Michael Kohlhaas (2013)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Mads Mikkelsen spielt Mads Mikkelsen

Wenn das mal nicht ein Grund zur Freude für Schüler ab der Jahrgangsstufe 9 ist — Heinrich von Kleists seit vielen Jahren gefürchtete Schullektüre Michael Kohlhaas ist wieder einmal verfilmt worden, so dass in Deutschlands Klassenzimmern die Hoffnung aufkeimen könnte, dass man sich auf diese Weise um die Lektüre herumdrücken kann. Die Hoffnung aber könnte sich als eine trügerische erweisen, denn Arnaud de Pallières‘ Neuverfilmung des Stoffes wurde nicht nur auf französische Verhältnisse angepasst, sondern ist auch trotz Schauspielstars wie Mads Mikkelsen und Bruno Ganz eine recht dröge Angelegenheit, die zumindest die Zähigkeit der Lektüre angemessen wiedergibt.

De Pallières wesentlicher Ansatz (oder nennen wir es besser Versuch) besteht vor allem in der Verlegung der Vorlage in die französischen Cevennen — was zu der seltsamen Konstellation führt, dass man sich unwillkürlich fragt, was ein deutscher Pferdehändler zu jener Zeit im Süden Frankreichs zu suchen hat und welche Komplikationen sich hieraus ergeben könnten. Diesen Komplex streift der Film aber nichtmal ansatzweise, stattdessen — und auch das erfährt man eher nebenbei — gibt es immerhin eine kurze Episode mit einem wenig überzeugenden hugenottischen Pastor (Denis Lavant), der sich als Hüter der weltlichen Ordnung herausstellt. Ergänzt wurde die literarische Gestalt des Michael Kohlhaas in der Neuverfilmung durch einige neu eingeführte Nebenfiguren, die den Helden in ein Milieu einfügen und ihn eher zu einem Anführer Aufständischer als zum Streiter für abstrakte Prinzipien machen. Das immerhin passt ganz gut zur kontextuellen Verknüpfung mit den Hugenotten-Aufständen des 16. Jahrhunderts.

Ob Mads Mikkelsen hingegen eine gute Wahl als Protagonist in diesem Film war, ist zumindest fraglich. Was weniger an seinen schauspielerischen Fähigkeiten liegt, als vielmehr an der mittlerweile enormen Bekanntheit und seinem Ruf als „Schmerzensmann Europas“. Wie letztes Jahr in Thomas Vinterbergs Die Jagd, so leidet er auch in diesem Jahr enorm in seiner Rolle — allerdings mit deutlich eingeschränktem mimischen Repertoire. Zudem könnte man den Michael Kohlhaas durchaus so anlegen, dass der dafür ausgesuchte Schauspieler eine möglichst breite Projektionsfläche bietet. Doch Mads Mikkelsen steht allein durch seine Präsenz so sehr im Fokus der Aufmerksamkeit, dass man in ihm nie die Filmfigur Michael Kohlhaas sieht, sondern in erster Linie den Schauspieler Mads Mikkelsen, der jenen Pferdehändler spielt. Eine wirkliche Identifikation mit dem außer Rand und Band geratenen Michael Kohlhaas, der wohl der erste literarische Ausdruck des heute oftmals gescholtenen Wutbürgers ist, fällt dadurch mehr als schwer.

Wodurch sich fast automatisch die Frage anschließt, was diese Neuinterpretation von Heinrich von Kleists Novelle eigentlich noch Neues zu erzählen hat, was sie jenseits der Werktreue in unserer Zeit auf der großen Leinwand zu suchen hat. Zumindest diese Frage, in Wirklichkeit aber noch viele weitere, lässt Arnaud de Pallières Film offen und verpasst damit die Chance, aus einem Klassiker einen spannenden, weil gerade heute aktuellen Film zu machen. Vielleicht hätte der Regisseur mal besser nach Deutschland geschaut — dort erfuhr der Film nämlich gerade erst im letzten Jahr mit Aron Lehmanns Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel ein sehenswertes und überwiegend gelungenes Update. Vielleicht sollten sich das ja mal Lehrer mit ihren Schülern parallel zur Lektüre der Novelle anschauen — der Gewinn wäre jedenfalls größer als bei de Pallières misslungener Neuinterpretation.
 

Michael Kohlhaas (2013)

Wenn das mal nicht ein Grund zur Freude für Schüler ab der Jahrgangsstufe 9 ist — Heinrich von Kleists seit vielen Jahren gefürchtete Schullektüre „Michael Kohlhaas“ ist wieder einmal verfilmt worden, so dass in Deutschlands Klassenzimmern die Hoffnung aufkeimen könnte, dass man sich auf diese Weise um die Lektüre herumdrücken kann.

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Meinungen

Frau Meike · 28.06.2014

Aber, aber, Herr Kurz! Ich lese Ihre Rezension, nachdem ich gestern Abend gut zwei Stunden in diesem Film gefangen war, und muss mich ernsthaft fragen, ob man Wörter überhaupt so aneinanderreihen kann, wie Sie es tun. Schockiert bin ich, ja, entsetzt.

Ich bin ja kein Kind des Bildungsbürgertums, ich bin großgeworden mit Stephen King und Dean R. Koontz, und so blieb mir Heinrich von Kleist bisher erspart. Ich konnte mich also dem Film, der Geschichte, der Figur unvoreingenommen und ohne jede Erwartung nähern, und ich muss sagen, dass mich selten ein Film so berührt hat.

Wie sich in den letzten zwei Minuten die Erkenntnis über den moralischen wie auch weltlichen Fehler verdichtet, zusammengepresst auf 4m² Schafott, hinaufkonzentriert in die lange Großaufnahme von Mads Mikkelsen - das war nach zwei Stunden Donnergrollen von solcher Intensität, dass ich es kaum aushalten konnte.

Aber, nun ja, ich verzeihe Ihnen. Vielleicht sieht sich der Film anders, wenn man vorgebildet ist.
Adieu und a bientot, wobei Sie sich die Accents selbst zusammensuchen können.

Filmfan · 18.09.2013

Ich kann den Film nur jedem empfehlen, der Lust auf eine schöne, emotionale Literaturverfilmung mit Anspruch hat, die zum Nachdenken anregt. Schön, dass es solche Filme neben den Mainstreamfilmen (die ich teils auch gerne sehe) noch gibt.