Stellet Licht

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Aus der Zeit gefallen

Der Film beginnt mit einem Sonnenaufgang, wie man ihn in dieser Ausführlichkeit und Intensität wohl selten im Kino gesehen hat: Aus dem nachtschwarzen Dunkel, in dem noch die Geräusche der Nacht nachhallen, erhebt sich das Licht und beginnt in unglaublicher Schönheit zu leuchten. Farbspiele, die sich am Ende des Films noch einmal wiederholen, als die Sonne wieder untergeht. Zwischen diesen beiden Ereignissen, dem Beginn und dem Ende eines Tages (was allerdings nicht bedeutet, dass das Erzählte lediglich einen einzigen Tag umfasst), erzählt der mexikanische Regisseur Carlos Reygadas eine Geschichte von großem Reiz, die den Zuschauern allerdings einiges an Einfühlungsvermögen und Geduld abverlangt. Doch die Mühe lohnt sich, Stellet Licht ist ein Film, wie man ihn nur selten zu sehen bekommen dürfte.
Ungewöhnlich ist bereits das Setting, in dem Reygadas seine Liebesgeschichte angesiedelt hat: Im Norden der Provinz Chihuahua haben sich ab dem späten 19. Jahrhundert die so genannten Russlandmennoniten angesiedelt, eine evangelisch-freikirchliche Glaubensgemeinschaft in der Tradition der Täufer-Bewegung. Auch heute noch bleiben die Mennoniten, die unter anderem auch in den USA, Kanada und einigen lateinamerikanischen Staaten eine neue Heimat gefunden haben, meist unter sich und verständigen sich auf Plautdietsch, einer niederpreußischen Variante des Ostniederdeutschen. Während die konservativer ausgerichteten Gemeinden jeglichen Komfort ablehnen, gibt es auch Gruppen, die Autos und Traktoren für ihre Arbeit benutzen – allen gemeinsam ist aber die (mehr oder weniger) strikte Verweigerung moderner Kommunikationsmittel und –formen wie Telefon, Internet und Radio. Eine Lebensform, die dem westlichen Zuschauer ebenso fremd sein dürfte wie die Sprache, in der der Film gedreht ist. Denn selbstverständlich sprechen alle Laiendarsteller (sie sind allesamt Mennoniten aus verschiedenen Ländern und Kontinenten) Plautdietsch.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der einfache Landwirt Johann (Cornelio Wall Fehr), der mit Esther (Miriam Toews) verheiratet ist und mit ihr gemeinsam sechs Kinder hat. Eines Morgens wird Johann seiner Frau gestehen, dass er sich in Marianne (María Pankratz) verliebt hat. Johann weiß, dass er damit eine schwere Schuld auf sich geladen hat, dass er in der Verantwortung für seine Frau und für seine Kinder steht. Und doch kann, will er nicht von dieser Liebe lassen, die ihn vollkommen unvorbereitet getroffen hat wie ein Blitzschlag. In einer Gemeinschaft wie der gezeigten bleibt das Geheimnis einer unpassenden, unerwünschten Liebe nicht lange eines. Zumal es sich dabei nach den Maßstäben des Glaubens um eine Todsünde handeln muss. Und so wächst rasch der Druck auf die Beteiligten, einen Ausweg zu suchen. Bis schließlich die Situation eskaliert…

Kinomagie kann so einfach sein: Ganz ohne „special effects“ und überladene Geschichten entführt der mexikanische Regisseur Carlos Reygadas in seinem Film Stellet Licht in eine andere Welt und vermag es, für 142 Minuten in ein vollkommen unbekanntes Milieu zu locken, in dem buchstäblich die Uhren anders ticken. Mit großem Respekt nähert sich der Regisseur seinen Darstellern und deren Leben, erforscht es, registriert kleinste Gesten und fängt Stilleben ein, ohne dabei jemals indiskret oder voyeuristisch zu werden. Kaum zu glauben, dass dieser ruhige und ungemein würdevolle Film vom gleichen Regisseur stammen soll wie Battle in Heaven / Batalla en el cielo, der im Jahre 2005 das Festivalpublikum in Cannes mit ausführlich geschilderten Fellatio-Szenen erschreckte.

In Stellet Licht ist Reygadas Strategie eine vollkommen andere: Wie ein Maler entwirft er großartige Tableaus in Cinemascope, in denen gar nicht mehr viel geredet oder gar gehandelt werden muss, um diese Geschichte eindrucksvoll auf die Leinwand zu bringen. Meisterhaft ist sein Einsatz der oftmals starren oder kaum merklich bewegten Kamera, seine Arbeit mit den Gesichtern der Darsteller, deren Unerfahrenheit im Umgang mit der Kamera kaum ins Gewicht fällt, sondern im Gegenteil die Intensität des Films noch steigert. Ebenso auffällig agiert die Tonebene, in der neben den spärlich eingesetzten Dialogen vor allem die Geräusche ein Eigenleben führen und über Tierstimmen, Kindergeschrei und das Rauschen des Regens die Archaik der Liebesgeschichte betonen, die sich – abgesehen von der sicherlich geringeren Intensität – überall auf der Welt abspielen könnte.

Dass Reyagadas seine Geschichte um Liebe, Schuld und Vergebung aber genau in dieser kleinen Mennoniten-Gemeinde und vor dem Hintergrund eines stets spürbaren Gottes ansiedelt, und dass wir als Zuschauer diesem eigenartigen, noch nie gesehenen, unerhörten Stück Kino so begierig folgen, das ist ein beinahe genauso großes Wunder wie jenes, das den Film beschließt.

Mit Sicherheit einer der fremdartigsten, schönsten und berückendsten Filme des noch jungen Kinojahres 2009.

Stellet Licht

Der Film beginnt mit einem Sonnenaufgang, wie man ihn in dieser Ausführlichkeit und Intensität wohl selten im Kino gesehen hat: Aus dem nachtschwarzen Dunkel, in dem noch die Geräusche der Nacht nachhallen, erhebt sich das Licht und beginnt in unglaublicher Schönheit zu leuchten. Farbspiele, die sich am Ende des Films noch einmal wiederholen, als die Sonne wieder untergeht.
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Meinungen

Mike · 24.02.2009

Kommt doch ncoh in die Kinos und zwar am 2.4.2009

Twoiback · 13.01.2008

wo und wann kann man den sehen?

@Twoiback · 13.01.2008

Hat in deutschland leider keinen Verleih gefunden ... vielleicht gibts irgendwann eine DVD

· 15.11.2007

Bin gespannt und hoffe er erscheint hier bald.

Gast · 15.09.2007

Ich bin sehr gespannt, würde gern wissen wann der auf DVD erscheint, oder überhaupt im Kino.

· 28.08.2007

man darf gespannt sein