Milk (2008)

Eine Filmkritik von Monika Sandmann

Dokumentarisch, authentisch, bewegend

Mit Milk legt Gus van Sant ein formidables Stück Zeitgeschichte der 70er Jahre vor. Basierend auf der Autobiografie von Harvey Milk schildert er den Aufstieg und das tragische Ende des ersten offen homosexuellen Stadtrats in Kalifornien und zeigt en passant die Geschichte der Schwulenbewegung von 1970 bis 1978. Dabei verknüpft er zeitgeschichtliches Archivmaterial mit fiktionalem Drama. Ein gelungener Coup. Denn das Dokumentarische erdet den Film im Authentischen.

Dank der großartigen Leistung von Kostüm, Danny Glicker, Maske, Steven E. Anderson und der Art-Abteilung unter Charley Beal, gehen beide Teile eine kongeniale Einheit ein. Das zeigt der Abspann mit Fotos der echten Protagonisten und denen der Darsteller in ihren Rollen. Der Abspann bringt außerdem den Dokumentarteil mit Informationen über den weiteren Lebensweg der einzelnen Menschen zu Ende.

Roter Faden der Geschichte ist Milks Tonband-Aufzeichnung, die er an seinem Küchentisch aufnimmt. Kurz vor seinem gewaltsamen Tod. Tatsächlich ist das Material für die Öffentlichkeit gedacht. Denn Milk, auf seinem politischen Höhenflug, bekommt wieder und wieder Todesdrohungen. Eine der krakeligen Droh-Zeichnungen klebt er an den Kühlschrank. Als permanente Erinnerung an die Gefahr, in der er schwebt, aber auch als beständige Aufforderung, nicht aufzugeben. Der Tod lauert am Ende da, wo Milk ihn nicht erwartet. Sein politischer Gegner, Dan White (Josh Brolin) erschießt ihn.

Milks Karriere nimmt seinen Anfang an seinem 40. Geburtstag. Er verbringt ihn zusammen mit seinem Freund Scott Smith (James Franco mit einer brillanten Leistung) in New York. Es ist ein intimer, schöner Moment, wenn Milk mit dem jüngeren Geliebten im Bett feiert und sentimental Bilanz über sein Leben zieht. Die fällt nicht sehr erfreulich aus. Mit seinem Job in einer Versicherungsgesellschaft hat er nicht gerade das große Los gezogen. Und bewegt und bewirkt hat er in seinem Leben auch noch nichts. Spontan beschließen die Beiden, nach San Francisco zu ziehen. Ins Zentrum der Hippibewegung. Weg aus dem prüden Teil Amerikas, hin zu „Love and Peace“. Die Castro-Straße in San Francisco ist berühmt für ihr homosexuelles Umfeld. Genau dort eröffnen Milk und Smith ihr Fotogeschäft und landen mitten in den ersten brutalen Polizeiaktionen gegen Homosexuelle. Der Auslöser für Milks Einstieg in die Politik. Das Fotogeschäft entwickelt sich zu einer regen politischen Schaltzentrale. Aufbruch und Befreiung. Flower Power.

Mit seinem Drehbuchautoren Dustin Lance Black erzählt Gus van Sant eine fast schon klassische Hollywood-Geschichte: Der Protagonist begegnet seiner Midlife-Crisis, indem er den Kampf gegen die amerikanische Prüderie und Homophobie der 60er Jahre aufnimmt. Allen Widerständen zum Trotz geht er den Weg für freiheitliche Bürgerrechte bis zu seinem bitteren Ende. Und Widerstände gibt es zuhauf. Mehrere Anläufe braucht es, bevor Milk tatsächlich in den Stadtrat gewählt wird. Er wird von Todesdrohungen und Hetzkampagnen verfolgt. Sein Privatleben bleibt auf der Strecke. Erst verlässt ihn Scott. Tragisch endet seine nächste Beziehung zu Jack Lira (Diego Luna). Der, eifersüchtig auf Milks Karriere, erhängt sich.

Im Gegensatz zu seinen letzten Filmen, wie Elephant oder Paranoid Park, die im Stil experimentell, kühl und elegant waren, inszeniert van Sant Milk mit leichter Hand, humorvoll, eingängig und konventionell. Vielleicht als Zugeständnis an das breite Publikum. Sein Thema macht es dem Film schon schwer genug, die Masse anzusprechen.

Die Hauptrolle an Sean Penn zu vergeben, könnte in die gleiche Richtung gehen, erweist sich letztlich aber als der Glücksgriff schlechthin. Denn Harvey Milk ist Penns Paraderolle. Er legt eine umwerfende Leistung hin. Seine Performance ist charismatisch, zu Herzen gehend und in jedem Moment wahrhaftig. Als brillanter Redner und energetisches Kraftbündel, das die Menschen mitreißt, genauso wie in den stillen, einsamen Momenten. Im Bewusstsein, dass sein Weg für die Bürgerrechte auch ihre Opfer gefordert hat.

Einen beeindruckenden Abschluss erhält der Film nach Harvey Milks Ermordung. Noch glauben seine entsetzten Weggefährten, dass sein Tod niemanden berührt zu haben scheint, bis sie von dem Trauermarsch hören. Aus dem Fiktionalen, Menschen, die mit Lichtern durch die Dunkelheit ziehen, blendet Van Sant in sein Archivmaterial über. Da wälzt sich eine endlose, von den Lichtern funkelnde Menschenschlange den Highway entlang.
 

Milk (2008)

Mit Milk legt Gus van Sant ein formidables Stück Zeitgeschichte der 70er Jahre vor. Basierend auf der Autobiografie von Harvey Milk schildert er den Aufstieg und das tragische Ende des ersten offen homosexuellen Stadtrats in Kalifornien und zeigt en passant die Geschichte der Schwulenbewegung von 1970 bis 1978.

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Meinungen

Angela · 29.03.2009

Beeindruckender Film mit ebensolchen Darstellern. Erschütternd, dass diese Story nicht erfunden ist. Toll umgesetzt und auch sehr positiv, dass der Film nicht auf voyeuristische Sex-Szenen setzt. Sean Penn ist ein großer Schauspieler, vollkommen berechtigt, dass er hierfür den Oskar bekommen hat.

Filmschauer · 17.03.2009

Sean Penn at its best! Alleine des Hauptdarstellers wegen würde es sich schon lohnen den Film anzuschauen - großartig! Ansonsten kann ich meiner Vorschreiberin Susan nur beipflichten: absolut stimmig und sehr atmosphärisch.
Absolut zu empfehlen.

Laura KLuge · 16.03.2009

Ein ausgezeichneter Darsteller erzählt eine bewegende Geschichte! Diesen Film kann ich nur empfehlen. Ich hoffe, dass er noch eine Weile läuft, damit ihn noch möglichst viele genießen können.

Susan · 21.02.2009

Grosartige Geschichte, grosartiges Kino, Grosartiger Sean Penn & all der Crew. Poetisch, echt, alles passt: Musik, Inszenierung, Kostüme, Gesichte, Stimmen, Gefühlen, alles so echt, nichts übertrieben. Ich werde den Film noch mal sehen. So eine Gesichte, sollte sich mal jeder ansehen..."My name is Harvey Milk, and I’m here to recruit you..."