State of Play - Stand der Dinge

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Blogger, Blutsauger und andere Verbrecher

Vielleicht kennt der eine oder andere Filmverrückte ja das Gefühl: Man sitzt im Kino und folgt dem Verlauf einer Geschichte, bis ein kleiner Verdacht, eine vage Erinnerung sich breit macht und immer mehr Raum einnimmt: Kann es sein, dass man diesen Film bereits gesehen hat? Dass man die Geschichte kennt, ohne genau sagen zu können, warum dem so ist? Genau dieses Gefühl mag manchen Zuschauer auch bei State of Play beschleichen, doch keine Panik: In diesem Fall ist es nicht so, dass man den Film schon einmal im Kino gesehen und anschließend wieder vergessen hat. Wer sich hingegen an eine TV-Miniserie erinnert fühlt, liegt goldrichtig: State of Play — Stand der Dinge basiert auf einer BBC-Serie gleichen Namens, die letztes Jahr unter dem deutschen Titel Mord auf Seite eins auf ARTE zu sehen war.
Dass das geplante Hollywood-Remake auch vor seinem eigentlichen Kinostart in den Schlagzeilen und damit im Gedächtnis bliebe, dafür sorgte vor allem eine Personalie: Brad Pitt, ursprünglich für die Hauptrolle des knarzigen Journalisten Cal McCaffrey vorgesehen, sagte kurz vor dem Start der Dreharbeiten seine Beteiligung ab und wurde durch Russell Crowe ersetzt. So viel Aufmerksamkeit dürfte dem Film nicht geschadet haben. Die vermeintliche Katastrophenmeldung vom Ausstieg der einen Hälfte von „Brangelina“ indes erweist sich rückblickend als Glücksfall: Denn Crowe dürfte die deutliche bessere, weil passendere Wahl als Protagonist sein.

Mit langem Haar, zerknautschtem Cordjackett und Fünftagebart wirkt Cal McCaffrey wie ein Relikt aus früheren Zeiten, ein in die Jahre gekommener Grunge-Journalist mit vollgemülltem und zerbeultem Saab 900 und besten Kontakten zur Polizei. Desillusioniert von der alltäglichen Jagd nach der Wahrheit und genervt von den jungen Kollegen der Online-Redaktion, die mit dem neuesten Equipment ausgestattet werden, während er sich mit einem vorsintflutlichem Computer herumplagen muss, fühlt sich McCaffrey manchmal wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Als eine enge Mitarbeiterin seines Studienfreundes und jetzigen Kongressabgeordneten Stephen Collins (Ben Affleck) ermordet wird, wittert der alte Fuchs eine Story und gerät prompt in einen Loyalitätskonflikt. Denn langsam sickert durch, dass Collins eine Affäre mit seiner Mitarbeiterin hatte. Eine Enthüllung, die nicht die einzige bleiben wird: Offensichtlich war das Mordopfer im Namen eines privaten Sicherheitsunternehmens auf Collins angesetzt worden, der eine parlamentarische Untersuchung gegen die Firma leitete. Mit Hilfe seiner beinharten Chefredakteurin (Hellen Mirren), der jungen Online-Redakteurin Della Frye (Rachel McAdams) begibt sich Cal in einen Sumpf aus Sex, Lügen und Korruption und gerät in Lebensgefahr, weil er der Wahrheit zu nahe kommt.

Die wahre Geschichte – und damit auch das wirklich Interessante – an State of Play spielt sich auf einer anderen Ebene ab und ist seit einigen Monaten höchst aktuell. Wie kaum ein Film zuvor singt der Film das hohe Lied des hehren Printjournalismus und thematisiert immer wieder den aktuellen Überlebenskampf vieler Zeitungen, die sich einer wachsenden Konkurrenz aus dem Internet gegenüber sehen. Und so ist der Abspann nicht nur logisch im Sinne einer Fortschreibung des Metathemas, er ist zugleich auch eine Reminiszenz an die alte Art des Zeitungmachens und zeigt sämtliche Stadien von der Belichtung und dem Satz über das Anlaufen der gewaltigen Druckmaschinen bis zu dem Moment, wo die fertige Zeitung bereit ist zur Auslieferung. In anderen, besseren Zeiten wäre diese Sequenz bestens dazu geeignet gewesen, als „establishing scene“ das Thema für den kommenden Film zu setzen. Bei State of Play, wo damit der Film beschlossen wird, wirkt dies beinahe wie eine Beschwörung und Selbstversicherung, dass die Zeiten des Printjournalismus sich nicht dem Ende zuneigen – allen Unkenrufen und schlechten Nachrichten zum Trotz.

Auf welcher Seite der Film dabei steht, daran besteht von Anfang kaum ein Zweifel: Russell Crowe als zerzauster Teddybär hat das Herz auf dem rechten Fleck und ist so sympathisch-schräg mit allen Utensilien eines verschrobenen Vollblutschreibers ausgestattet, dass ihm rasch alle Sympathien zufliegen. Online-Redakteurinnen wie Della sind für ihn „Blutsauger und Blogger“, die nichts recherchieren und einzig und allein Klatsch und Tratsch im Netz verbreiten. Zudem – und das erinnert eigentlich eher an einen anderen Berufsstand – sind die Internetjournalisten „hungrig und billig“ – ah ja.

Mehr als einmal fühlt Cal sich befleißigt, der nassforschen jungen Dame die Grundzüge des sauberen Old-School-Journalismus beizubringen. Was bereits damit beginnt, dass Della niemals einen Stift zur Hand hat, wenn sie einen braucht – ein Klischee, wie es schlichter nicht sein könnte. Im engen Geflecht der Genrekonventionen kommen Kabbeleien wie diese, aber auch die immer wieder gepriesenen Tugenden des Journalismus alter Schule leider viel zu kurz, Della gerät immer mehr zur Nebenfigur und zur Stichwortgeberin, die einzig und allein dazu dient, die komplexe Handlung voranzutreiben. Und am Ende gibt sie sich gar geläutert und lässt vernehmen, dass der Skandal, den sie gemeinsam aufgedeckt haben eine jener Geschichten sei, bei der die Menschen ein Anrecht darauf hätten, beim Lesen „Druckerschwärze an den Fingern“ zu haben.

Dabei hat die Konstellation des Old-School-Journalisten und der kecken Onlinerin durchaus das Zeug zu Höherem. In guten Momenten wirkt sie wie eine zeitgemäße Replik auf George Stevens’ Screwball Comedy Eine Frau, von der man spricht / Women of the Year (USA 1942), in der sich Spencer Tracy und Katherine Hepburn als streitlustiges Journalistenpaar herrliche Wortgefechte lieferten. Nur hätte man davon gerne mehr.

Ebenso Stückwerk bleiben die Hintergründe und Implikationen der Thrillerhandlung, die vor dem Hintergrund der Umtriebe von privaten Sicherheitsunternehmen wie Blackwater in Krisenregionen einiges an politischer Brisanz enthalten, die sich aber in den Windungen des Plots und der zahlreichen Nebenhandlungen verlieren.

Immerhin bleibt zum Schluss eine Erkenntnis, die State of Play — Stand der Dinge neben einer durchaus interessanten und stellenweise erfrischend gemachten, aber eben nicht ganz unbekannten Thrillerhandlung zu bieten hat: Mag sein, dass die alten Hasen des Zeitungswesens sich das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen wollen. Dafür sehen die Mädels von der Blogger- und Online-Fraktion viel besser aus. Womit mal wieder bewiesen wäre, dass man bei der Berufswahl nicht gründlich genug sein kann.

State of Play - Stand der Dinge

Vielleicht kennt der eine oder andere Filmverrückte ja das Gefühl: Man sitzt im Kino und folgt dem Verlauf einer Geschichte, bis ein kleiner Verdacht, eine vage Erinnerung sich breit macht und immer mehr Raum einnimmt: Kann es sein, dass man diesen Film bereits gesehen hat? Dass man die Geschichte kennt, ohne genau sagen zu können, warum dem so ist?
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