Rückkehr ans Meer

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Die doppelte Geburt

Francois Ozon war schon immer ein Spezialist für ungewöhnliche Beziehungen: für die Spannung zwischen den Figuren, die unerwartete Energien freisetzt. In seinem vorletzten Film Ricky – Wunder geschehen kam das vielleicht nicht so deutlich zum Vorschein. Aber nun ist er mit Le Refuge wieder ganz auf der Höhe seiner Kunst. Eine sonnendurchflutete Selbstfindung in traumhafter Meeresstimmung.
Ozon erzählt von Mousse und Paul, einem Paar, das eigentlich nicht zueinanderfinden kann, aber sich in der Abgeschiedenheit eines großzügigen Ferienanwesens ganz nahe kommt. Mousse ist heroinsüchtig und hat gerade Louis, ihren ebenfalls abhängigen Geliebten, durch einen gepanschten Schuss verloren. Sie selbst überlebt nur knapp und erfährt im Krankenhaus, dass sie Louis’ Kind im Bauch trägt.

Paul ist Louis’ schwuler Bruder. Eigentlich hatte er zu dem Verstorbenen keine gute Beziehung. Und eigentlich will Louis’ Familie von Mousse nichts wissen. Trotzdem taucht Paul plötzlich in dem Ferienhaus auf, in das sich Mousse zurückgezogen hatte, um ihr Leben neu zu ordnen. Es beginnt ein Kammerspiel der Gefühle und eine Symphonie der Lebensfreude.

Ozon hat seinen jüngsten Film sehr musikalisch angelegt, mit Leitmotiven, kreisenden Wiederholungen und dezenten Steigerungen. Über einen melancholischen Grundton setzt er heiter-entspannte Melodien. Und er feiert ein Thema, das er schon in Ricky angeschlagen hatte: das Wunder der Geburt, das langsame Heranreifen im Mutterleib, die Magie eines dicken Bauches. Immer wieder trifft Mousse auf wildfremde Menschen, die die Schwangere wie eine Göttin verehren. Gewiss, das sind humorvoll angelegte Szenen. Aber hinter der ironischen Distanz lässt Ozon ein Anliegen durchblicken, das dem schwulen Filmemacher auch ein persönliches sein dürfte: den Wunsch Homosexueller nach einem Baby.

Was sich da allerdings zwischen Mousse und Paul abspielt, ist zunächst überhaupt keine süßliche Liebesgeschichte. Es ist eher die Erzählung von zwei seelenverwandten Menschen, die niemals zusammenkommen können. Von zwei Planeten, deren Umlaufbahnen sich für eine kurze Zeit streifen. Und die für einen Moment innehalten, gemeinsam Luft holen, weil sie nicht mehr weiter wissen in ihrem Leben. Kann sein, dass da zwei Einsame und Verlorene miteinander ringen. Aber Ozon erzählt das fern aller Tragik, in einem anti-depressiven, freudentrunkenen Ton. Er verlässt sich ganz auf die beiden Personen und das Beziehungsgeflecht, das dadurch entsteht, dass Paul einen Mann kennenlernt und ihn mit ins Ferienhaus bringt.

Es ist eine zweifache Geburt, die den Film prägt. Das langsame Anwachsen des Bauches geht einher mit neuen Lebensentwürfen, die sozusagen noch verkapselt heranreifen. Das geht nicht ganz ohne Schmerzen ab, ist aber in diesem Film ein erstaunlich entspannter, irgendwie erholsamer Prozess. Fast scheint es, als sei damit auch der Filmemacher Francois Ozon ein Stück zu sich zurückgekehrt. Weg von den Genre-Anleihen hin zu einer Geschichte, die sich allein aus der Dynamik der Figuren erklärt. Und aus der unvergleichlichen Raffinesse des Regisseurs, diese Kraftfelder so anzulegen, dass sie mit ständig neuen Wendungen aufwarten.

Rückkehr ans Meer

Francois Ozon war schon immer ein Spezialist für ungewöhnliche Beziehungen: für die Spannung zwischen den Figuren, die unerwartete Energien freisetzt. In seinem vorletzten Film „Ricky – Wunder geschehen“ kam das vielleicht nicht so deutlich zum Vorschein.
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