Spuren im Eis – The Prize of the Pole

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Chronik einer Verschleppung im wissenschaftlichen Gewand

Bis heute gilt es als umstritten, ob es tatsächlich wie behauptet der US-amerikanische Polarforscher Robert E. Peary war, der am 6. April 1909 als erster Mensch den Nordpol erreichte. Denn die Kilometerangaben in Pearys Aufzeichnungen erscheinen zu phantastisch, um durch Eisdrift und günstige Umstände erklärt zu werden. Pure Aufschneiderei oder hatte sich der selbstbewusste Forscher schlichtweg vertan? Das Rätsel ist bis heute nicht schlussendlich aufgeklärt.
Doch während Peary in seiner Heimat als großer Entdecker gefeiert wurde, galt er unter den Inuit als unbarmherziger Mensch, und das hatte konkrete Gründe, die aus heutiger Sicht unfassbar zynisch anmuten. Bereits im Jahre 1897 verschleppte der Polarforscher auf einer Nordpol-Expedition sechs Inuit und stellte sie bei seiner Rückkehr nach New York dem American Museum of Natural History für anthropologische Untersuchungen zur Verfügung. Die Inuit starben einer nach dem anderen innerhalb eines halben Jahres, so dass zum Schluss nur der kleine Minik, der zum Zeitpunkt seiner Entführung circa zehn Jahre alt war, übrig blieb. Um den Jungen zu beruhigen, täuschten die Mitarbeiter des Museums nach dem Tod von Miniks Vaters ein Begräbnis vor, doch der Junge entdeckte das Skelett und war fortan schwer traumatisiert. Auf eigenen Wunsch kehrte Minik 1909 nach Grönland zurück, konnte sich aber aufgrund seiner Erlebnisse dort nicht mehr einfügen und ließ sich schließlich sieben Jahre später nach New York zurückbringen, wo er 1918 an den Folgen der spanischen Grippe starb – der Lebensweg eines Entwurzelten.

Staffan Juléns Film Spuren im Eis – The Prize of the Pole ist nicht der erste, der sich der Geschichte der verschleppten Inuit widmet, erst vor kurzem legte Axel Engstfeld mit Minik einen ähnlichen Film vor, der zu einem nahezu deckungsgleichen Ergebnis kommt – wenngleich mit vollkommen unterschiedlichen Ansätzen. Julén stützt sich ausschließlich auf dokumentarisches Material und verzichtet auf jede Art der Fiktionalisierung und Dramatisierung der Geschichte. Alte Fotografien und Zeitungsberichte sowie Recherchereisen eines Urenkels von Robert E. Peary – der aus einer Verbindung des Forschers mit einer Grönländerin hervorging – an den Nordpol bilden das Grundgerüst des Films, der neben der Rekonstruktion der Geschichte von Minik und seinen Leidensgenossen auch eine Parabel über wissenschaftliche Hybris und Unmenschlichkeit erzählt.

Wer Interesse an diesem Sündenfall der Ethnologie – kaum der erste und bestimmt nicht der letzte – hat, dem seien der Einfachheit halber beide Filme empfohlen. Sie zeigen den unglaublichen Zynismus und die Skrupellosigkeit eines entfesselten Forschergeistes, der im Laufe des 20. Jahrhunderts noch zu weitaus schrecklicheren Dingen fähig sein sollte.

Spuren im Eis – The Prize of the Pole

Bis heute gilt es als umstritten, ob es tatsächlich wie behauptet der US-amerikanische Polarforscher Robert E. Peary war, der am 6. April 1909 als erster Mensch den Nordpol erreichte.
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