Southpaw (2015)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Harter Mann in Lebenskrise

Noch heute wird häufig auf Robert De Niro verwiesen, wenn das von Lee Strasberg entwickelte Method Acting zur Sprache kommt. Jene Schauspieltechnik, die durch das vollständige Eintauchen in die Rolle eine extrem realistische Darstellung anstrebt. Auf die Spitze trieb De Niro diesen Ansatz in Martin Scorseses gefeiertem Boxerdrama Wie ein wilder Stier, das das Leben und die Karriere des Italoamerikaners Jake LaMotta nachzeichnet. Um den nach seiner Sportlerlaufbahn aufgedunsenen Protagonisten glaubhaft verkörpern zu können, legte der Hollywood-Star innerhalb kürzester Zeit 27 Kilo zu und schaffte es mit dieser „Leistung“ sogar zeitweise ins Guinness-Buch der Rekorde. Als engagierter Method-Actor erweist sich seit einigen Jahren auch Jake Gyllenhaal, dessen vielschichtige Darbietung in Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis bereits an die ikonische De-Niro-Figur Travis Bickle aus Taxi Driver erinnerte. Mit Southpaw – im Englischen wird so ein Rechtsausleger bezeichnet – nähert sich Gyllenhaal seinem älteren Kollegen nun noch mehr an, spielt er hier doch auf beklemmend-intensive Weise einen Boxer, der seine Emotionen nur selten im Griff hat.

Ruhm und Reichtum – Dinge, von denen viele Menschen träumen – hat Billy Hope (Gyllenhaal) erreicht, obwohl seine Kindheit äußerst entbehrungsreich war. Aufgewachsen ist der aus New York stammende Halbschwergewichtler in Jugendheimen, ebenso wie seine Gattin Maureen (Rachel McAdams, Wie ein einziger Tag), die ihm den Rücken stärkt und weitaus mehr ist als die attraktive Frau an seiner Seite. Als sie Billy nach erfolgreicher Titelverteidigung aus Sorge um seine Gesundheit bittet, eine Wettkampfpause einzulegen, willigt dieser nach kurzem Zögern ein. Immerhin kann er so noch mehr Zeit mit seiner Tochter Leila (Oona Laurence) verbringen, die ihren Vater über alles liebt. Beim Besuch einer Wohltätigkeitsveranstaltung kommt es dann allerdings zu einem verhängnisvollen Zwischenfall. Billy lässt sich von einem potenziellen Ringrivalen provozieren, wird handgreiflich und entfacht damit einen Tumult, an dessen Ende Maureen von einem Schuss tödlich getroffen wird. Das ist der Anfang eines rasanten Absturzes, bei dem der Boxer nicht nur sein Vermögen verspielt, sondern auch das Sorgerecht für seine Tochter.

Große filmgeschichtliche Kenntnisse braucht es nicht, um zu erkennen, dass Billy Hope – man beachte den wenig subtilen Nachnamen – eine klischeegetränkte Figur ist. Ein aufbrausender Kämpfer mit Hang zur Selbstzerstörung, dessen Leben vollkommen aus den Fugen gerät. Ruhm, tiefer Fall und mühsames Comeback – die Struktur zahlreicher anderer Boxerfilme bestimmt auch Southpaw, weshalb die Handlung nur selten überraschen kann. Noch dazu erlauben sich Drehbuchautor Kurt Sutter (Sons of Anarchy) und Regisseur Antoine Fuqua (The Equalizer) einige kleine bis mittelschwere Patzer im dramaturgischen Aufbau. Unklar bleibt beispielsweise, warum sich der steinreiche Billy nach dem tragischen Tod seiner Frau in Windeseile zu einem sozialen Härtefall entwickelt und plötzlich sogar einen einfachen Job in einem heruntergekommenen Boxclub annehmen muss. Diese und manch andere Wendung lassen die recht durchschaubare Drehbuchmechanik offen zu Tage treten, anstatt sie geschickt zu verhüllen.

Mit einem Griff in den Genre-Baukasten behelfen sich die Macher auch bei vielen Nebenfiguren. So tauchen etwa ein verschlagener, nur vordergründig wohlmeinender Boxpromoter und ein bärbeißiger Trainerfuchs auf, der einige Weisheiten zum Besten gibt und den Protagonisten widerwillig unter seine Fittiche nimmt. Zum Glück sind diese Rollen mit Curtis Jackson alias 50 Cent und Forest Whitaker gut besetzt, so dass die schablonenhafte Zeichnung nicht ständig ins Auge springt. Vor allem Whitaker verleiht seinem Part eine ehrliche Zerrissenheit, die auf dem Papier in dieser Form wahrscheinlich nicht gegeben war.

Den emotionalen Anker des Boxerdramas bildet die intime Beziehung zwischen Billy und seiner Ehefrau, die Rachel McAdams trotz überschaubarer Leinwandzeit zu einer eigenständigen Persönlichkeit ausformt – was ihre Sterbeszene umso ergreifender macht. Wie an anderen Stellen auch rückt die Kamera hier ganz nah an die Protagonisten heran, weshalb Schmerz und Hilflosigkeit direkt und unverstellt auf den Zuschauer übergreifen. Der Abwärtsstrudel, in den Billy dann gerät, verlangt Jake Gyllenhaal darstellerisch alles ab. Eindrucksvoll sind daher nicht nur die energiegeladenen Kampfszenen im Ring, in denen der Schauspieler als muskelbepackter Heißsporn eine gute Figur abgibt, sondern auch die Momente, die Billys tiefsitzende Verunsicherung illustrieren und dank der nuancierten Performance ungeahnte Intensität ausstrahlen. Eine stereotype Figur erwacht zu „richtigem“ Leben. Und der Zuschauer kann wenigstens in manchen Phasen vergessen, dass er einer konventionell gestrickten Läuterungsgeschichte beiwohnt.

Für einen wirklich gelungenen Film reicht es im Ganzen allerdings nicht. Das liegt auch daran, dass Southpaw auf einen absolut vorhersehbaren Endpunkt zuläuft. Ein Finale, das ausgelutschte Hollywood-Muster bedient und sich damit beispielsweise deutlich abhebt von Martin Scorseses pessimistischer Boxerstudie Wie ein wilder Stier. Gyllenhaals Performance dürfte man noch länger in Erinnerung behalten. Den Film selbst wohl nur begrenzte Zeit.
 

Southpaw (2015)

Noch heute wird häufig auf Robert De Niro verwiesen, wenn das von Lee Strasberg entwickelte „Method Acting“ zur Sprache kommt. Jene Schauspieltechnik, die durch das vollständige Eintauchen in die Rolle eine extrem realistische Darstellung anstrebt. Auf die Spitze trieb De Niro diesen Ansatz in Martin Scorseses gefeiertem Boxerdrama „Wie ein wilder Stier“, das das Leben und die Karriere des Italoamerikaners Jake LaMotta nachzeichnet.

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