My Old Lady

Eine Filmkritik von Peter Osteried

Vom Theater auf die Leinwand

Auf Basis seines eigenen Theaterstücks hat Israel Horovitz auch das Skript für seine erste Regiearbeit – den Monolog 3 Weeks After Paradise über die Erlebnisse seiner Familie nach dem 11.9. außen vorgelassen – abgeliefert. Den Esprit, den seine Bühnenversion auszeichnet, konnte er für die große Leinwand aber nicht ganz einfangen.
Mathias (Kevin Kline) hat von seinem Vater eine Wohnung in Paris geerbt und möchte diese schnellstmöglich versilbern. Doch als er in Paris ankommt, muss er feststellen, dass die mehr als 90 Jahre alte Britin Mathilde (Maggie Smith) mit ihrer Tochter Chloe (Kristin Scott Thomas) in seiner Wohnung leben. Die alte Dame genießt nämlich ein lebenslanges Wohnrecht, und ihr ist eine Leibrente garantiert, für die nun Mathias aufkommen muss. Ein großes Problem für Mathias, der nicht mal das Geld für einen Rückflug nach New York hat, und noch dazu herausfinden muss, dass die Beziehung von Mathilde zu seinem Vater mehr als nur rein geschäftlicher Natur war…

Horovitz hat sein Stück aufgebrochen, er hat die Beengtheit der Bühne, auf der die Handlung nur innerhalb weniger Räumlichkeiten stattfindet, verlassen und zieht die Geschichte für die filmische Umsetzung größer auf. Damit einher gehen auch inhaltliche Veränderungen und eine Verlagerung des Schwerpunkts. Profitiert hat davon Kristin Scott Thomas, deren Figur weit ausführlicher gezeichnet ist als in der Bühnenversion.

Die große Stärke von Horovitz sind seine Dialoge. Sie sind spritzig, versickern in My Old Lady aber teils in drögen Szenen. Mit mehr als zwei Stunden Laufzeit gerät die Geschichte ins Mäandern, sie weicht von der roten Linie ab, ergeht sich in großen Schauspielmomenten, bei denen Kevin Kline und Maggie Smith sich gegenseitig die Bälle zuwerfen, wirkt aber häufig auch seltsam leblos. Geradeso, als ob die Geschichte bei der Transition von Bühne zu Leinwand Vitalkraft verloren hätte.

Das heißt aber nicht, dass My Old Lady nicht dennoch ein interessanter Kinobesuch sein kann. Denn das ist er, wenn man sich auf großes Schauspielkino einlassen kann und will. Das Mysterium um die gemeinsame Vergangenheit von Mathilde und Mathias‘ Vater gerät dabei zur Nebensache, zumal es so extrem überraschend ohnehin nicht ist. In erster Linie ist My Old Lady eine Gelegenheit für Kevin Kline, in einem Drama zu glänzen, das sich nicht immer auf seine eigene Kraft verlassen will und sich stattdessen in Pariser Impressionen ergeht, die Horovitz als filmische Bereicherung begriffen haben mag, die aber nur überflüssiges Ornament sind.

My Old Lady

Auf Basis seines eigenen Theaterstücks hat Israel Horovitz auch das Skript für seine erste Regiearbeit – den Monolog „3 Weeks After Paradise“ über die Erlebnisse seiner Familie nach dem 11.9. außen vorgelassen – abgeliefert. Den Esprit, den seine Bühnenversion auszeichnet, konnte er für die große Leinwand aber nicht ganz einfangen.
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Meinungen

Jens Hafner · 10.10.2023

Ich habe den Film gestern gesehen und war hell begeistert: Er ist ein seelenwarme Hommage an Paris, die Stadt der Liebe. Liebe heisst Leiden und Paris heisst: die Theatralik des Liebens und Leidens. Symbolik und Realismus, die ganze Dramatik zwischen Märchenwelt und Aufwachen in harter Wirklichkeit -darum geht es in dem Film. Die Begegnungen der Protagonisten, ihr Dialoge, ihre Sehnsüchte, Enttäuschen, Entscheidungen, ihre Verlorenheiten und Gewinne - Paris scheint zu schmunzeln bei all dem, was auch wunderbar mit den sinnierenden Spaziergängen von Kevin Kline entlang des Flussufers der Seine bei Notre-Dame gezeigt wird. Ein wichtiges Filmzitat aus dem Buch, dass die Tochter der "alten Lady" schrieb und Kevin Kline nicht begreift: "Die Seele pocht und singt - was soll das heissen?" Der ganze Film ist die Antwort darauf! Der Film ist ein Meisterwerk, stimmig in Kulisse, Musik, Dialogen, Inhalt und Darstellern -toll! Eine Trouvaille, durch und durch. Man möchte grad wieder mal nach Paris reisen...