Paradies: Liebe

Eine Filmkritik von Festivalkritik Cannes 2012 von Beatrice Behn

Auf der Suche nach dem Glück

Die pubertierende Tochter und die Katzen werden kurzerhand bei einer Freundin abgestellt, denn für die ist jetzt keine Zeit. Teresa (bravourös dargestellt von Margarethe Thiesel) fährt in Urlaub. Endlich weg aus dem kalten, miefigen Österreich und hinein ins exotisch-warme Kenia. Am Land an sich ist sie eher nicht interessiert, wohl aber am separierten, überwachten Resort mit Strandabschnitt, an dem die weißen Urlauber auf der einen Seite bewegungslos in der Sonne braten, während auf der anderen einheimische Strandverkäufer bewegungslos darauf warten, dass sich eine/r von ihnen auf die andere Seite verirrt. Die Fronten sind klar: schwarz/weiß, reich/arm, aber auch Mann/Frau.
Wie schön sie sind, diese „Neger“ und sie riechen so gut nach Kokosnuss, stellen Teresa und ihre rastalockige Freundin alsbald fest. Diese weiß auch Rat gegen Teresas Einsamkeit und Liebessehnsucht. Ein schwarzer Mann wird’s richten, die haben nicht so viele Ansprüche, sind gut gebaut und — um es mit Gloria Fürstin von Thurn und Taxis zu sagen — „der Neger an sich schnakselt ja gerne.“ Schnakseln, denkt sich Teresa wär nicht schlecht, doch vor allem will sie Liebe, jemand, der ihr in die Augen schaut und ihr Innerstes sieht, denn ihr Äußeres, so ist sie sich sicher, lockt keinen Mann mehr hinterm Ofen hervor. Zumindest keinen Europäer. Anfänglich zaghaft, doch bald sehr fordernd, versucht Teresa ihr Glück und begibt sich auf die Suche nach einem Mann.

Paradies: Liebe ist der erste Teil einer Trilogie des Österreichers Ulrich Seidl und der Auftakt könnte stärker nicht sein. Anfänglich besticht der Film durch seinen trockenen Humor, der vor allem auf kleinen Alltagsepisoden und bildhafter, ja manchmal gar an Buster Keaton erinnernde Bildkomik beruht. Die Absurdität des alltäglichen Menschen zu zeigen, genau das erwartet man ja auch von Seidl. Diese Art der Entlarvung ist Teil seiner Handschrift. Doch das ist nur die Oberfläche des Filmes. Darunter brodelt es gewaltig. Seidls Film entpuppt sich nach und nach als knallharter Sozialkommentar und vor allem als Film, der bis zum bitteren Ende dabei bleibt, der seine Geschichte konsequent durchkonjugiert. Je länger man Teresa folgt, desto schwieriger wird das hinsehen und aushalten. Aber es muss eben auch einmal ordentlich wehtun.

Der Balanceakt, den Seidl dabei leistet, ist enorm. Es wäre ein leichtes, sich als Regisseur mit moralischen Maßstäben oder emotional distanziert dem Thema und den Protagonisten zu nähern. Es wäre ebenso ein leichtes die Frauen und die Einheimischen abzustempeln und in Schubladen zu packen. Es wäre so einfach einen Film zu liefern, bei dem der Zuschauer erhaben sein kann über diese peinlichen Menschen, denn wir würden so etwas natürlich nie tun. Nichts davon beliefert Seidl. Im Gegenteil, Paradies: Liebe stellt zwar aus, macht sich aber nie über seine Figuren lustig oder erniedrigt diese. Vielmehr nivelliert der Film auf intelligente und recht subtile Art alle Beteiligten — den Zuschauer und den Regisseur eingeschlossen. Alle sind ein bisschen hässlich, alle sind Opportunisten auf die eine oder andere Art.

Wie komplex die Geschichte ist, lässt sich allein am detailliert observierten Werdegang Teresas von der einsamen Frau zur Sextouristin begreifen. Der Film beginnt mit einem starken Bild. Teresa arbeitet beruflich mit geistig Behinderten. Eingeführt wird sie als die Regeln bestimmende Kraft. Ihre Zöglinge sind auf dem Jahrmarkt, sitzen fein aufgereiht in Autoscootern und warten auf ihr Zeichen, um kontrolliert unkontrollierten Spaß zu haben. Sie ist die Zeremonienmeisterin. Zuhause ist sie ebenfalls die kontrollierende Figur. Ihre Tochter hat ihren Anweisungen zu folgen, tut sie es nicht, wird Teresa doch sehr ungehalten. Diese kleinen Episoden vor dem Urlaub werden nicht umsonst gezeigt. Es ist nicht weit von Behinderten und pubertären Töchtern, die in Abhängigkeit leben, hin zum Leben als „Sugar Mama“ in Kenia. Das System ist das Gleiche. Die klischeehaften Vorstellungen vom Zauber Afrikas, der diesem unterliegende Rassismus und der noch immer vorhandene Kolonialismus, der sich jetzt politisch korrekter Tourismus nennt, sind die Katalysatoren. Und so ist es letztendlich Teresa, die sich ihren Traum vom Mann, der ihr in die Augen sieht, zwangserfüllt. Wenn der Mann es nicht so tut, wie sie es will, so bringt sie es ihm eben genauestens bei. Denn bei ihr daheim küsst man mit Zunge (in Kenia ganz und gar nicht Brauch) und streichelt den Busen (erst einen, dann den anderen, dann beide) anstatt ihr in die Nippel zu „zwickerln“. Teresa dominiert ihre „Boys“ wie ihre Behinderten, wie ihre Tochter. Was dabei verloren geht, und zwar auf beiden Seiten, ist der Mensch, der zu Körper und Objekt verkommt.

Und hier wird Paradies: Liebe noch spannender. Denn es ist nicht nur der „arme schwarze Mann“, der Objekt der Begierde wird. Die Ausbeutung beruht auf Gegenseitigkeit. Wenn Teresa sich ins Haus ihrer Liebhaber einladen lässt, ist sie genauso nur Objekt eines Mannes. Sie hat das Geld, er hat den Penis. Doch Seidl geht weiter. Auch der Zuschauer spielt mit — anfangs als opportunistischer Voyeur, der sich ergötzt am Spießbürgertum und den naiven Träumen dicker Frauen mittleren Alters. Doch alsbald ist man fast Teil der Damenrunde, die sich junge Männer aufs Zimmer bestellt, die eigenen Vorurteile spuken im Kopf. Es wird unangenehm, der Film bleibt nicht auf der Leinwand, er wandert in den Kopf. Selbst Seidl wird in gewisser Hinsicht mit zum Ausbeuter, schließlich lässt er kenianische Männer vor der Kamera auf Betten tanzen, mit kleinen Schleifchen um ihren Penis, während vier kreischende Frauen (und letztendlich das gesamte Kinopublikum) ihre Körper anstarren. In einigen Momenten kann man ihnen ihr Unwohlsein genau vom Gesicht ablesen. Ob sie wissen, dass ihre Penisse gerade in Cannes vor einem ausverkauften Saal gezeigt werden?

Trotzdem muss man Seidl zur besonderen Körperlichkeit seines Werkes gratulieren, denn er präsentiert Körper auf der Leinwand, die so fast gar nicht in Kino und Fernsehen vorhanden sind. Die Frauen sind mittleren Alters, großbusig und übergewichtig, der Gegenentwurf zum filmischen Bild der Frau. Die Präsentation ihrer nackten und vor allem sexualisierten Leiber, der Kontrast zu den nackten, dunklen Körpern der Männer (die hier interessanterweise niemals Lust zu haben scheinen) ist ein Anblick, der verstört. Nicht weil sie so hässlich sind. Im Gegenteil, es wird vielmehr klar, dass man so etwas gar nicht mehr zu sehen bekommt und dass man selbst auch bald mittleren Alters und sehr wahrscheinlich untersetzter Natur sein wird. Und dann? Vielleicht ein Kenia-Urlaub?

(Festivalkritik Cannes 2012 von Beatrice Behn)

Paradies: Liebe

Die pubertierende Tochter und die Katzen werden kurzerhand bei einer Freundin abgestellt, denn für die ist jetzt keine Zeit. Teresa (bravourös dargestellt von Margarethe Thiesel) fährt in Urlaub. Endlich weg aus dem kalten, miefigen Österreich und hinein ins exotisch-warme Kenia. Am Land an sich ist sie eher nicht interessiert, wohl aber am separierten, überwachten Resort mit Strandabschnitt, an dem die weißen Urlauber auf der einen Seite bewegungslos in der Sonne braten, während auf der anderen einheimische Strandverkäufer bewegungslos darauf warten, dass sich eine/r von ihnen auf die andere Seite verirrt. Die Fronten sind klar: schwarz/weiß, reich/arm, aber auch Mann/Frau.
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Meinungen

Cindy · 04.12.2013

Schade,der Film Paradies Liebe wurde zu krass dargestellt, ich bin Kenyakenner seit 30 Jahren.
Ich würde sogar behaupten , dass dieser Film dem Tourismus schadet.
Nur ein Beispiel aus meinen Keniaferien:
Ich persönlich kann am Strand entlang gehen, ohne dass ich belästigt werde, d.h ohne Begleitung von Schwarzen, ohne dass mir jemand etwas verkaufen will etc.

Wirklich schade, dass Einzelfälle für die Allgemeinheit verwendet wurden.

Josh · 29.01.2013

nicht nachzuvollziehen , wie so ein derart billig gemachter film solche wellen schlägt - sex sells - kann nur daran liegen

Susan Sontag · 18.01.2013

Ja, und? ... wieder ein öder Beitrag mehr. Man kann uns Feministinnen der dritten Generation alles mögliche nachsagen, nur nicht, dass wir keinen Sinn für Humor hätten, bitteschön.
Jemand der sich daran labt, einsamen Europäerinnen dabei zuzusehen, wie sie sich mit allen Mitteln das nehmen, was sie meinen, das ihnen zustehe und dabei über dünne, schwarze Schwänze steigen, läßt mich ein Gelächter anstimmen. Wenn auf der anderen Seite nicht todernst (und voyeristisch) und filmisch (männlich) deutlich bei allem Leid und der damit verbundenen Verringerung der sozialen Chancen der so Etikettierten verharrt würde, wäre „Paradies Liebe“ saukomisch. Was wir sehen, ist der Versuch der weiblichen Befreiung, egal um welchen Preis, und dem ist immer, ich betone immer zuzustimmen. Freud hat erkannt, dass Frauen eine Sexualität haben. Die durften sie ja vorher nicht haben. Die Triebe als positive erotische Kraft: Erst sie bringen das Leben weiter. Wir wären ja längst ausgestorben. Nur ist eben leider kaum einer begabt, jedenfalls kein Mann, das im Film viel stärker zu betonen, leider auch nicht die Frau im Fall der Rezension von Frau Beatrice Behn (total verblendet). Veränderungen (Emanzipation) könnten mittels Analyse zumindest ermöglicht werden. Gut, der Film versucht sich wenigstens als Analyse. Nur ist eben leider kaum einer begabt, Filme zu machen. Aber das Sprechen muss so aufrichtig sein wie nur möglich. Wenn Sprache verdeckt, anstatt nach Wahrheit zu suchen, dann hat der Film keine Qualität. Frauen, fangt an, über Geld zu sprechen, über Macht und Bildung. Über Sexualität kann jeder reden.

Spasiba · 15.01.2013

Zu unserer Schande als Europäer habe ich in der Tat solche Frauen (und Männer) an den afrikanischen Stränden gesehen und getroffen. Dieser Film habe ich eher wie ein Dokumentar gesehen. Es zeigt, was Europäer erwarten, die an solchen Touristischen Anlagen das Paradies in Afrika hoffen. Arme Afrikaner haben schnell verstanden, wie sie sich die Einsamkeit der geschiedenen europäischen Frauen und Männer zu Nutze machen können, um an Ihr Geld oder/und an einem Visum zu gelangen. Daß jeder dabei seine Ehre und Seele verliert, vergisst jeder Partei zu schnell.

Unvergessen · 14.01.2013

Das läuft nicht nur in Westafrika so, auch im Norden des Landes werden viele europäische Frauen Opfer. Aber es sind nicht nur die dicken, hässlichen Frauen, wie hier beschrieben. Und vor allem - und dies sei besonders erwähnt - sind die Opfer nicht die Frauen, die sich bewusst dem sogenannten Sextourismus aussetzen. Nein, es sind die Frauen, die völlig unbedarft in diese Falle tappen, und das bedeutet nicht, dass es sich um dumme, naive Frauen handelt. Es ist schwer sich dem Zauber und der unbeschreiblichen Macht, die sich unbemerkt auf diese Frauen zubewegt, zu entkommen.
Keiner, der es nicht selber erlebt hat, sollte urteilen. Und keiner wird das Leid, dass auch Jahre später noch zu spüren ist, auch nur annähernd erahnen können.
Wer es geschafft hat, dieser Hölle, die sich ja eigentlich als Himmel darstellte, zu entkommen, wird sich immer schuldig fühlen. Er wird nicht aufhören können zu weinen, über die Schuld, die er mit sich trägt, über das, was er seiner Familie angetan hat. Und er wird in jedem Wort, jeder Andeutung einen Angriff spüren, gegen sich selbst - und das wird sein Leben verändern, ihn zerstören. Wie eine Strafe, die es ihm von Stund an verbietet glücklich zu sein und vergessen zu dürfen!

Renate Dubbert · 08.01.2013

Sehr guter Film!
Ich war 10x in Westafrika und habe genau diese gegenseitige Ausbeutung beobachtet. Leider verstehen die meisten weissen Frauen überhaupt nicht, wie das generell zwischen Männer und Frauen abläuft in Afrika, Verbindlichkeit entsteht auf jeden Fall nicht durch Sexualität, Romantik und Liebe sind europäische, aber keine afrikanischen Ideale. Das Alter zwischen weissen Frauen und schwarzen Männern spielt wirklich keine Rolle, Du bist als weisse Frau immer "eine 6 im Lotto" für den afrikanischen Mann, den bedeutest Reichtum.

Dirk · 06.01.2013

Unverständlich, das dieser Film den Weg in die Kinos geschafft hat. Mit unglaublicher Arroganz stellt Seidl die Frau als dumm, unsensibel, grob und noch dazu dick dar - wie um alles in der Welt erträgt Mann/Frau ein solches Frauenbild? Bravorös dargestellt von Margarete Thiesel, bitte wo? Es wird ein so plumpes und so dümmliches Bild der Frau dargestellt, das es fast wehtut, dem zu folgen. Die Dramaturgie und Bilder haben das Niveau eines Oberstufenkurses, mehr nicht. Alles, wirklich alles wird verkürzt und unbeholfen dargestellt, und die gebotenen ärmlichen Gefühle und Sehnsüchte liessen sich in 3 Minuten abrollen. Nein, einfach schlecht, peinlich dumm, unerträglich plump.

Tiroland · 05.01.2013

Habe mir den Film mit meiner Freundin angesehen, habe mir nichts erwartet .

War positiv überrascht meine Freundin auch, Kinobesucher =Alter so wie wir 42 +

waren auch guter Laune und positiv drauf.

Cinderella · 03.01.2013

Thema des Filme ist sehr gut gewählt, der Rest eher mäßig. Selten so langweilige Liebhaber gesehen - Afrikaner sind durchaus in der Lage Frauen mit Worten zu umgarnen und die richtigen Stellen zu streicheln um Frau um den Verstand zu bringen ( und somit ans Geld) - vermisse ich in diesem Film.

H.o.U. · 03.01.2013

Meisterhafte Kritik! Bravo, Frau Behn!

Tinz · 02.01.2013

Kein Spannungsaufbau, stattdessen werden dem Zuschauer lediglich perverse Bilder alternder, wohlgenährter Frauen demonstriert, die nichts anderes im Sinn haben, als für Geld von dunklen Penen befriedigt zu werden.

Sophie · 16.07.2012

Hallo ich bräuchte ganz dringen den film, wo kann ich mir den anschaun bzw kaufen??

Rantje Wagener · 23.05.2012

Die Vorschau ist interessant, werde mir den Film sicherlich einmal ansehen.

Da ich stark mit dem Thema Kenia Urlaub vertraut bin, bin ich gespannt was der Film bietet.

lg Rantje