmin lieber in Ruhe ein Buch lesen. Oder ist es das fehlende Selbstbewusstsein, das Jasmin davon abhält, sich ihnen anzuschließen? Mit Eva jedenfalls verhält es sich anders. Sie ist stolz, das T-Shirt der Mutter tragen zu dürfen und sich von ihr schminken zu lassen. Die Szene zwischen Eva und Jasmin ist eine direkte Wiederholung der eskalierenden Partyvorbereitungen zu Beginn des Films, die den Ausgangspunkt für Jasmins Flucht aus dem Elternhaus bildete. Wie jedes pubertierende Mädchen sucht auch Jasmin nach einer Identifikationsfigur, einem Vorbild, dem sie nacheifern kann. Vorübergehend glaubt sie, diesen Menschen in Eva gefunden zu haben, bevor diese sie durch ihre Affäre enttäuscht. Am Ende muss Jasmin zu einem eigenen und unabhängigen Selbstbild finden, einen eigenen Weg einschlagen und Mut und Kraft aus sich selbst schöpfen. Doch wie ihr das letztlich gelingt, enthält uns der Film leider vor.

Talea ist ein durchaus berührender Film. Doch der zuweilen stark konstruierte Plot und die stereotype und gänzlich überflüssige Liebesgeschichte trüben die Begeisterung und lassen das Drama schließlich auf das Niveau eines TV-Streifens sinken.

Talea

Der Figur der Mutter begegnet das zeitgenössische Kino zuweilen mit großer Skepsis, wie zuletzt auf sehr intensive Art und Weise in John Wells‘ „Im August in Osage County“. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, zumindest jedenfalls nicht ungewöhnlich, dass auch Katharina Mückstein in ihrem Coming of Age Drama „Talea“ ein schwieriges Mutter-Tochter-Verhältnis beschreibt.
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