Oskar Werner - Ich durfte am Tisch der Götter sitzen

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Zerschellt an der Wirklichkeit – und sich selbst

„Schalt’ die Kamera ein, ich erzähl’ dir mei’ Leben“. Oskar Werner spricht: die erste Sensation. 1984, quasi ein letztes Mal, das ist die zweite Sensation, denn wenige Monate später war er bereits tot. Und dazu noch vor einer Kamera, was einer dritten Sensation gleichkommt – und in der Tat mitunter atemberaubend ist: Schließlich gab der größte österreichische Theater- und Filmstar des letzten Jahrhunderts doch ein Leben lang kaum Interviews, erst recht keine allzu langen.
Winkler Film ist es nun zu verdanken, dass dieses rare – und filmgeschichtlich hoch interessante – Zeit-Dokument aus den frühen 1980er Jahren zum ersten Mal als DVD erschienen ist: Ich durfte am Tisch der Götter sitzen heißt Mathias Pramls einstündiges, äußerst intimes Schauspieler-Portrait, in dem zu 99 Prozent Oskar Werner von sich und von anderen, über sich und eine heute fern anmutende Zeit erzählt. Ironisch-gewitzt tut er das an einigen Stellen („Nur so deppert von links nach rechts wie a Schaufensterpuppen schauen … Des hab‘ ich ned g’macht!“), aber auch gewohnt egomanisch-anmaßend: „Da war ich schon wieder größenwahnsinnig und arrogant“. Wenn allerdings der zur Entstehungszeit längst verglühte Burgtheater-Megastar noch einmal ansetzt, Goethe, Shakespeare oder Rilke zu zitieren, dann kann einem das durchaus in der Gegenwart noch Tränen in die Augen treiben …

Was war das doch für eine einmalige Begabung, die dieser Oskar Josef Bschließmayer einst in sich trug! Und wie hatte er sich seit den späten 1960er Jahren systematisch selbst zerstört! Nicht nur durch ein Glaserl „Weißen“ zu viel des Guten… Und nicht nur durch seine heiß geliebten „Tschicks“… Sondern ebenso aufgrund seines selbstgewählten Einbunkerns im Liechtensteiner Luxus-Domizil, wo unliebsame Zaungäste am Türschild folgendermaßen „begrüßt“ wurden: „Gewähret, dass ich ersuche, bitte keine unangemeldeten Besuche!“

So verwunderte es am Ende kaum noch jemanden, dass jener früher überirdisch rezensierte Theater- und Filmgott in den letzten – obendrein recht zähen – zwanzig Lebensjahren zusehends vereinsamte: Als hoch depressiver Misanthrop und Kulturpessimist, der zum Ende hin – analog beispielsweise zu Maria Schell früher und Helmut Berger heute – immer mehr in gänzlich anderen Sphären unterwegs war. Letztlich als gebrochener, kranker Mann, der lediglich in der Vergangenheit existierte – und sich in der Gegenwart nicht mehr zurechtfinden konnte.

Der 1922 in Wien-Gumpernsdorf geborene Jahrhundertschauspieler war eben zeit seines ebenso ruhmreichen wie skandalträchtigen Lebens wahrlich kein einfacher Zeitgenosse: Über 300 Rollenangebote soll er abgelehnt haben, um „die Filmkunst nicht zu entweihen“, wie er das einmal ausdrückte. „Andere spielen James Bond, ich spiele den Prinzen von Homburg“ ist ein weiterer legendärer Oskar-Werner-Satz, der im Kern sehr viel über dieses ausnahmslos gschlamperte Genie verrät.

Egal ob als nervöser Hamlet, als so genannter „Jahrhundert-Don-Carlos“ – immerhin an der Seite von Werner Krauss (!), dem damals größten Theatermimen seiner Zeit -, ob als intellektueller Torquato Tasso oder als hitziger Kleistscher Heros: Mit der ihm gegebenen Mixtur aus Weichheit und Aggressivität, aus Filou-Charme und knallharter Entschlossenheit im Blick wie in der Sprache, gelang dem 1945 desertierten Gefreiten im Nachkriegstheater eine Zeit lang schier alles. Kein Wunder, dass sich parallel schnell die ersten Filmangebote häuften – und Oskar Werner schließlich in den 1950er und frühen 1960er Jahren zu einem der bekanntesten Schauspieler des Planeten aufstieg: Mit Hollywood-Vertrag in der Tasche, gleich neben einem Golden Globe, einer Oscar-Nominierung und einem französischen Filmpreis.

Eine kurze Zeit lang galt der Wiener Blondschopf, der in einem Moment wie ein Barock-Engel dreinschauen und im nächsten schon wieder wie ein wild gewordener Derwisch toben konnte, als das größte männliche Jugendidol seiner Generation: Gleich neben James Dean, Horst Bucholz oder Gérard Philippe. Fortan drehte der unglaublich wählerische Wiener nur noch mit Regiegrößen wie Anatole Litvak (Entscheidung vor Morgengrauen), Georg Wilhelm Papst (Der letzte Akt), Max Ophüls (Lola Montez), Stanley Kramer (Das Narrenschiff) oder François Truffaut (Jules und Jim, Fahrenheit 451). Und kein Geringerer als Stanley Kubrick wollte ihn ein Leben lang als Napoleon besetzen, im vielleicht gigantischsten Film, der nie gedreht wurde. Noch so eine Oskar-Werner-Anekdote…

Und nachdem ihn der zweifache Oscar-Preisträger Spencer Tracy schlichtweg den „besten Schauspieler der Welt“ genannt hatte, gab es in der durchweg schwierigen Gedankenwelt des Oscar W. kein Halten mehr: Egomanie, Eitelkeit und eine Reihe von Kapriolen begleiteten den kurzzeitigen Über-Schauspieler fortan auf Schritt und Tritt, machten seine eigenen Fußabdrücke auf der Bühne wie vor einer Filmkamera immer bleierner, bis eines Tages Mathias Praml mit Mini-Equipment anmarschieren sollte – sozusagen zum letzten Gefecht: Mit dem Zuschauer wie der Kritik, mit der unwirklich gewordenen Realität im Jahre 1984 – und mit all den angesammelten Theater- und Filmdämonen aus über vierzig Berufsjahren.

Vor der Linse saß nun ein gebrochener Mann, einer mit Stoppelbart und Strubbelfrisur, dessen Alkoholfahne förmlich zu riechen war. Der einerseits vom göttlichen „Wolferl“ und dessen unkaputtbarer Musik schwärmen konnte, andererseits aber auch von Heinrich Himmler als Bach-Interpreten zu berichten wusste, der gleichzeitig „sechs Millionen Juden totgemacht“ hatte. Oskar Werner ruft wie nebenbei noch einmal viele Namen der europäischen Theaterextraklasse ins Gedächtnis: Werner Krauss, Gustav Waldau, Hedwig Bleibtreu oder Raoul Aslan, seinen Trauzeugen. Mitten im Zweiten Weltkrieg hatte Werner, der überzeugte Pazifist, eine Halbjüdin geheiratet, nachdem er vom Reichsarbeitsdienst abgezogen worden war.

Dann erzählt er wieder im nächsten Moment von der ewigen Suche eines Schauspielers wie Regisseurs nach dem richtigen „G’spür“ für dieses sehr spezielle Metier, ehe er auf „Scheißfilme“ zu sprechen kommt, Hans Moser unnachahmlich verulkt oder plötzlich von Parapsychologie schwadroniert…. Schluck, das nächste Glaserl ist geleert, der nächste Erinnerungsfetzen leuchtet auf… So könnte das ewig weitergehen. Kein Problem: Schließlich spricht hier ein Gott zu uns. Ein ziemlich menschlicher dazu — Faust und Mephisto in einer Person.

Oskar Werner - Ich durfte am Tisch der Götter sitzen

„Schalt’ die Kamera ein, ich erzähl’ dir mei’ Leben“. Oskar Werner spricht: die erste Sensation. 1984, quasi ein letztes Mal, das ist die zweite Sensation, denn wenige Monate später war er bereits tot. Und dazu noch vor einer Kamera, was einer dritten Sensation gleichkommt – und in der Tat mitunter atemberaubend ist: Schließlich gab der größte österreichische Theater- und Filmstar des letzten Jahrhunderts doch ein Leben lang kaum Interviews, erst recht keine allzu langen.
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