Oskar und die Dame in Rosa

Eine Filmkritik von Lena Kettner

Hallo Mister Gott, hier spricht Oskar

„Der Grundunterschied zwischen Jugend und Alter bleibt immer, dass jene das Leben im Prospekt hat, dieses den Tod: dass also jene eine kurze Vergangenheit und lange Zukunft besitzt, dieses umgekehrt,“ stellte Arthur Schopenhauer in seinen 1844-1850 verfassten Aphorismen zur Lebensweisheit fest.
Doch der kleine Oskar muss sich in Oskar und die Dame in Rosa mit seinem nahenden Ende bereits zu einer Zeit auseinandersetzen, in der seine Altersgenossen die unbeschwerten Jahre ihrer Kindheit genießen dürfen. Denn der 10-jährige ist unheilbar an Leukämie erkrankt. Heimlich wird er Zeuge eines Gesprächs zwischen seinen Eltern und dem behandelten Arzt und erfährt, dass alle medizinischen Therapieversuche bei ihm fehlgeschlagen sind. Durch eine falsch verstandene Art von Rücksicht von Seiten des Klinikpersonals und seiner Eltern, die sich in übertriebener Fürsorge und dem Schweigen über das Unausweichliche äußert, fällt es den Erwachsenen immer schwerer, einen Zugang zu dem todkranken Kind zu finden. Da lernt Oskar Rose kennen, die im Film glücklicherweise nicht als gutmütige, ältere Krankenschwester besetzt wird, wie sie der französische Regisseur Eric-Emmanuel Schmitt in seiner gleichnamigen Romanvorlage aus dem Jahr 2002 zeichnete. Hier ist sie eine geschiedene und vom Leben enttäuschte Frau mittleren Alters, die lediglich das Krankenhaus besucht, um einen Abnehmer für ihren neugegründeten Pizza-Lieferservice zu finden und nach einer Begegnung mit Oscar unfreiwillig zu dessen Vertrauensperson auserkoren wird.

Nach dem Erfolg von Odette Toulemonde (2007) verfilmte Schmitt, der vor allem als Dramatiker und Romancier bekannt ist, mit Oskar und die Dame in Rosa zum wiederholten Male einen seiner Romane selbst. In dieser Erzählung steht nicht nur wie so oft wie in Schmitts Werken ein Kind im Fokus des Geschehens, Oskar und die Dame in Rosa weist auch autobiographische Züge auf. Schmitt, der selbst als Kind schwer erkrankte, fühlte einst dieselbe Ohnmacht gegenüber dem Schweigen der Erwachsenenwelt wie seine Romanfigur.

Rosig ist in dem Leben seiner Filmfigur Rose allenfalls die Farbe ihres Kleides, mit dem sie Abwechslung in den grauen Krankenhausalltag bringt. Doch trotz beruflicher und privater Enttäuschungen hat sie den Glauben an Gott nie verloren und so schlägt sie Oskar vor, Briefe an diesen Gott zu verfassen, in denen er seine Ängste und Gedanken offenbaren kann. Während Schmitts Romanvorlage an vielen Stellen wie ein arg konstruiertes, rührseliges Kinderbuch für Erwachsene wirkt und Oskars philosophische Ansichten über die Welt für einen 10-jährigen wenig glaubwürdig erscheinen, vermag es der Film, in einer gekonnten Leichtigkeit die Schönheit des Lebens darzustellen, die den Schmerz des Todes erträglicher macht. Der melancholische Grundtenor von Oskar und die Dame in Rosa wird an mehreren Stellen durch eine wohldosierte Prise Humor durchbrochen, die verhindert, dass der Film in ein Betroffenheitsdrama ausartet. Oskar und die Dame in Rosa schöpft seine große Kraft aus der schauspielerischen Harmonie seiner beiden Hauptdarsteller Michèle Laroque (Rose) und Amir Ben Abdelmoumen (Oskar).

Die Handlung konzentriert sich auf die innige Beziehung dieser beiden Menschen, die der Zufall vereint hat und deren schicksalhafte Begegnung entscheidend für den Verlauf ihres weiteren Lebens ist. In den letzten Tagen seines Lebens überredet Rose ihren Schützling, jeden Tag so zu leben, als entspreche dieser eine Tag einer Zeit von 10 Jahren. Traum und Realität verschmelzen bei Eric-Emmanuel Schmitt in einer poetischen und skurrilen Bildsprache, die an Filme wie Die fabelhafte Welt der Amélie (2001) erinnert. Der Regisseur erzählt aus kindlicher Perspektive vom Zauber der ersten großen Liebe, von Eifersucht, Krankheit und Einsamkeit. Beeindruckend und erschreckend zugleich ist dabei die Reife eines Erwachsenen, mit der ein kleiner Junge seiner Krankheit und seinem nahenden Tod begegnet. Gekonnt setzt Eric-Emmanuel Schmitt dabei auf eine pathetische Darstellungsweise, die jedoch die Grenze zum Kitsch wohltuenderweise nie überschreitet.

„Das, was dem Leben Sinn verleiht, gibt auch dem Tod Sinn“, sagte der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry. Am Ende ist Oskar nicht nur mit seinem Schicksal vereint, sondern hat Rose durch seine tiefe Liebe und sein Vertrauen zu einem neuen Menschen gemacht. Oskar und die Dame in Rosa ist eine Hymne an das Leben, ein Appell, jeden Tag so auszukosten, als wäre es der letzte. Ein Märchen voller Symbolkraft, das die schreckliche Gewissheit um die Endlichkeit des irdischen Daseins erträglicher erscheinen lässt.

Oskar und die Dame in Rosa

„Der Grundunterschied zwischen Jugend und Alter bleibt immer, dass jene das Leben im Prospekt hat, dieses den Tod: dass also jene eine kurze Vergangenheit und lange Zukunft besitzt, dieses umgekehrt,“ stellte Arthur Schopenhauer in seinen 1844-1850 verfassten „Aphorismen zur Lebensweisheit“ fest.
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