Mülheim – Texas. Helge Schneider hier und dort

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Auf der Suche nach der wackeligen Perfektion

Helge Schneider sitzt in einem dunklen Studio, neben sich eine kleine elektrische Orgel, auf der er herumdudelt; und er wartet auf die Frage der Interviewerin. „Mich interessiert deine Freiheit. Das ist ja etwas, was man nicht mehr viel hat“ – darauf Schneider: „Freiheit muss man sich nehmen“, steht auf und geht.
Oder, später, ein anderer Versuch: „Wann hast du deine besten Ideen?“ – darauf Schneider: „Das ist doch uninteressant! Das find ich jetzt nicht gut“, steht auf und geht. Wobei bei diesem Versuch eines Dialogs Schneider im Garten in einer Badewanne liegt, die zudem noch zu klein für ihn ist, und sich das Aufstehen schwierig gestaltet, weil er offenbar nackig ist. Und sich erst einmal hinter einem aufgestellten Sonnenschirm umziehen muss.

Die Situationen erzählen in diesem Film viel mehr über Helge Schneider als die konkreten Aussagen, die Kommunikation klappt nicht, und die Form wird zum Inhalt. Andrea Roggon geht ihr Filmporträt über Helge Schneider mit viel Ehrgeiz an, hat auch viele Ideen, was wie umgesetzt werden könnte. Doch sie hat die Rechnung ohne ihr Beobachtungsobjekt gemacht: Schneider ist eigenwillig. Zwar bekommen wir eine nette Szene im Tonstudio, in der – durch die Filmmontage verknüpft – Schneider mit sich selbst Musik zu machen scheint. Doch oftmals gehen derartige von außen auf das Thema gegossene Einfälle ins Leere.

Und so sagt Schneider eben auch mal kurzfristig einen Termin ab, kurz vor dem Dreh von 00 Schneider: Im Wendekreis der Eidechse will er lieber alleine über die Inszenierung nachdenken; und er schippert sichtlich lustlos mit Roggon und der Kamera in einem Kahn über die Ruhr in seiner Mülheimer Heimat, kauderwelscht auf Pseudo-Französisch: „Jetzt hast du wieder ne tolle Stelle für deinen blöden Film.“ Immerhin hat Roggon ihn soweit gebracht, in Spanien, wo er ein Ferienhaus besitzt, ein bisschen den Quatschclown zu spielen, in der steppenartigen Landschaft ein paar Faxen zu machen und albern zu sein – Erkenntniswert hat diese Inszenierung wenig.

Nein: Andrea Roggon findet in Mülheim – Texas. Helge Schneider hier und dort keinen wirklichen, persönlichen Zugang zu Helge Schneider. Hoch anzurechnen, dass sie dieses Problem im Film selbst explizit verdeutlicht. Und ein Glück, dass sie für sich selbst ein größeres Gespür hat dafür, was Schneider ausmacht, was seine Kunst ausmacht, als im direkten Gespräch mit ihm. Und dass sie deshalb beobachten kann, sich ein Bild machen kann von Details. Dass sie weiß, wo es sich lohnt, hinzuschauen. Da reicht es schon, minutenlang die unbändig lachenden Zuschauer eines seiner Konzerte zu zeigen, um Schneider nahezukommen.

So sieht man beispielsweise Helge auf seiner kleinen Mülheimer Farm mit einem Traktor, er zieht einen Zirkuswagen(!) durch den schlammigen Rasen, bis dieser stecken bleibt und der Traktor vorne hochgeht, beinahe umkippt. Man sieht ihn am Laptop, wie er sehr konzentriert die Szenenauflösung des Filmdrehs plant. Man erhält Einblicke hinter die Kulissen von Alexander Kluges 10 vor 11-Improvisations-Show, in der Schneider in verschiedene Rollen schlüpft und – als diese andere Person – mit einem gehörigen Maß an Halbwissen sich den Interviewfragen stellt.

Und man erlebt Helge Schneider bei einer Probe mit seiner Band. Wie genau er jeden Fehler hört, jeden zu lange verzögerten Einsatz, jeder falsche Hopser des Bassisten wird angemahnt: „Das hast du falsch gemacht!“ – „Hast nicht hingeguckt, ich geb Zeichen!“ Und dann ein abendlicher Konzertmitschnitt, in dem Schneider seine Band am Gängelband führt: „Ich habe extra Fehler eingebaut“ – wodurch er seine Klaviermelodie zu „Hast du eine Mutter“ extra holprig gestaltet, so dass seine Band in höchster Konzentration fehlerlos den Fehlern folgen muss.

Schneider, das zeigt sich, ist ein Perfektionist, der das Unperfekte ganz genau kalkuliert, der die Freiräume, die er braucht, exakt abgrenzt und dabei stets die Kontrolle behalten will. Das gilt insbesondere für die Improvisation. Einmal erleben wir am Nachmittag vor einem Konzert mit, wie Schneider zum ersten Mal Butterscotch begegnet, einer jungen amerikanischen Beatbox-Künstlerin, die mit ihrem Mund eine Art Percussion-Sound improvisiert; und die abends mit ihm auf der Bühne steht. Jetzt ist er es, der ihren musikalischen Vorgaben folgt, wie wir zuvor seine Band gesehen haben, die seiner Führung nachkommen musste. Er stimmt sich auf sie ein, befindet sich nicht in der Führungsposition – und hat aber doch merklich stets die Kontrolle des äußeren Rahmens des Konzertes inne.

Auf Umwegen, hintenrum, kommen wir dem Künstler Helge Schneider dann doch nahe in diesem Film. Dann, wenn die Regisseurin nicht mit der Tür ins Haus fällt, sondern durchs Hinterfenster reinlugt. „Ich suche die Perfektion“, sagt Schneider einmal, „aber ich meine meine eigene Perfektion. Die kann auch wackelig sein: Ein perfekt wackeliger Tisch hält einen auf Trab.“ Mülheim – Texas. Helge Schneider hier und dort von Andrea Roggon ist ein wackeliger Film – perfekt wohl nicht im Sinne der Regisseurin; aber in vielen Teilen perfekt, wenn es direkt und ungeschminkt um Helge Schneider geht.

Mülheim – Texas. Helge Schneider hier und dort

Helge Schneider sitzt in einem dunklen Studio, neben sich eine kleine elektrische Orgel, auf der er herumdudelt; und er wartet auf die Frage der Interviewerin. „Mich interessiert deine Freiheit. Das ist ja etwas, was man nicht mehr viel hat“ – darauf Schneider: „Freiheit muss man sich nehmen“, steht auf und geht.
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Meinungen

BEn · 09.05.2015

"in vielen Teilen perfekt, wenn es direkt und ungeschminkt um Helge Schneider geht." Dann hat die Regisseurin doch alles richtig gemacht. Ob zufällig oder beabsichtigt ist doch völlig egal. Wenn der Film am Ende doch die Ziele der Regie erfüllt. Das ist Kritik der Kritik wegen und ich lese diese Kritik sehr kritisch ;)

Robert B. · 24.04.2015

Danke für diese tolle Kritik, einfach danke.
Weiter so!