Sommerhäuser

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

In jenen Tagen der Hitze

Der Sommer 1976 ist in die Annalen der Meteorologie als „Jahrhundertsommer“ eingegangen: Nahezu tropische Temperaturen und eine extreme Niederschlagsarmut über Wochen hinweg hatten die Bundesrepublik fest im Griff und sorgten dafür, dass die Menschen nach Schatten dürsteten. Mitten in diese Gluthitze hinein hat Sonja Maria Kröner ihren Film Sommerhäuser hineingepflanzt, der von einer Familie erzählt, die über einige Wochen hinweg in dem großen Gemeinschaftsgarten Zuflucht sucht, der sich in ihrem Besitz befindet. Während diese Zeit für die Kinder vor allem ein großes Abenteuer ist, brechen für die Erwachsenen langanhaltende Konflikte aus, die den Familienverbund an die Grenzen der verwandtschaftlichen Toleranz bringen wird.
Es beginnt mit einem Blitzeinschlag: Ausgerechnet am Tag der Beerdigung von Oma Sophie wurde einer der prächtigen alten und majestätischen Bäume auf dem großen Gartengrundstück in München entzwei gespalten. Ein Omen? So ganz sicher ist sich die Verwandtschaft nicht, die den Schaden begutachtet. Denn ob die soeben Verstorbene Bäume liebte oder nicht, darüber gibt es – wie über fast alles – mindestens zwei und zudem grundverschiedene Auffassungen. Aber das ist keineswegs der einzige Streitpunkt – Konfliktpotenzial birgt auch die Zukunft des verwunschenen Paradiesgärtleins selbst: Zwar steht in dem Testament eindeutig, dass das Grundstück, auf das ein Nachbar schon begehrliche Blicke geworfen hat, im Besitz der Familie verbleiben soll, aber natürlich gibt es jede Menge juristische Tricks und Winkelzüge, mit denen man solch einen letzten Willen unterlaufen kann. Das Geld, das ein Verkauf einbringen würde, käme einem Teil der Sippe gerade recht, während ein anderer lieber der Idee nachhängt, ein Refugium auch als Zeichen der verwandtschaftlichen Verbundenheit in seinem Besitz zu wissen. Wenngleich sich dieser Zusammenhalt im Laufe der Zeit als Illusion herausstellen wird – mit dem Tod der Oma scheint den lieben Verwandten jener soziale Kitt abhandengekommen zu sein, der vorher für Ruhe und Harmonie sorgte.

Und so beginnt der Reigen aus sommerlicher Trägheit, süßem Müßiggang mit Erdbeerrolle und Frankfurter Kranz und schwelenden Konflikte, die sich immer wieder kurz entladen wie eines jener heftigen Sommergewitter, die Anfang und Ende dieser tragikomischen Familienaufstellung bilden. Da ist beispielsweise der Streit zwischen der alleinerziehenden und chaotisch-aufgedrehten Gitti (Mavie Hörbiger) und ihrer Schwägerin Eva (Laura Tonke), die ja eigentlich, wenn man es genau betrachtet, gar nicht wirklich zur Familie gehört, auch wenn sie sich sehr darum bemüht, mit ihrem Mann Bernd (Thomas Loibl) und den beiden Kindern Lorenz und Jana genau jene Musterfamilie zu bilden, die in scharfem Kontrast zum Lotterleben der flatterhaften Gitti mit ihren zumeist älteren und stets vermögenden Liebhabern steht. Klar, dass dieser aus Neid und Missgunst gespeiste Streit auch über die Kinder ausgetragen wird und Ansprüche auf den Zugang zum Baumhaus beinhaltet. Aber auch die Alten der Familie sind sich keinesfalls so grün, wie die üppige Vegetation des familiären Paradieses es verheißt: Die drei Kinder der Verstorbenen sind so unterschiedlich, wie es Geschwister nur sein können: Der mit Frieda (Christine Schorn) verheiratete Erich (Günther Maria Halmer) möchte den Garten am liebsten zu einem guten Preis verkaufen und gibt andererseits den liebevollen Opa. Währenddessen wird seine Schwester Ilse (Ursula Werner), die sich bis zuletzt liebevoll um die kränkelnde Sophie gekümmert hat und sehr an dem Grundstück hängt, für einen kurzen Moment in diesem Sommer eine Ahnung davon erleben, was sie in ihrer Aufopferungsbereitschaft für die Familie verpasst haben könnte im Leben. Und dann ist da noch Mathilde (Inge Maux), die am liebsten nackt sonnenbadet und für die kleine Romanze ihrer Schwester nur Spott übrighat. Als sei dies nicht schon genug Konfliktpotenzial, tritt plötzlich eine Wespenplage epischen Ausmaßes auf – und dann ist noch ein Mädchen verschwunden, das ganz offensichtlich einem Serienmörder und Kannibalen zum Opfer gefallen ist. Und mal ehrlich: Der Nachbar, den noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat, wäre der nicht ein idealer Kandidat für solch eine Wahnsinnstat?

Mit Sommerhäuser ist Sonja Kröner ein dichtes Ensemblestück gelungen, das durch die Bank und bis in die Kinderrollen perfekt besetzt und angenehm zurückhaltend inszeniert ist. Mit liebevollem Blick für Details, einer herausragenden Ausstattung und einem Drehbuch, das vieles im Ungefähren be- und damit der Phantasie des Zuschauers überlässt, gelingt ihr ein Blick zurück auf eine Zeit, die durchaus dazu angetan wäre, mit dem verklärten Blick der Nostalgie betrachtet zu werden – eine Falle, der Sommerhäuser freilich mit Bravour entgeht. Vielmehr fächert der Film ein vielschichtiges Panorama aus Zeitgeschichte und -kolorit, familiären Konflikten und schönen Beobachtungen auf, das das Kunststück vollbringt, zugleich den kindlichen Blick auf diesen Jahrhundertsommer wie auch die analytische Schärfe einer anderen, erwachseneren Perspektive miteinander zu vereinen.

Sommerhäuser

Der Sommer 1976 ist in die Annalen der Meteorologie als „Jahrhundertsommer“ eingegangen: Nahezu tropische Temperaturen und eine extreme Niederschlagsarmut über Wochen hinweg hatten die Bundesrepublik fest im Griff und sorgten dafür, dass die Menschen nach Schatten dürsteten. Mitten in diese Gluthitze hinein hat Sonja Maria Kröner ihren Film „Sommerhäuser“ hineingepflanzt, der von einer Familie erzählt, die über einige Wochen hinweg in dem großen Gemeinschaftsgarten Zuflucht sucht, der sich in ihrem Besitz befindet.
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Meinungen

Trixi Löwenstark · 12.06.2020

Sommerhäuser ist ein Film, der einen wahrlich in die 70er zurückversetzt. Die langatmigen Sonntagnachmittage mit dem Flirren und Surren in der Luft, die Art sich zu kleiden, die Kindersandalen, die noch nicht den modischen Anspruch der heutigen Zeit hatten, Kinder, die wie Kinder gekleidet und frisiert waren und nicht wie die kleine Ausgabe der Modeszene. Zuweilen kommt Sentimentalität auf, zuweilen dieses spöttische, ablehnende Gefühl beim Anblick der Biederkeit und Unreflektiertheit. Ich habe den Film fast als Ausflug in die Vergangenheit erlebt und staune über ein kleines Kunstwerk, zumal es das Debüt der Filmemacherin ist. Wunderbar und authentisch besetzt mit Laura Tonke, Thomas Loibl, Christine Schorn, einer berührenden Ursula Werner und Marvie Hörbiger in der Rolle einer alleinerziehenden jungen Frau, hin und hergerissen zwischen ihrer Mutterschaft, der sie mit Hilfe ihrer Eltern oft und gerne entfliehen möchte, indem sie ihr Leben durch Liebschaften mit älteren und betuchten Liebhabern aufzuwerten versucht..Authentisch bis hin zum Umgangston der Zeit inszeniert - berührend, entwaffnend bis hin zu beschämend und beklemmend. Chapeau Sonja Kröner

Tanja · 25.11.2017

Für mich eher ein Drama als eine Komödie!

Margarete · 11.11.2017

"Die Blumen sind für die Deko.", sagt eines der Mädchen. Aber dieses Wort kannte man 1976 noch nicht. Aber das heißt kritisieren auf höchsten Niveau, denn der Film ist so fein ausgestattet, und so ruhig inszeniert, dass es eine Freude ist! Die Schauspieler - auch die jüngsten - versinken so in ihren Rollen, dass man sich selbst wieder in dieser Zeit sieht und man sich lebhaft daran erinnert, wie man sich als Kind damals gefühlt hat. Zu 100 Prozent sehenswert!