Sieben Minuten nach Mitternacht (2016)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ein ewiges Chaos

Mit Sieben Minuten nach Mitternacht liefert der spanische Regisseur J.A. Bayona (Das Waisenhaus) nach dem Katastrophen-Drama The Impossible seine zweite internationale Arbeit ab. Das von Patrick Ness verfasste Drehbuch basiert auf dessen gleichnamigem Roman, welcher wiederum in einer Idee von Siobhan Dowd seinen Ursprung hat. Als die irisch-britische Jugendbuch-Autorin im Jahre 2007 – viel früher als erwartet – ihrer Brustkrebserkrankung erlag, führte Ness ihr Werk fort und schuf eine Melange aus Coming-of-Age-, Familien- und Fantasy-Geschichte. Dabei gelang es ihm, die womöglich irritierendste Erkenntnis auf dem Weg zum Erwachsenwerden in ein märchenhaft-düsteres Gewand zu kleiden: Es geht darum, die eigene Komplexität sowie die aller anderen zu begreifen – und ambivalente Gefühle zuzulassen, statt sich für sie zu schämen und sie zu verbergen.

Die Handlung spielt in England; im Zentrum steht der 12-jährige Conor (Lewis MacDougall), dessen alleinerziehende Mutter (Felicity Jones) an Krebs erkrankt ist. Conor ist ein kreatives Kind, das früh lernen musste, selbstständig zu sein. Die Tatsache, dass seine Mutter in naher Zukunft sterben könnte, verdrängt der Junge jedoch. Da sein Vater (Toby Kebbell) mit neuer Familie in L.A. wohnt, soll Conor bald zu seiner strengen Grandma (Sigourney Weaver) ziehen – wogegen er sich mit aller Macht zu wehren versucht. Eines Nachts – um sieben Minuten nach Mitternacht – erwacht der große Baum, den er von seinem Fenster aus auf dem Friedhofshügel sehen kann, zum Leben und nimmt die Gestalt eines Monsters (in der Originalfassung gesprochen von Liam Neeson) an. Das Wesen stapft mit festen Schritten und feurigem Blick auf Conor zu und macht eine ziemlich unerwartete Ankündigung: Es werde dreimal zurückkehren, um Conor jeweils eine Geschichte zu erzählen. Bei ihrem vierten Wiedersehen müsse Conor hingegen dem Monster etwas erzählen – und zwar die Wahrheit.

Die Geschichten des riesenhaften Baumwesens werden in Animationssequenzen umgesetzt. Hier kommt unter anderem eine Technik zum Einsatz, die den Eindruck erweckt, als werde das Geschehen mit Wasserfarben auf die Leinwand gekleckst. Aber nicht nur visuell, auch inhaltlich sind diese Passagen reizvoll: So beginnt die erste Erzählung etwa als klassisches Märchen mit einer bösen Stiefmutter und einem charmanten Prinzen, um sodann auf kluge Weise mit diesen Klischees zu brechen. Mit der Vielschichtigkeit von Menschen und deren Taten setzt sich auch der restliche Film auseinander. Selten gebe es ein happily ever after, meint Conors Vater bei einem Besuch zu seinem Sohn – vielmehr werde man meist mit einem messily ever after, einem ewigen Chaos, konfrontiert. Wuchtig und stets differenziert widmen sich Ness und Bayona schwierigen Themen wie Verlust, Schuldgefühlen und adoleszenter Angst, die wiederum zu Zorn führt. Selbst der zunächst recht formelhaft anmutende Nebenstrang um Conors aggressiven Mitschüler Harry (James Melville) nimmt eine interessante Wendung, durch die uns auch dieser Teil der Handlung tatsächlich etwas über die Figuren und deren Ambivalenz erzählt, statt lediglich dazu zu dienen, Conor als Außenseiter und Mobbing-Opfer zu charakterisieren. Die Momente, die sich mit der Tragik und den Innenwelten von Conor und dessen Umfeld befassen, werden von den Effekten nicht in den Hintergrund gedrängt, sondern gehen mit diesen eine stimmige Verbindung ein. Bayonas Stammkameramann Oscar Faura fasst sowohl die fantastischen als auch die in der filmischen Realität fußenden Szenen in großartige, oft wunderschöne Bilder.

Nicht zuletzt lebt Sieben Minuten nach Mitternacht von seinem superben Ensemble. Lewis MacDougall, der sein Schauspieldebüt als ‚verlorener Junge‘ Nibs in Joe Wrights Peter-Pan-Interpretation Pan (2015) gab, verleiht seinem Part eine bemerkenswerte Intensität – und wird mit Sigourney Weaver von einer eindrücklichen Leinwandpartnerin unterstützt. Wie aus einem Gegeneinander ein Miteinander wird, hat hier nichts von der Standard-Dramaturgie eines ‚Sich-mühsam-Zusammenraufens‘, sondern schildert die Einsicht, dass Menschen selten so sind, wie wir sie zunächst wahrnehmen.
 

Sieben Minuten nach Mitternacht (2016)

Mit „Sieben Minuten nach Mitternacht“ liefert der spanische Regisseur J.A. Bayona („Das Waisenhaus“) nach dem Katastrophen-Drama „The Impossible“ seine zweite internationale Arbeit ab. Das von Patrick Ness verfasste Drehbuch basiert auf dessen gleichnamigem Roman, welcher wiederum in einer Idee von Siobhan Dowd seinen Ursprung hat. Als die irisch-britische Jugendbuch-Autorin im Jahre 2007 – viel früher als erwartet – ihrer Brustkrebserkrankung erlag, führte Ness ihr Werk fort und schuf eine Melange aus Coming-of-Age-, Familien- und Fantasy-Geschichte.

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