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Er ist der Mann, wenn’s lichterloh brennt: Ken Feinberg, Profession Star-Anwalt. Denn der bekannteste Mediator der USA hat sie erfunden, die Formel zur Vermessung des Menschen, zumindest im juristischen Sinne. Karin Jurschick hat ihn porträtiert und möchte wissen: Was ist ein Menschenleben wert?

Playing God (2017)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Better call Ken  

Ursprünglich wollte er ja eigentlich Schauspieler werden. Aber heute kennt man ihn als den Mann, der die Formel zur Vermessung des Menschen erfunden hat: Kenneth R. Feinberg, 72, Profession: Star-Anwalt, ist ein charismatischer Mann, der in USA gleichsam geliebt wie gefürchtet wird. Und schauspielerisches Talent – gepaart mit großer Überzeugungskraft und fachlicher Cleverness – ist nicht die schlechteste Eigenschaft in dem Gewerbe der Juristerei.

Sein markantes Konterfei findet sich nicht nur regelmäßig – und äußerst prominent – in zahlreiche Wirtschaftsmagazinen dieser Welt. Kaum ein Monat vergeht, in dem er nicht schon wieder als Mediator für das nächste große Ding angefragt wird: Egal ob es sich dabei im aktuellen Fall um Ausgleichszahlungen für Betroffene des VW-Diesel-Abgasskandals dreht oder in der Vergangenheit um staatliche Entschädigungen für Hinterbliebene der 9/11-Opfer von 2001 handelte.

Oder anders formuliert: Sobald irgendwo auf dem Globus Terroristen brutal zuschlagen, irgendwelche bad banks auf den internationalen Finanzmärkten wieder einmal gehörig ins Strudeln geraten sind oder milliardenschwere Konzerne vor Mikrofonen gewichtige Versäumnisse eingestehen (müssen), schlägt seine Stunde: Ken Feinberg ist immer einer der ersten, der in politischen, ökonomischen oder sozialen Extremsituationen von den US-Medien für O-Töne angefragt wird.

Seine Expertisen zählen in der Branche, die Liste seiner Erfolge ist lang – und trotzdem hat er offensichtlich überhaupt kein Problem damit, im jeweiligen Katastrophenfall beispielweise von der wirtschaftlichen Seite, sprich BP, bezahlt zu werden und gleichzeitig Entschädigungszahlungen für die Opfer der gigantischen „Deepwater Horizon“-Ölpest im Golf von Mexiko auszuhandeln.

Gerade diese besonders intensiven, von Grund auf paradoxen Momente sorgen dafür, dass Karin Jurschik mit Playing God nicht nur ein exzellentes Dokumentarfilmportait über den so genannten „master of disaster“ gelungen ist, sondern zugleich auch eine brillante Gesellschaftsstudie über den Wert des Einzelnen in einer mittlerweile vollkommen neoliberal agierenden, beinahe komplett durchtechnisierten und alles in allem extrem gierigen Wirtschaftswelt westlicher Prägung, die speziell in den vergangenen 30 Jahren bereits mehrfach am Abgrund stand.

Dabei ist die preisgekrönte Filmemacherin (Krieg und SpieleDie Wolke, Tschernobyl und die Folgen), die im Oktober Heiner Stadler als hauptamtliche Professorin für Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik an der HFF München beerbt hatte, dem Portraitierten wie seiner menschlichen Aura im Zuge seiner täglichen, höchst spezifischen Arbeit und obendrein mit sorgsam recherchierten Archivmaterial insgesamt erstaunlich nahegekommen.

Am besten zeigt sich dies bei öffentlichen Veranstaltungen im Angesicht aufgebrachter US-Bürger, die gerade um ihre Altersbezüge bangen und heftige Einschnitte befürchten müssen. Zusammen mit Timm Langes präzise erzählenden Kameraeinstellungen und Anika Simons ansprechender Montage ergibt sich hier das facettenreiche Bild eines manchmal geradezu janusköpfigen Mannes, der es einerseits qua Auftrag allen recht machen möchte, aber selbstverständlich parallel auch seine ganz eigenen Interessen verfolgt. Trotzdem nimmt er sich, ganz Profi eben, selbst unter Termindruck stets rasch noch Zeit für ein Kurzinterview hier oder ein gutes Wort mit Handschlag da, ehe er in den Privatjet einsteigt und zu seiner nächsten Mission aufbricht.

Dass er in der Sache ebenso hart wie erfolgreich sein kann, hatte er bereits als junger Anwalt Mitte der 1980er Jahre bewiesen: Mit einem überraschenden big deal zwischen Agent-Orange-Herstellern aus der US-Chemieindustrie und tausenden erkrankten Vietnam-Veteranen. Seither gilt er nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch unter Fachexperten als der Entschädigungsspezialist weltweit – mit einer glasklaren, betont nüchternen Sprache: „In unserer Gesellschaft ist es das Geld, das Unrecht zumindest lindern soll.“

Alles andere scheint ihn, den gewieften Zahlenakrobaten, persönlich weniger zu interessieren, „aber so ist das amerikanische System“, in dem er nach eigener Aussage lediglich geltendes Recht anwendet: Im Sinne des Finanzministeriums versteht sich, vom dem er sich in einigen spektakulären Fällen extra dafür anheuern ließ.

Dafür muss er in seiner Heimat regelmäßig viel Lob einstecken, nicht selten vom jeweils amtierenden US-Präsidenten höchstpersönlich! Aber auch genauso oft reichlich Kritik – und mitunter sogar ziemlich bösartige – von unzähligen Opferverbänden, Wirtschaftslobbyisten, Gerichtsgutachtern oder Fachjournalisten, die dem streitbaren Feinberg Kaltschnäuzigkeit, gar blanken Zynismus vorwerfen.

Und wie reagiert der Privatmann Feinberg auf all diese Aufregung? Er schließt sich abends am liebsten zu Hause ein, sucht sozusagen bewusst den persönlichen Eskapismus in all dem Weltschlamassel um ihn herum: „Es ist eine Flucht. Tagsüber sehe ich das Schlimmste der Zivilisation: Tod, Zorn, Frustration, Tragödien.“ Vor dem Fernseher, der stumm geschalten ist, ruht sich dann der Mensch hinter dem Kalkulator aus. In diesem grotesk anmutenden Kosmos dröhnen anschließend Wagner, Mahler oder Brahms zu den Bildern des Tages aus der Musikanlage, ehe der Tag zu Ende geht – und morgen schon wieder die nächste Mission auf Feinberg wartet: Die Entschädigungszahlungen für die Opfer der katholischen Kirche in New York. Oh Gott! Hört das denn nie auf?

Playing God (2017)

Karin Jurschiks Dokumentarfilm Playing God begleitet den amerikanischen Anwalt Ken Feinberg, der für die finanzielle Wiedergutmachung von Opfern der tragischsten Ereignisse Amerikas (die BP Ölkatastrophe, Sandy Hook, 9/11) zuständig ist.

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