National Bird

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Die Flugschatten der Drohnen

„There is a new national bird!“, verkündet die dröhnende Abspannmusik. Der Weißkopfseeadler hat als Nationalsymbol ausgedient, ein neuer Raubvogel ist zum Herrscher der Lüfte auserkoren: Das Zeitalter der Drohnen ist angebrochen. Für Regisseurin Sonia Kennebeck ist es ein stählernes Waffensystem, in dem die amerikanische Volksseele ihren Ausdruck findet. Sicherlich liegt eine bittere Ironie in dem Fluggerät mit gottgleichem Blick, das Hellfire-Missiles verschießt. Der Dokumentarfilm National Bird prangert die barbarische Drohnenpolitik der US-Armee an, erweist sich dabei aber oft eher als emotionales Kreuzfeuer denn als subtiler Präzisionsangriff.
Um die politischen Dimensionen der Problematik mit den persönlichen zu verbinden, wählt Kennebeck Aussteigerfiguren, die von ihren eigenen Erfahrungen berichten. Heather Linebaugh beispielsweise arbeitete jahrelang als Datenanalystin für das US-Drohnenprogramm, bis sie die US-Armee verließ. Mit Anfang zwanzig musste die junge Frau zahllose Entscheidungen über Leben und Tod treffen, nur selten war im Nachhinein klar, ob es die richtigen waren. Im Jahr 2013 kritisierte sie das Programm öffentlich und wurde zu einer der ersten Drohnen-Whistleblowerinnen. Ihre Anwältin Jesselyn Radack hat zuvor Persönlichkeiten wie Edward Snowden vertreten. Im Film schildert sie auch ihren Kampf mit einer posttraumatischen Belastungsstörung. Weil in den Augen vieler Entscheidungsträger nicht dieselbe Unmittelbarkeit wie bei stationierten Soldaten gegeben ist, wird das Leiden nur selten als solches anerkannt.

An Heathers Fall wird verdeutlicht, wie irrig die Wahrnehmung ist, durch den Drohnenkrieg würden Opfer auf der eigenen Seite vermieden. Die Regisseurin zeichnet das Bild einer Militärkultur, die moralische und seelische Wunden in ihren eigenen Reihen ignoriert. Nach außen wird mit martialischen Rekrutierungsvideos in Videospielästhetik geworben, im Inneren gehen Menschen an Konsolen auf eine morbide Highscore-Jagd. Heather berichtet von schießwütigen Kollegen, die ihre Datenauswertungen (handelt es sich bei den groben schwarzen Pixeln um harmlose Kinder oder bewaffnete Krieger?) nur zu gerne ignorieren. Der Film beschreibt Anreizsysteme (jedes erfolgreich attackierte Ziel hilft bei der Beförderung), die diese Gamification der Kriegsführung noch weiter vorantreiben.

Der Analyst Daniel (heute politischer Aktivist) bemängelt vor allem die Intransparenz des Programms. Als ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter ist er vertraut mit den Machenschaften der „Sicherheitsdienste“. Während der Dreharbeiten wird seine Wohnung ohne Ankündigung durchsucht. Seine Aussagen bleiben stets schwammig, genau wie seine Kollegen umgibt ihn eine große Unsicherheit. Was darf gesagt werden, was verletzt Gesetze und Verträge? Weil alle Talking Heads immer wieder an die Grenzen dessen stoßen, was sie überhaupt erzählen dürfen, entsteht eine konspirative Atmosphäre. Auch wenn er in den Medien thematisiert wird, bleibt der Drohnenkrieg ein Tabu. Er liefert eine neue Form von Zerstörungsbildern, die Distanz zum Gezeigten erlauben. Die Implikation ist dabei, dass die Menschen um die Verbrechen wissen, sie aber nicht glauben wollen. Eine der besten visuellen Ideen in einem sonst eher konventionellen Dokumentarfilm ist, dass die Regisseurin immer wieder auf ominöse Luftaufnahmen zurückgreift. Statt jedoch vertraute Wüstenszenerien zu zeigen, werden amerikanische Wohngebiete gefilmt als gelte es, dem Publikum zu drohen: Jeder kann zum Ziel werden. Was, wenn die Rollen vertauscht wären und wir von unsichtbaren Himmelswesen gejagt würden?

Mit der dritten Figur, Lisa, kommen schließlich auch die physischen Opfer der unbemannten Kampfmaschinen ins Bild: Die Insiderin reist nach Afghanistan, um mit den Überlebenden eines Angriffs zu sprechen, bei dem dutzende Zivilisten getötet wurden. Einheimische klagen ihr Leid und appellieren an das Mitleid ihrer westlichen Mitmenschen.

Gerade in solchen Sequenzen drängen sich oft allgemeine, ethische Fragen über das Wesen des Dokumentarfilms auf. Inwieweit darf und sollte ein solches Thema mit Emotionen aufgeladen werden? Muss die Kamera auf den Leichen ziviler Opfer verharren, auf den Beinprothesen von Kindern und auf den Tränen im Gesicht der merklich mitgenommenen Heather? Bedarf es drohender und rührender Klangteppiche, die dem Zuschauer verdeutlichen, was gerade zu fühlen ist? Kann sich politische Aufklärungsarbeit ein spürbares Sentimẹnt erlauben, das über eine einfache Haltung oft hinausgeht?

National Bird ist weder offensiv genug, um klar als aktivistisch erkennbar zu sein, noch ausgewogen genug für eine eindeutig journalistische Perspektive. Einige Aufnahmen von General McChrystal und die von Daniel vorgebrachte Erkenntnis, dass Drohnen schon in der nahen Zukunft ein bedeutsamer Teil des Alltagslebens sein werden, ergeben noch keinen neuen Blickwinkel. Ist es nicht die Pflicht kritischer Geister, die eigenen Weltanschauungen immer aufs Neue in Frage zu stellen? National Bird ist ein wirkungsmächtiges, aber etwas grobes Werkzeug. Kennebeck stellt die richtigen Fragen, richtet sie jedoch nicht immer an die richtigen Gesprächspartner. Gerade feine Unterscheidungen sind im Drohnenkrieg von höchster Bedeutung. Und das gilt für Dokumentarfilme im gleichen Maße.

National Bird

„There is a new national bird!“, verkündet die dröhnende Abspannmusik. Der Weißkopfseeadler hat als Nationalsymbol ausgedient, ein neuer Raubvogel ist zum Herrscher der Lüfte auserkoren: Das Zeitalter der Drohnen ist angebrochen. Für Regisseurin Sonia Kennebeck ist es ein stählernes Waffensystem, in dem die amerikanische Volksseele ihren Ausdruck findet. Sicherlich liegt eine bittere Ironie in dem Fluggerät mit gottgleichem Blick, das Hellfire-Missiles verschießt.
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