Oscar Niemeyer - Das Leben ist ein Hauch

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Leben wider den rechten Winkel

Unter den Architekten des an Lichtgestalten nicht gerade armen 20. Jahrhunderts ist der Brasilianer Oscar Niemeyer ohne jeden Zweifel einer der größten und einflussreichsten. Ganze Generationen von Baukünstlern wie etwa die weltweit gefeierte Zaha Hadid sind ohne den mittlerweile 102 Jahre alten Mann mit den deutschen Vorfahren überhaupt nicht denkbar. Der brasilianische Regisseur Fabiano Maciel hat dem Pionier der architektonischen Moderne, der bisher rund 600 Gebäude realisieren konnte und der auch noch im biblischen Alter aktiv ist, ein Porträt gewidmet – es ist angesichts der Verdienste Niemeyers längst überfällig. Auch wenn der Porträtierte sich selbst ganz anders sieht und der eigenen Bedeutung keinen großen Stellenwert beimisst: „Ich bin wie einer dieser alten Pessimisten. Ich glaube, dass das Leben nur einen kurzen Augenblick währt. Der einzelne Mensch ist nicht wichtig, er wird geboren und stirbt. Er muss seinen Blick zum Himmel erheben und fühlen, wie klein er ist. Er muss bescheiden sein und wissen, dass nichts wirklich wichtig ist. Das Leben ist ein Hauch, nur ein kurzer Augenblick.“
Widerständig war das Leben Niemeyers schon immer. Der Architekt, der sich bis zum heutigen Tage zum Kommunismus bekennt, und der auch ansonsten mit seiner Meinung zu Kollegen und zu gesellschaftlichen (Fehl-)Entwicklungen nicht hinterm Berg hält, ist aller Bescheidenheit zum Trotz auch heute noch ein bisweilen bissiger bis sarkastischer und manchmal etwas antiquiert wirkender Verfechter eines radikalen Humanismus, der den Menschen und nicht die Funktionalität als obersten Maßstab seines Bauens genommen hat. Was manchmal dann beinahe poetisch und entschieden pathetisch klingt: „Der rechte Winkel zieht mich nicht an, und auch nicht die gerade, harte inflexible Linie, die der Mensch geschaffen hat. Was mich anzieht, ist die freie und sinnliche Kurve, die ich in den Bergen meines Landes finde, im mäandernden Lauf seiner Flüsse, in den Wolken des Himmels, im Leib der geliebten Frau. Das ganze Universum ist aus Kurven gemacht. Das gekrümmte Universum Einsteins .“

Obwohl oder gerade weil während dieses Films zumeist Niemeyer selbst zu Wort kommt und sich der Regisseur jedes Kommentars enthält, ist es manchmal recht schwer, hinter den Äußerungen Niemeyers einen roten Faden auszumachen. Mal gibt sich der Architekt als scharfzüngiger Kritiker, dann wieder als durch und durch bescheidener Menschenfreund, mal rekurriert er auf den Geniebegriff, den er selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt, dann als Kommunist, für den allein das Kollektiv zählt, während das Individuum – und damit auch der Künstler sich den Bedürfnissen der Menschen unterzuordnen hat. Manches, was auf den ersten Blick als inkonsistent im Denken Niemeyers erscheint, dürfte aber auch dem Alter des Erbauers von Brasiliens Hauptstadt Brasilia, der 1987 aufgrund der aufregenden Formgebungen durch ihren Schöpfer der Status als Weltkulturerbe zuerkannt wurde, zuzuschreiben sein.

Mehr als zehn Jahre haben Fabiano Maciel und sein Produzent Sacha an dem Film über die Legende Oscar Niemeyer gearbeitet. An manchen Stellen des Films hat man das Gefühl, sie seien bei dieser langen Wegstrecken dem Menschen Niemeyer so nahe gekommen, dass eine kritische Distanz kaum mehr möglich war. Es ist das alte Dilemma von dokumentarischen Biographien wie diesen – zumal dann, wenn sie sich unbestreitbar großen Geistern wie dem Schöpfer so vieler Bauwerke widmen: Die Faszination für den Menschen und sein Werk überdeckt und verhindert ein kritisches Hinterfragen von Positionen und Haltungen, von Bekenntnissen und Meinungen. Dennoch: Wer sich für Architektur im Allgemeinen und für Oscar Niemeyer im Besonderen interessiert, der wird an diesem Film seine Freude haben.

Oscar Niemeyer - Das Leben ist ein Hauch

Unter den Architekten des an Lichtgestalten nicht gerade armen 20. Jahrhunderts ist der Brasilianer Oscar Niemeyer ohne jeden Zweifel einer der größten und einflussreichsten. Ganze Generationen von Baukünstlern wie etwa die weltweit gefeierte Zaha Hadid sind ohne den mittlerweile 102 Jahre alten Mann mit den deutschen Vorfahren überhaupt nicht denkbar.
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