Séraphine (2008)

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Genie und Wahnsinn

Sie ist eine der bedeutendsten Vertreterinnen der naiven Kunst im Frankreich des frühen 20 Jahrhunderts und dennoch weitgehend unbekannt. Nun hat sich Martin Provost in diesem Biopic der Malerin Séraphine Louis angenommen. Für ihre überzeugende schauspielerische Leistung erhielt die Hauptdarstellerin Yolande Moreau bereits etliche Auszeichnungen, die die introvertierte und später dem Wahnsinn verfallende Malerin intensiv und berührend darstellt und damit wohl die Rolle ihres Lebens gefunden hat.

Séraphine (Yolande Moreau) geht immer energischen Schrittes von einer Arbeitsstelle zur nächsten, von einem Ort zum anderen. Während sie für gut betuchte Leute den Haushalt führt und deren Wäsche am Flussufer schrubbt, bleibt keine Zeit für ein Privatleben. Dieses Schicksal teilen mit ihr am Ende des 19. Jahrhunderts Hunderttausende, und dennoch ist Séraphine die Ausnahme von der Regel. Denn trotz mangelnder Bildung und Kunstverständnis lebt sie eine Leidenschaft aus, die in dieser sozialen Schicht ungewöhnlich ist: Während der Nächte malt sie aus einem inneren Drang heraus Bild um Bild, ohne dass sie je an eine Ausstellung oder gar an Verkäufe denkt. Sie malt aus einem reinen Selbstzweck heraus, und wenn nicht zufälligerweise der Kunstexperte Wilhelm Uhde (Ulrich Tukur) auf ihre Bilder aufmerksam geworden wäre, so hätten es ihre Bilder wohl nie an die Öffentlichkeit geschafft. Uhde will dem hektischen Alltag in Paris entfliehen und mietet sich 1912 im verschlafenen Örtchen Senlis ein, wo ihm Séraphine als Haushälterin zugeteilt wird. Zaghaft entwickelt sich zwischen den beiden extrem ungleichen Menschen eine Verbindung, die sich durch die Bilder von Séraphine zu einer langjährigen Freundschaft verwandelt. Kriegsbedingt muss Uhde, der Deutscher und Jude ist, Frankreich verlassen, aber die widerspenstige und ungewöhnliche Malerin geht ihm nicht aus dem Kopf. Jahre später wird er ihr Mäzen, der sie in die Kulturkreise einführt und ihr dadurch einen respektablen Lebenswandel ermöglicht, mit dem sie nicht umzugehen weiß. Und wie so oft liegen Genie und Wahnsinn nur Haaresbreite voneinander entfernt, und Séraphine verbringt ihre letzten Jahre in einer Nervenheilanstalt, wodurch sie eine frappante Übereinstimmung mit der Bildhauerin und Malerin Camille Claudel erlangt. Erst drei Jahre nach ihrem Tod erhält sie durch den Einsatz von Uhde ihre erste Einzelausstellung und damit postume Bekanntheit.

Yolande Moreau gelingt es meisterhaft, sowohl den schroffen Charakter von Séraphine als auch deren kindliche Freude, die sie beispielsweise in der Natur hat, darzustellen. Noch beeindruckender allerdings sind die Momente, in denen Séraphine in den nächtlichen Stunden ihre Bilder malt. Fast wie in Trance entstehen die Meisterwerke der naiven Malerei, die zusehends düsterer werden, parallel zur pathologisch-psychischen Entwicklung der Künstlerin. Die Belgierin Moreau scheint selbst dem Wahnsinn zu verfallen, wenn sie mit fanatischem Blick und besessenem Pinselstrich ihre Gemälde anfertigt, wenn sie ihre selbst kreierten Farben anmischt und auf immer größeren Leinwänden ihre mittlerweile religiös geprägten Fantasien abbildet. Diese Besessenheit mündet für sie schließlich in einer unentrinnbaren Parallelwelt, und Séraphine zieht schließlich im Finale barfuß in einem weißen Brautkleid durch die Gassen von Senlis, wirr vor sich herredend und Reliquien verteilend, bis sie von der Polizei aufgegriffen und in die Nervenheilanstalt gebracht wird. Diese Szenen sind emotional sehr anrührend und bewegend und spiegeln zugleich die Einsamkeit, in der sich die unverstandene Künstlerin befand, eindrucksvoll wider, ohne dass Moreau dabei zu tief in die Gefühlskiste greift. Sie überzeugt mehr durch dezentes als durch exzentrisches Schauspiel, und hat in Séraphine Louis offenbar die Rolle ihres Lebens gefunden. Ulrich Tukur als sensibler und zurückhaltender Kunsthändler Wilhelm Uhde, der seine Homosexualität dezent auslebt, trägt seinen Teil dazu bei, dass dieses Biopic ein unvergessliches Kinoereignis wird und zurecht mit sieben Césars ausgezeichnet wurde. Das Erstaunliche daran ist, dass man nicht unbedingt Kunstliebhaber sein muss, um dem Sog des Filmes zu erliegen!
 

Séraphine (2008)

Sie ist eine der bedeutendsten Vertreterinnen der naiven Kunst im Frankreich des frühen 20 Jahrhunderts und dennoch weitgehend unbekannt. Nun hat sich Martin Provost in diesem Biopic der Malerin Séraphine Louis angenommen. Für ihre überzeugende schauspielerische Leistung erhielt die Hauptdarstellerin Yolande Moreau bereits etliche Auszeichnungen, die die introvertierte und später dem Wahnsinn verfallende Malerin intensiv und berührend darstellt und damit wohl die Rolle ihres Lebens gefunden hat.

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Meinungen

Heidi-Frauke · 31.01.2010

ein wunderbar sensibler Film in epischen Bildern

Manon · 01.01.2010

ein tröstlicher,stiller.wunderschöner und zum Glück unsentimaler Film

Anne · 20.12.2009

sehr bewegender Film, langsame Filmeinstellungen