Schattenmenschen

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Der befreite Habenichts

Wenn ein Film über Obdachlose oder Prostituierte erzählt, will er in der Regel soziale Missstände anprangern. Schattenmenschen weicht von dieser Linie ein wenig ab und begibt sich bei den Außenseitern der bürgerlichen Gesellschaft auf die Suche nach dem, was im Leben wirklich zählt. Fürsorge, Weisheit, Kontemplation und Lebensfreude sind die Gaben, die der alte ehemalige Professor Paul (Peter Reinwarth), der seit 23 Jahren auf der Straße lebt, mit seinen Freunden teilt.
Der weißhaarige Mann ist belesen und notiert auf seinen Wegen durch den städtischen Park und entlang des Flusses in seinem Büchlein die Weisheiten und Aphorismen, die er aufschnappt oder sich ausdenkt. Fast täglich begegnet er seinen obdachlosen Gefährten, dem Iraner Ahmed (Ali Kamrani) und seinem jüdischen Freund Jakob (Iacov Grinberg), sowie Kathrin (Michaela Wein). Aber Pauls beste Freundin ist die junge Prostituierte Isabel (Giuliana Tirziana de Carlo), die bei ihm platonische Geborgenheit findet. Zu dieser Gemeinschaft stößt der tschechische Pianist Vaclav (Petr Kuschmitz), der wegen seines Alkoholproblems Familie und Wohnung verloren hat. Paul bemüht sich, den begabten Musiker von der Straße wegzubringen und verhilft ihm zu Auftritten in Kneipen. Aber in diesen Beziehungen aus der Bahn geworfener Menschen wiegen Enttäuschungen besonders schwer.

Ähnlich wie die Charaktere geht auch das Filmprojekt einen steinigen Weg. Es wurde ohne öffentliche Fördergelder, ohne Budget in jahrelanger Kleinarbeit verwirklicht. Regisseur Darioush Shirvani, ein gebürtiger Iraner, der in München lebt, fungiert auch als Drehbuchautor, Produzent, Kameramann und Komponist. Ende April und im Mai nehmen einige wenige Kinos in Bayern den im Eigenverleih startenden Film ins Programm. Shirvani, der in Deutschland auch als Musiker bekannt ist, drehte hier bereits drei Kurzfilme sowie den Dokumentarfilm Die menschliche Situation. Im Iran konnte er in den achtziger Jahren bis zu seiner Flucht fünf Spielfilme vollenden und einen sechsten drehen.

Wenn Paul mit seinen Freunden spricht, werden philosophische Fragen verhandelt über die Fallstricke des Erfolgs, das Glück der Selbstgenügsamkeit oder das Wesen der Freiheit. Die Obdachlosen machen keinen Hehl aus ihrer Vorliebe für den Alkohol, sie haben sich mit ihrer Situation pragmatisch arrangiert und beweisen gelegentlich Humor. Vor allem Paul verweigert sich dem Klischee des trostlosen Verlierers. Wenn die Prostituierte Lydia (Giulia Sophia Young) ihrer Freundin Isabel vorhält, Paul sei doch nur ein alter Habenichts, erwidert diese, er gebe ihr neuen Lebensmut. Paul versorgt sie auch mit Büchern. In dieser Freundschaft findet Isabel aus der Rolle der ausgenutzten, manipulierten Frau heraus.

In der Person von Paul, besonders in seiner poetisch-gelehrten Ausdrucksweise, vereinen sich westliche Romantik und eher persisch anmutende, metaphernreiche Erzählkunst. Mit Paul und seinen Freunden richtet sich der Blick skeptisch auf den Preis, den die Gesellschaft von ihren angepassten Mitgliedern verlangt. Die ungehobelte, ganz und gar nicht perfekte Machart des Films schärft den Blick, macht ihn empfänglich für Bereiche der Realität, die sonst gewohnheitsmäßig übersehen werden. Gelegentlich eingestreute Stilelemente wie Überblendungen oder Voice-Over korrespondieren mit der inhaltlichen Poesie ebenso wie die melodiösen Kompositionen Shirvanis.

Eher holprig-harte Schnitte und das unvermittelte Auftreten der Personen hingegen verstärken den naiven Charme der Geschichte. Manchmal fühlt man sich sogar entfernt an die Kurzfilme von Karl Valentin erinnert. Mit dem Münchner Komiker des frühen 20. Jahrhunderts hat Shirvani tatsächlich zwei Dinge gemeinsam, nämlich die Sympathie für die Menschen am unteren Ende der gesellschaftlichen Skala, sowie die Schwierigkeit, die eigenen Filmprojekte zu finanzieren.

Schattenmenschen

Wenn ein Film über Obdachlose oder Prostituierte erzählt, will er in der Regel soziale Missstände anprangern. „Schattenmenschen“ weicht von dieser Linie ein wenig ab und begibt sich bei den Außenseitern der bürgerlichen Gesellschaft auf die Suche nach dem, was im Leben wirklich zählt.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen