Spanien

Eine Filmkritik von Lida Bach

Eines langen Tages Reise in die Nacht

„Warum wollen Sie unbedingt nach Spanien?“ Spanien. Einen Moment scheint der junge Fremde an das Land zu denken. Daran, dass er dachte, er sei schon am Ziel. Wie ein mythisches Zeichen schwebt in Spanien der Ortsname über den gedrungenen Seelenskizzen, die Anja Salomonowitz zur bitter-realen Allegorie gruppiert. Dem Titelort verleiht ihr aus streng reglementierten Bildarrangements konzipiertes Drama einen ätherischen Glanz — gleich dem, der die Ikonen umfängt, die von Heiligenbildern den Blick der Betrachter auf und vor der Leinwand bannen.
Die Augen der Heiligen sind stumpf geworden in der alten Kirche hinter der moldawischen Grenze von Österreich. Österreich. Der Fremde namens Sava (Gregoire Colin) flucht, als ihm der alte Mann, dessen Moped er auf der Strecke repariert und der ihn dafür in den nächsten Ort mitnimmt, ihr Aufenthaltsland nennt. Dann antwortet er bedachtsam auf die Frage seines Gegenüber, als sei genug damit verraten, dass er die Landessprache beherrscht: „Die Menschen da fürchten noch Gott. Wo man Gott fürchtet, kann man gut leben.“ Der andere erwidert nichts, vielleicht weil er gottesfürchtige Menschen zu gut kennt, seit er in dessen Haus arbeitet: der Kirche, deren Gestühl der Reisende aufarbeitet. Erst das Moped, dann ein Auto. Kann er reparieren? Hat ihn der Pfarrer gefragt. Ja, kann er. „Für Geld.“

Geld. Ob er Geld wolle, fragt die heruntergekommene Mieterin (Susi Stach) Albert. Oder ihr Gott nahebringen? Dann lachen beide schäbig. Noch schäbiger ist die Beflissenheit, mit welcher der Fahnder der Einwanderungsbehörde (Cornelius Obonya) die Wohnung und das Privatleben gemischt nationaler Paare inspiziert. Er ist derjenige, der bestimmt, welche Ehe kaputt geht. Das schluchzt er vor der Tür seiner Ex-Frau, die nicht nur seelische Narben an beider Beziehung erinnern. Das zeigt er den Paaren, die er eine Scheinehe zu führen verdächtigt. Wonach er eigentlich ermittel,t sind Worte. Worte, die ihm fehlen, um die Ikonographin Magdalena (Tatjana Alexander) zurück zu kriegen. Wenn er sie nicht holen kann, holt er an manchen Abenden eine andere zu sich, die er dafür bezahlt, ihre Rolle einzunehmen. „Und wie heiße ich heute?“, fragt eine der Namenlosen, unter deren hochhackigen Absätzen bei jedem Schritt das Laminat knarrt. „Magdalena“, sagt Albert, der ihr wie der biblischen Sünderin und Heiligen die Schuhe abstreift und die Füße wäscht.

Ein Spiel. Nicht so verschieden von dem, das Gabriel spielt. „Spielst du noch?“, fragt der Wirt den verheirateten Vater zweier kleiner Kinder (Lukas Miko) einer Kneipe. „Wenn nicht, würde ich dich bitten, dass du den Automaten freigibst.“ Er würde es, doch der Automat gibt ihn nicht frei. Er hat ihn im Griff wie die Angst vor den zehntausenden an Schulden und der Schuldeneintreiber eines Kreditinstituts. Um dieses bis ins Detail nuancierten Persönlichkeiten drängt sich das zehrende Seelenkabinett, dessen verborgenste Winkeln Anja Salomonowitz erkundet. Die Ockertöne, gesättigtes Braun und Gelb-Orange vermischende Farbpalette bündelt das fahle Licht, bevor die Dunkelheit alle verzweifelten Hoffnungsschimmer verschluckt. „Die Nächte sind so lang“, spricht Albert aus, was alle der gequälten Protagonisten zu fühlen scheinen. In der Finsternis dieser Nächte beginnt das psychologische Drama, durch das ein Hauch von Mystery und Noir weht. In ihr mündet die düstere Sinnsuche, nur dass dieses mal nichts mehr ihre Absolutheit durchdringen kann.

Spanien

„Warum wollen Sie unbedingt nach Spanien?“ Spanien. Einen Moment scheint der junge Fremde an das Land zu denken. Daran, dass er dachte, er sei schon am Ziel. Wie ein mythisches Zeichen schwebt in „Spanien“ der Ortsname über den gedrungenen Seelenskizzen, die Anja Salomonowitz zur bitter-realen Allegorie gruppiert. Dem Titelort verleiht ihr aus streng reglementierten Bildarrangements konzipiertes Drama einen ätherischen Glanz — gleich dem, der die Ikonen umfängt, die von Heiligenbildern den Blick der Betrachter auf und vor der Leinwand bannen.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen