Room 237 (2012)

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Der Teufel sitzt im Detail

Die Kunst, einen Film in all seinen subtilen Anspielungen und Symboliken vollends zu durchdringen, ist denjenigen vorbehalten, die auch vor den absurdesten Interpretationen nicht zurückschrecken. Room 237 zeigt eine eindrucksvolle Bandbreite von Lesarten eines einzigen Films, namentlich The Shining von Stanley Kubrick. Fünf nicht näher vorgestellte Protagonisten berichten von ihren ganz persönlichen Eindrücken und Theorien, die mal mehr, mal weniger überzeugen.

Setzt sich Stanley Kubrick in seiner Steven King Verfilmung The Shining mit dem Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern auseinander? Oder doch eher mit dem Holocaust? Oder ist der gesamte Film ein kodierter Hilfeschrei des Regisseurs, der darauf hinweisen möchte, dass er die angeblichen Videoaufnahmen der Mondlandung von 1969 in einem Hollywood Studio inszeniert hat?

Rodney Ascher, der Regisseur des hier besprochenen Dokumentarfilms, stellt all diese Meinungen nebeneinander, ohne eine eigene Stimme zu entwickeln. Insofern ist Room 237 eine Art filmische Anthologie, ein Sammelband für verschiedenste Interpretationen und Assoziationen zu Kubricks The Shining. Der Buchform ist dieser Film insofern klar überlegen, als dass er das Forschungsobjekt unmittelbar mit einbringen kann. Einzelne Sequenzen des Thrillers werden mehrfach wiederholt, Frame für Frame oder rückwärts abgespielt. Dabei fungieren die „Autoren“ lediglich als weitgehend anonyme Sprecher. Werden sie zu Beginn noch namentlich vorgestellt, können wir ihre Stimmen im späteren Verlauf des Films immer schwerer auseinanderhalten. Weder dürfen wir ihr Gesicht sehen, noch gibt uns Rodney Ascher einen Hinweis auf ihren Hintergrund. So verhindert er eine Hierarchisierung der Stimmen, eine Einteilung in Profi und Freak, erschwert es aber gleichzeitig auch, die verschiedenen Theorien voneinander abzugrenzen und in ihrer Gänze zu erfassen.

Diese unkommentierte Nebeneinanderstellung unterschiedlicher Ansätze funktioniert also nur teilweise. Manche Ideen fallen bei uns auf fruchtbaren Boden, andere lassen uns die Augenbrauen heben oder gar lachen. Dabei ist es wohl sehr vom einzelnen Zuschauer abhängig, mit welcher Theorie er sich ernsthaft auseinandersetzen und welche er lediglich als Schwachsinn abtun möchte. In dieser Subjektivität wird auch schnell die Beliebigkeit einer solchen Filmanalyse deutlich. Es scheint, als ließe sich nahezu alles auf alles projizieren. Hat man sich erst auf einen Subtext eingeschossen, ist es ein Leichtes, überall Hinweise zu finden, die diese These untermauern. Kurz vor Schluss gesteht sich Room 237 dies auch selbst ein, in dem einer der Sprecher die postmoderne Filmanalyse als Herangehensweise erklärt, die versteckte Bedeutungen und Botschaften unabhängig von der Intention des Filmemachers begreift. Oder anders gesagt: Nur weil Kubrick hier nicht über die Mondlandung sprechen wollte, heißt dass noch lange nicht, dass er es nicht tut!

Rodney Ascher ersetzt die Gesichter seiner Sprecher, die in einer gewöhnlichen Dokumentation sicherlich im Zuge einer Interviewsequenz gezeigt worden wären, durch thematisch passende Filmausschnitte, die teilweise aus anderen Kubrick-Filmen stammen, in ihrer Mehrheit jedoch mit The Shining auf den ersten Blick nichts zu tun haben. Das darüber gelegte Voice-over wirkt stellenweise amateurhaft. Die Tonqualität lässt zu wünschen übrig und an einer Stelle muss der Sprecher seinen im Hintergrund nörgelnden Sohn reglementieren. Auch wenn dies freilich eine Parallele zu Stanley Kubricks Film darstellt, irritiert dieser plötzliche Wechsel vom Sachverständigen zur Privatperson doch sehr.

Mit einer klar in Kapitel unterteilten Struktur versucht Rodney Ascher seiner Stimmensammlung Struktur zu verleihen, was jedoch nur im Ansatz gelingt, denn nicht immer bilden diese einzelnen Abschnitte auch thematische Entitäten. Zudem droht der Zuschauer durch die weniger plausiblen Theorien auch den Respekt gegenüber den naheliegenden Ideen zu verlieren. So büßt Room 237, der natürlich nach dem unheilvollen Hotelzimmer in The Shining benannt ist, im Verlauf deutlich an Überzeugungskraft ein.

Rodney Ascher kann mit seinem außergewöhnlichen Dokumentarfilm zweierlei erreichen. Er zeigt seinem Publikum, wie detailliert ein Film analysiert und hinterfragt werden kann und versetzt es durch Stanley Kubricks Genialität und Liebe zum Detail ins Staunen. Gleichzeitig könnte er aber auch die gesamte Filmanalyse diskreditieren, wenn diese hier vom amüsierten Zuschauer als reine Projektion individueller Lieblingsthemen (Holocaust, Genozid, Mondlandung) interpretiert wird. Vermutlich sind die Reaktionen auf Room 237 einfach ebenso vielseitig und subjektiv wie die dargestellten Interpretationen von The Shining.
 

Room 237 (2012)

Die Kunst, einen Film in all seinen subtilen Anspielungen und Symboliken vollends zu durchdringen, ist denjenigen vorbehalten, die auch vor den absurdesten Interpretationen nicht zurückschrecken. „Room 237“ zeigt eine eindrucksvolle Bandbreite von Lesarten eines einzigen Films, namentlich „Shining“ von Stanley Kubrick. Fünf nicht näher vorgestellte Protagonisten berichten von ihren ganz persönlichen Eindrücken und Theorien, die mal mehr, mal weniger überzeugen.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen