Selbstgespräche

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

„Wir müssen reden“

„Wir müssen reden“ — mit diesen Worten beginnen meist Gespräche der unangenehmen Art, die nicht selten in einem Desaster enden – sei es im beruflichen Kontext oder im privaten Umfeld. In André Erkaus Film Selbstgespräche, der 2008 den Max-Ophüls-Preis erhielt, wird ständig geredet, und dies sogar noch beruflich. Wer nun aber annimmt, dass die Quantität der Gespräche auch eine Verbesserung der Qualität nach sich ziehen würde, sieht sich getäuscht. Denn selten wurde im deutschen Kino so viel gequatscht, geplappert und missverstanden wie in diesem Film, der zudem noch meist in einem Callcenter spielt. Treffsicherer hätte man einen Film über die Fallstricke der modernen Kommunikation kaum in Szene setzen können -zumindest was das Setting anbelangt.
Frohen Mutes betritt ein junger Mann (Maiximilian Brückner) die Büroräume der Kölner Callcenters D.O.M. Call und landet prompt in einem Mikrokosmos, wie er es sich nicht hätte träumen lassen. Sascha, so der Name des Neulings, für den das Callcenter nur eine kurze Verschnaufpause vor dem endgültigen Senkrechtstart in die Showbranche ist – immerhin ist er die rechte Hand eines schmierigen Showmasters und zuständig für das Warm-up — , kommt gerade rechtzeitig, denn im Callcenter stehen die Zeichen auf Sturm: Wenn nicht binnen eines Monats die Erfolgsquote um 5 Prozent in die Höhe getrieben wird, droht die Verlagerung des Auftrags an die polnische Grenze. „Vorpommern ist das neue Indien“, wie Richard Harms (August Zirner), der Abteilungsleiter von D.O.M. Call weiß. Zwecks besserer (Selbst)Kontrolle der berufsmäßigen Dampfplauderer verkündet schon bald eine Anzeigentafel die durchschnittliche Gesprächsdauer sowie die Quote der verkauften DSL- und Flatrate-Pakete, die Harms und seine Mitarbeiter an den Endkunden bringen. Doch die von Harms mit markigen Coaching-Sprüchen geforderte Umsatzsteigerung ist nicht so einfach zu erreichen. Und das liegt nicht nur an der Güte des Produkts, sondern auch an der Motivation der Mitarbeiter, die allesamt – wie übrigens auch ihr smarter Chef – auch mit privaten Sorgen zu kämpfen haben.

Da ist beispielsweise Adrian (Johannes Allmayer), eigentlich der Star beim Telefonverkauf, der beim verbalen Nahkampf mit Blickkontakt aber aufgrund seiner chronischen Schüchternheit stets den Kürzeren zieht. Zuhause hat er für seinen melancholischen Vater zu sorgen, denn nach dem Tod von Adrians Mutter ist dieser ebenso wie sein Sohn in eine tiefe Sinnkrise abgerutscht. Oder die getrennt lebende Marie (Antje Widdra), die zwischen den Altlasten ihrer Beziehung, der Sorge um ihren Sohn und ständigen Bewerbungen als Architektin ihr eigenes Seelenleben nicht mehr im Griff hat. Und selbst bei Harms stehen die Zeichen im Privaten auf Sturm, denn seine Ehe lässt sich mit Sprüchen aus Coaching-Ratgebern nicht mehr kitten, zu tief sind die Risse, die Jahre des Nichtzuhörens und Missverstehens bei seiner Frau hinterlassen haben. Und Sascha selbst? Seit der Schwangerschaft seiner Freundin hat sich seine Zukunftsperspektive erheblich verdüstert, da er erkennen muss, dass seine Träume von einer TV-Karriere nichts als Schäume sind. Doch es kommt alles noch viel schlimmer – für alle Beteiligten…

Beinahe wie Legebatterien und die Versuchsanordnung eines unbarmherzigen Verhaltensforschers wirken die Telefonkabinen im Callcenter und man ist angesichts der Sterilität des Arbeitsplatzes versucht, Petitionen für eine „artgerechte Haltung“ von Callcenter-Agenten zu verfassen. Umso schärfer treten vor diesem Hintergrund die kleinen menschlichen Dramen hervor, die jedem Zuschauer bekannt sein dürften – Zukunftsängste, Trennungen, Bindungsunfähigkeit und nahezu jede Form von kommunikativem Versagen. Dies alles ausgerechnet an einem Ort anzusiedeln, an dem permanentes Gequatsche zur Arbeitsplatzbeschreibung gehört, ist ein schlauer Schachzug von André Erkau, der selbst in früheren Tagen in solch einem Callcenter gearbeitet hat – er war eben jung und brauchte das Geld.

Trotz aller Treffsicherheit und gut aufgelegten Schauspielern hätte man sich an mancher Stelle mehr Mut und mehr Giftigkeit gewünscht – In Ansätzen sind bei allen Figuren zwar Ecken und Kanten vorhanden, doch zu selten werden diese ins Spiel gebracht, wirkt der Film an manchen Stellen geglättet und angesichts der vielen wichtigen Themen, die er anschneidet, einfach zu nett. Da bildet ein kurzer Cameo-Auftritt von Günter Wallraff, der vor kurzem undercover ein Callcenter heimsuchte, beinahe schon die Spitze des Satirischen — gerade August Zirner als Manager mit unbestreitbarem Charme und noch größeren beruflichen wie privaten Defiziten wäre noch für manche treffsichere Pointe wider die Dienstleistungsgesellschaft gut gewesen. So bleibt der Film meist im Privaten verhaftet und bietet neben manchen unnötigen Schlenkern in der Geschichte (die aus reiner Verzweiflung geborene sexuelle Episode zwischen Marie und Sascha wirkt seltsam deplatziert) einen manchmal erheiternden, dann wieder erschreckenden Einblick in unser aller Kommunikationsverhalten. Ob nach dem Besuch des Films allerdings wieder mehr zugehört wird, muss angesichts der Allgegenwärtigkeit von sinnlosem Geplapper bezweifelt werden. Insofern wirkt der Untertitel des Films „Wir müssen reden“ schon beinahe wie eine Drohung.

Selbstgespräche

„Wir müssen reden“ — mit diesen Worten beginnen meist Gespräche der unangenehmen Art, die nicht selten in einem Desaster enden – sei es im beruflichen Kontext oder im privaten Umfeld.
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Meinungen

helen · 12.08.2008

unaufgeregt und sehr witzig! eine erfrischend andere "milieu"-studie....

Gast am 6.8.2008 · 12.08.2008

Unbarmherzig langweilig. Die Typen sind einfach uninteressant. Mit Stomberg kein Vergleich.

Joachim Kurz @Gast · 01.08.2008

So viel Lebenszeit habe ich leider nicht...

· 31.07.2008

Joachim Kurz sollte sich den Film dreimal anschauen um die versteckten Hinweise
und Andeutungen zu erkennen.
Ein Beispiel: der Text bei einer Hintergrundmusik !
Nicht ohne Grund ist
"Komödie" einer der Filmhinweise
D.E.

ambibroesl@web.de · 31.07.2008

Ich fand die Dialoge mitunter jugendlich schnodderig. Geräusche aus dem Off muteten mich an wie störende Geräusche aus dem Kinosaal nebenan (konnte sie nicht gleich zuordnen). Das Vorhaben von André Erkau (Regisseur) unsere zwischenmenschliche Sprachlosigkeit rüber zu bringen, schien mir teilweise gelungen, denn es geht unter den Protagonisten oft zur Sache.

beatrice · 17.07.2008

in der sneak wurde ordentlich gelacht. ich mag den film, weil er realitätsnah und trotzdem witzig ist.