Our Idiot Brother (2011)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Willie Nelson trifft Dolly Parton

Manche Leute sind einfach zu gut für diese Welt. Sie gehen durchs Leben mit einer kindlichen Naivität und einem Vertrauen in die Menschen, dass jene es kaum glauben können. Weil sie selbst ganz anders sind. Sie selbst nennen das erwachsener, doch in Wirklichkeit könnte man es auch egoistischer nennen, selbstsüchtiger, misstrauischer. Solch ein guter Mensch, solch eine reine Seele ist der Hippie Ned Rochlin (Paul Rudd), der eigentlich keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Dass er dennoch gleich zu Beginn des Films im Knast landet, ist eher ein Versehen und – natürlich – seiner Gutgläubigkeit zuzuschreiben. Denn wer verkauft schon allen Ernstes einem uniformierten Polizisten Dope, nur weil der einen so treuherzig anschaut und beschwört, dass die Woche eine ganz besonders harte gewesen sein. Nun, Ned fällt darauf herein und wandert prompt hinter Gitter.

Als er nach einigen Monaten entlassen wird, hat sich seine Freundin Janet längst mit einem anderen, noch begriffsstutzigeren Typen eingelassen, so dass Ned keine Bleibe mehr hat. Und noch viel schlimmer: Seinen Hund Willie Nelson darf er auch nicht mehr sehen, denn die Trennung, so findet Janet, sei dem Hund seelisch nicht zuzumuten. Also muss Ned, ohne Dach über dem Kopf und nahezu pleite, vorerst bei seiner Mutter (Shirley Knight) und dann anschließend reihum bei seinen drei Schwestern Miranda (Elizabeth Banks), Liz (Emily Mortimer) und Natalie (Zooey Dischanel) unterschlüpfen, die ihn eigentlich alle gar nicht haben wollen. Denn für sie ist der Bruder seit jeher „ein Niemand“, wie Miranda es einmal ausdrückt, ein retardierter Idiot, der allein kaum lebensfähig ist und der ein normales Zusammenleben nur stört.

Zugegeben, aus ihrer reichlich beschränkten Sicht mögen die drei Schwestern recht haben. Andererseits zeigt Ned ohne jede Absicht seinen Schwestern ihre eigenen Grenzen und Defizite auf. Denn was er im Überfluss hat – Liebe, Gutherzigkeit, Vertrauen, – das fehlt ihnen auf verschiedene Weise…

Spöttisch würde man diese Figuren, denen Jesse Peretz in seinem gut gelaunten Film Our Idiot Brother ganz behutsam auf die Schliche kommt, wohl nennen. Liz beispielsweise, deren Mann Jeremy einen Dokumentarfilm dreht und sich prompt mit seiner Protagonistin einlässt, ist ein linksalternatives Muttertier, das Jodie Fosters Rolle in Roman Polanskis Der Gott des Gemetzels in frappanter Weise ähnelt: Stets um political correctness und Nachhaltigkeit selbst in Erziehungsfragen bemüht, lebt sie genauso wie ihr Bruder in einer eigenen Welt, in der sie von den echten Problemen des alltäglichen Lebens längst nichts mehr mitbekommt. Auch Miranda, die ihr Glück als Journalistin versucht und dabei vor unlauteren Methoden nicht zurückschreckt, erscheint nur unwesentlich verdichtet als geradezu prototypisch für unsere Zeit. Und Natalie, die zwischen lesbischer Identität und gegenläufigen Tendenzen des Begehrens hin- und her gerissen zu sein scheint, bildet eine weitere Facette des unglaublich kompliziert gewordenen Lebens des 21. Jahrhunderts ab.

Gegen diese milden bis mittelschweren Neurosen und mitten in sie hinein setzt Peretz diese wunderbare und mit viel Sympathie gezeichnete Figur von Ned, der trotz Vollbart und Zottelmähne wie ein zu groß geratenes Kind durchs Leben stolpert, der stets nur das Beste will und dabei nichts als Chaos verursacht. Aber ist das wirklich so? Ist er in seiner befreiend offenen Art nicht viel eher ein Katalysator, der die Lebenslügen seiner Schwestern offenlegt? Unbedingt – auch wenn Liz, Miranda und Natalie eine ganze Weile benötigen, um das einzusehen und viel mehr noch – sich einzugestehen.

Mit exzellenter Musikuntermalung, feinem Humor und viel Liebe zum Detail nimmt Jesse Peretz in seinem Film eine Szene aufs Korn, die man sonst in amerikanischen Filmen eher selten zu sehen bekommt – zuletzt waren solche linksalternativen Gutmenschen wie bereits erwähnt in Der Gott des Gemetzels oder auch The Kids Are All Right von Lisa Cholodenko zu sehen. Bei allem Spott ist Our Idiot Brother aber kein Film, der diesen alternativen „american way of life“ ernsthaft durch den Kakao oder gar durch den Schmutz zieht.

Bei so viel Herz erwärmender Sympathie und allgemeinem Harmoniestreben darf es freilich nicht wundern, wenn die gemeinschaftliche Einsicht in die Wichtigkeit der Rolle Ned fürs das Familiengefüge recht flott und ohne große Brüche oder Verwerfungen über die Bühne geht und das Skript selbst für Ned (und seinen treuen Begleiter Willie Nelson) so etwas wie ein Happy End bereithält. Man muss aber auch zugeben, dass man das selten jemandem so sehr gewünscht hat wie diesem Teddybär mit dem Herzen am richtigen Fleck.
 

Our Idiot Brother (2011)

Manche Leute sind einfach zu gut für diese Welt. Sie gehen durchs Leben mit einer kindlichen Naivität und einem Vertrauen in die Menschen, dass jene es kaum glauben können. Weil sie selbst ganz anders sind. Sie selbst nennen das erwachsener, doch in Wirklichkeit könnte man es auch egoistischer nennen, selbstsüchtiger, misstrauischer. Solch ein guter Mensch, solch eine reine Seele ist der Hippie Ned Rochlin (Paul Rudd), der eigentlich keiner Fliege etwas zuleide tun kann.

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