Slow - Langsam ist das neue schnell

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Im Schneckentempo

Um ehrlich zu sein: schon die ersten fünf Minuten von Slow – Langsam ist das neue schnell sind eine echte Herausforderung, und das nicht nur, weil ich Schnecken für die ekelhaftesten Tiere der Welt halte. Vielmehr wird schon hier sofort klar: der Titel dieses Dokumentarfilms ist programmatisch zu verstehen. In geradezu quälend langsamem Tempo kriechen der Titel und die Opening Credits in den Bildkader hinein. Will ich mir das jetzt wirklich 82 Minuten lang antun? Die Frage stellt sich schnell. Was man schließlich nicht alles in der Zeit erledigen könnte: den Abwasch, Gassi gehen, die lästigen E-Mails beantworten. Und dann bleibt man doch sitzen und starrt auf die Leinwand.
Es gestaltet sich nahezu unmöglich, zu Slow – Langsam ist das neue schnell eine adäquate Inhaltsangabe zu formulieren, denn Regisseur Sascha Seifert verweigert sich in seinem Film jeglicher konventioneller Narration. Beinahe anderthalb Stunden lang sehen wir einfach Schnecken zu. Wie sie an Blättern herumknurpsen, ihre Schleimspuren durch die Wiesen ziehen, wir sehen sie beim Schlafen, beim Schneckensex, bei erstaunlich behänden Balanceakten auf Baumstämmen und Grashalmen. Und doch ist Slow – Langsam ist das neue schnell nicht primär eine Dokumentation über Schnecken.

Ähnlich wie eine Meditationssitzung konstruiert Sascha Seifert seinen Film. Ein Gong leitet ein neues Kapitel ein und ein Zitat bildet quasi das Mantra für die folgenden Minuten. Es fällt anfangs schwer, sich auf dieses Schema einzulassen, denn das mediengeschulte Hirn sucht ständig nach einer erzählenswerten Geschichte. Nach etwa zehn Minuten kriecht erstmals eine zweite Schnecke ins Bild, und prompt glauben wir – ha! — dem Regisseur auf die Schliche gekommen zu sein. Fortan werden wir diese beiden Schnecken beobachten, bei der Fortpflanzung und ihrem Überlebenskampf, so sind wir uns sicher. Vielleicht gibt es sogar ein paar herzerweichende Momente à la Schimpansen oder Die Reise der Pinguine. Bei Schnecken zwar schwer vorstellbar, aber ein gewiefter Cutter kriegt das doch allemal hin.

Und dann – passiert doch wieder nichts. Die zweite Schnecke schlurft nur träge an der Ersten vorbei und eine minutenlange Einstellung folgt beharrlich auf die Nächste. Die eigentliche Überraschung folgt aber erst ungefähr eine halbe Stunde später, wenn ein kurzer Blick auf die Uhr verrät: schon die Hälfte des Filmes ist gelaufen. Dann nämlich müssen wir es uns wohl spätestens eingestehen: wir haben uns hypnotisieren lassen von der Langsamkeit, der trägen Unbedarftheit der grünen Wälder, der im Hintergrund unaufdringlich dahinfließenden Musik. Von den langen, statischen Einstellungen, die sogar ein paar im Sekundentakt hintereinander montierte Pilze plötzlich zu einer actionartigen Sequenz mutieren lassen, die den Puls in die Höhe treibt.

Wir sind so etwas schlicht nicht gewöhnt. So wie unsere Lebensrhythmen haben sich auch unsere Sehgewohnheiten verändert. Mainstream-Filme überbieten sich gegenseitig mit immer schnelleren Schnittfrequenzen, unruhiger Videoclipästhetik, spektakulären Effekten. Umso mehr gebührt Sascha Seifert Respekt für seine Konsequenz, denn knallhart zieht er sein Anti-Konzept bis zum Ende durch. Es könnte vielleicht passieren, dass der ein oder andere Zuschauer auf halber Strecke von Slow – Langsam ist das neue schnell einschläft – und seien wir ehrlich, allzu viel verpasst er dabei nicht. An der Intention des Regisseurs wird allerdings auch dieser Effekt nicht komplett vorbeigehen.

Slow - Langsam ist das neue schnell

Um ehrlich zu sein: schon die ersten fünf Minuten von „Slow – Langsam ist das neue schnell“ sind eine echte Herausforderung, und das nicht nur, weil ich Schnecken für die ekelhaftesten Tiere der Welt halte. Vielmehr wird schon hier sofort klar: der Titel dieses Dokumentarfilms ist programmatisch zu verstehen.
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