Seefeuer (2016)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Alltag auf Lampedusa

Lampedusa, die größte der zwischen Tunesien und Italien gelegenen Pelagischen Inseln, ist eigentlich ein kleiner und recht unbedeutender Steinhaufen im Mittelmeer – und doch hat es das gerade mal 20 Quadratkilometer große Eiland zu einer großen und zumeist recht traurigen Berühmtheit gebracht: Seitdem die Flüchtlingszahlen aus Afrika und Kriegsgebieten wie Syrien massiv angestiegen sind, gilt Lampedusa als eine Art Vorposten Europas und zugleich aufgrund seiner Nähe zum afrikanischen Kontinent als jener Ort, den die Schlepper mit ihren Booten immer wieder ansteuern.

Und so gerät die eigentlich recht ruhige Insel immer wieder in die Schlagzeilen, wenn wieder einmal eine große Anzahl von Flüchtlingen den gefährlichen Weg übers Mittelmeer angetreten hat und dabei in Seenot geraten ist. Der in Eritrea geborene Filmemacher Gianfranco Rosi rückt aber bei seinen Impressionen in Fuocoammare nicht nur die Flüchtlingskrise in den Mittelpunkt, sondern schildert nebenbei das sogenannte „ganz normale Leben“ auf der Insel.

Diese scheinbare Normalität fängt er vor allem in Gestalt des zwölfjährigen Samuele ein, der hier heranwächst. Samuele wirkt klein für sein Alter und jünger, als er tatsächlich ist. Und doch scheint sich trotz seiner Unbekümmertheit die gesamte Last dieser menschlichen Tragödie direkt vor seiner Haustür zu befinden. Nicht dass Samuele dies selbst äußern würde, doch dem Zuschauer erscheint es so – und das liegt vor allem an der geschickten Montage, mit deren Hilfe Gianfranco Rosi scheinbar Alltägliches in einen größeren Zusammenhang packt: Wenn Samuele etwa eine Steinschleuder baut und danach mit einem Freund auf Kakteen schießt, in die die beiden Jungs vorher provisorisch Augen und Münder hineingeschnitzt haben, befällt einen sofort ein Unbehagen, weil es an die Abwehrreflexe vieler Europäer und an unselige Äußerungen wie die unlängst gefallenen Aussagen von AfD-Politikern und PEGIDA-Anhängern erinnert, die am liebsten auf die Flüchtlinge schießen würden. Oder wenn später bei dem Jungen eine Dysfunktion des linken Auges festgestellt wird, eine „Trägheit“, dann fragt man sich beinahe unwillkürlich, ob diese Trägheit des Nicht-sehen-Könnens und Nicht-sehen-Wollens nicht vielleicht derzeit ganz Europa befallen hat.

Das, was wir da nicht sehen wollen, bringt ein in Lampedusa praktizierender Arzt in einem Monolog auf den Punkt – es ist die einzige Szene, in der sich jemand direkt zu der humanitären Katastrophe äußert: Jeder, der sich Mensch nennt, so sagt der Doktor sinngemäß, kann angesichts der Bilder gar nicht anders, als helfen zu wollen. Eine ganz simple Botschaft der Humanität und Solidarität, die aber gerade in den letzten Wochen und Monaten immer wieder in Vergessenheit zu geraten scheint.

Dennoch spart Gianfranco Rosi nicht an harschen Bildern, die das Ausmaß der Katastrophe deutlich machen: Wenn überfüllte Boote mit total erschöpften Menschen und auf der Passage verstorbenen Leibern aus höchster Seenot gerettet werden, dann kommt einem unweigerlich der Ausdruck „Menschenfischer“ in den Sinn. Früher lebten die Menschen in Lampedusa vor allem vom Fischfang, ein Handwerk, das der Vergangenheit anzugehören scheint. Denn heute sind es vor allem Menschen, die aus dem Meer gezogen werden.

Mit solchen Assoziationen, Strategien und Fundstücken verknüpft der bei der Berlinale mit einem Goldenen Bären ausgezeichnete Fuocoammare / Fire at Sea (dessen Titel auf einen sizilianischen Schlager verweist, der irgendwann einmal gespielt wird) nur scheinbar Banales mit aktueller Weltpolitik und erreicht gerade durch diese Kombination eine Wirkkraft, die vielen zwar gut gemeinten, aber nicht gut gemachten Filmen über Flucht und Migration gänzlich abgeht.
 

Seefeuer (2016)

Lampedusa, die größte der zwischen Tunesien und Italien gelegenen Pelagischen Inseln, ist eigentlich ein kleiner und recht unbedeutender Steinhaufen im Mittelmeer – und doch hat es das gerade mal 20 Quadratkilometer große Eiland zu einer großen und zumeist recht traurigen Berühmtheit gebracht: Seitdem die Flüchtlingszahlen aus Afrika und Kriegsgebieten wie Syrien massiv angestiegen sind, gilt Lampedusa als eine Art Vorposten Europas und zugleich aufgrund seiner Nähe zum afrikanischen Kontinent als jener Ort, den die Schlepper mit ihren Booten immer wieder ansteuern.

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