Ricky - Wunder geschehen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Als bei der diesjährigen Berlinale der mit großer Spannung erwartete neue Film von Francois Ozon Ricky – Wunder geschehen im Rahmen des Wettbewerbs gezeigt worden war, herrschte nach der Premiere des Films eine Art verwunderte Ratlosigkeit, Heiterkeit, aber teilweise auch eine spürbare Verstörung. Wohin man auch blickte, gab es exaltierte Gesichter und die allermeisten Kritiken ergingen sich anschließend in Spott und Häme. Gerecht wird das diesem Film jedoch und zum Glück bei weitem nicht. Ricky erzählt die Geschichte einer Familie aus einfachsten Verhältnissen, der unverhofft Magisches widerfährt. Katie (Alexandra Lamy), die allein erziehende Mutter von Lisa (Mélusine Mayance) lernt in der Fabrik, in der sie arbeitet, Paco (Sergi Lopez) kennen und lieben. Als sie schwanger wird, scheint das neue Glück perfekt. Doch dann ist Paco einfach verschwinden. Und das Kind, das sie zur Welt bringt, entwickelt plötzlich seltsame Fähigkeiten — dem kleinen Ricky (Arthur Peyret) wachsen nämlich Flügel. Doch kaum hat die Welt davon erfahren, reißt sich der kleine Engel von der Leine los und entflieht in die Freiheit…
Abgesehen von den magischen Elementen des Films, die der anfangs schweren und drückenden Sozialstudie schließlich eine eigentlich unfassbare Wendung samt schwebender Leichtigkeit verleiht, mag es Ozon diesmal doch sehr verrätselt und verschachtelt: Die Eingangsszene beispielsweise, in der wir Katie heulend bei einer Sozialarbeiterin sitzen sehen, lässt sich rückblickend zeitlich zwar nur schwer in die Geschichte einordnen und sorgt zwangsläufig für viele Spekulationen, wie diese Parabel einzuordnen ist. Unlogisch, nicht zu interpretieren oder unerklärlich ist dieser Film aber eben auch nicht.

Man kann Ozon vieles vorwerfen, eines aber mit Sicherheit nicht: Dass er nichts wagt. Vielmehr sehen wir hier etwas Frisches, Neues — ein Mix aus Ideen, eine Träumerei, die verschiedene Filmgenre überspannt und einem verwundert, berührt, aber auch amüsiert das Kino verlassen lässt. Ricky – Wunder geschehen ist ein Film, der geradezu dazu prädestiniert ist, Widerspruch herauszufordern. Immer wieder führt der Regisseur sein Publikum auf falsche Fährten, wiegt es in trügerischer Sicherheit, um dann in einem radikalen Kurswechsel alle Erwartungen zu konterkarieren. Auf diese Weise liegen bei Ricky – Wunder geschehen das Tragische und das Komische, Trauer, Amüsement und das ganz normale Leben wie selbstverständlich dicht beieinander und wechseln sich munter ab. Und gerade dass Ozon seine Geschichte eben nicht mit einer Botschaft ausstattet, die jeder sofort versteht, sorgt dafür, dass dieser Film noch lange im Gedächtnis bleibt und zum Nach- und Weiterdenken anregt. In Zeiten wie diesen ist allein schon das ein kleines Wunder.

Wer weiß – vielleicht ist der deutsche Titel des Films Ricky — Wunder geschehen ja auch eine kecke Herausforderung an den Zuschauer, sich auch im Kino niemals sicher sein zu können, dass nicht doch etwas Seltsames und vollkommen Überraschendes geschehen kann. Im Film wie im Leben. Denn Wunder gibt es immer wieder. Und dieser Film gehört definitiv dazu.

(Michael Spiegel)

Der Fantasie wachsen Flügel
Normalerweise kann und muss man von einem Regisseur wie Francois Ozon im Wettbewerb der Berlinale einiges erwarten. In dieser Hinsicht (und in nahezu jeder anderen auch) war Ricky der mit Abstand verwirrendste Film, der auf der Berlinale zu sehen war. Auch lange nach dem Ende der Pressevorführung wurde noch wild darüber spekuliert, was Ozon wohl mit seiner wunderlichen Mixtur gemeint haben könnte. Auch das ist natürlich eine Methode, sich selbst und seinen Film im Gespräch zu halten.

Der Film beginnt als Sozialdrama und lange Zeit glaubt man sich in einen Film der Gebrüder Dardenne (Lornas Schweigen) verirrt zu haben: Als die Fabrikarbeitern Katie (toll: Alexandra Lamy), allein erziehende Mutter einer siebenjährigen Tochter (Mélusine Mayance) den aus Spanien stammende neuen Kollegen Paco (Sergi Lopez) kennen lernt, ist schnell klar, dass er der neue Mann in ihrem Leben ist – was ihr Töchterchen gar nicht gut findet. Als Katie dann schwanger wird und den kleinen Ricky auf die Welt bringt, ist die Welt der Kleinfamilie zunächst in Ordnung. Aber nur für kurze Zeit: Denn Ricky ist ein sehr anstrengendes Kind, das viel schreit und damit die noch junge Beziehung zwischen Katie und Paco belastet. Hinzu kommt, dass der Junge auf einmal zwei merkwürdige Hämatome auf dem Rücken aufweist, was für Katie den Fall vollkommen klar erscheinen lässt: Paco, das steht für sie fest, misshandelt den Jungen. Als sie ihn zur Rede stellt, verlässt der die gemeinsame Wohnung, so dass Katie sich von nun an ganz alleine um zwei Kinder kümmern muss. So weit, so gut, möchte man meinen. Doch dann kommt die überraschende Wende. Die Hämatome nämlich waren nicht das Produkt von väterlicher Gewalt, sondern die ersten Anzeichen, dass Ricky kein normales Kind ist – ihm wachsen nämlich Flügel. Die sehen anfangs aus wie quicklebendige Hühnerschenkel, bekommen dann später Federn, so dass der Junge statt Laufen zuerst das Fliegen erlernt. Trotz aller Versuche, das Geheimnis für sich zu behalten, bekommen die Öffentlichkeit und die Medien Wind von der Sache. Und auch Paco steht plötzlich wieder vor der Tür. Beim ersten öffentlichen AusFLUG des Jungen passiert dann das Unglück. Katie lässt – sei es nun aus Versehen oder mit Absicht – die Schnur los, die Ricky sichern soll, so dass der Kleine entschwindet und fortan seine eigenen Kreise zieht…

Wie gesagt, die Interpretationen für diesen Film, der sich vom düster-finsteren Sozialdrama in eine zunehmend absurder werdende Geschichte um Behinderung, Andersartigkeit, Abschied und (vielleicht) Tod wandelt, sind vielfältig. Und keine davon ist wirklich zwingend, zumal Ozon einige der ausgelegten Fährten nicht auflöst und so einiges im Unklaren bleibt. Vielleicht war alles, wie es das Schlussbild andeutet, ja nur ein Traum. Im Kino jedenfalls wachsen der Fantasie manchmal Flügel – und so mancher Absturz ist damit – wie in diesem Falle – quasi einprogrammiert.

Ricky - Wunder geschehen

Als bei der diesjährigen Berlinale der mit großer Spannung erwartete neue Film von Francois Ozon Ricky – Wunder geschehen im Rahmen des Wettbewerbs gezeigt worden war, herrschte nach der Premiere des Films eine Art verwunderte Ratlosigkeit, Heiterkeit, aber teilweise auch eine spürbare Verstörung.
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Meinungen

jojo · 03.08.2009

schade würde den film ganz sehen ,wo gibt es den ?????