Men on the Bridge

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Zwischen den Welten

Streng genommen ist das ein Spielfilm, aber eigentlich funktioniert er wie eine Dokumentation: Die aus Istanbul stammende Regisseurin Asli Özge zeichnet in ihrem zweifach ausgezeichneten Erstling das Bild einer Gesellschaft im Wartestand.
Der Bosporus: sagenumwobene Meerenge, Grenze zwischen Europa und Asien. Nicht minder faszinierend ist die Brücke, die hier in den 1950er Jahren gebaut wurde: 1,5 Kilometer lang, 64 Meter hoch, eine Autobahn mit sechs Fahrspuren. Ein Bauwerk, das für Fortschritt steht, für Verbindung, für Kommunikation und Verständigung zwischen zwei Welten. Aber Regisseurin Asli Özge, die in Istanbul aufgewachsen ist, sieht in der Brücke auch ein Symbol ganz anderer Art. Bei ihr stecken die Menschen meistens im Stau.

Das betrifft nicht nur Zehntausende von Autofahrern, sondern auch die drei Protagonisten, die einen Großteil ihrer Zeit auf der Brücke verbringen, ohne dass sie voneinander wüssten. Da ist zum einen der Taxifahrer Umut. Er stöhnt über den Verkehr und über die Ansprüche seiner Frau, die er mit seinem Lohn nicht erfüllen kann. Und da ist Murat, der einsame Verkehrspolizist, der schon gar keine Frau findet, weil sie ihm immer davonlaufen, wenn sie von seinem beruflichen Alltag und den düsteren Verdienstmöglichkeiten erfahren. Ganz am unteren Ende der sozialen Skala steht der junge Fikret. Er verkauft Rosen auf der Brücke. Das bringt wenig und ist zudem illegal.

Am Anfang hat jeder der drei jungen Männer noch Hoffnungen und Träume. Umut sucht mit seiner Frau nach einer besseren Wohnung. Murat chattet jeden Abend im Internet mit neuen potenziellen Heiratskandidatinnen. Und Fikret bewirbt sich um reguläre Jobs. Aber im Laufe des Films wird klar, dass diese Anstrengungen ins Leere laufen müssen.

Das ist realistisch beschrieben, denn die Figuren sind nicht fiktiv. Die Regisseurin wollte erst einen Dokumentarfilm machen. Sie hat die Männer in Istanbul getroffen, sie interviewt und ihr Leben kennengelernt. Doch weil türkische Polizisten nicht in einem Film mitwirken dürfen, schrieb Asli Özge auf der Basis der Recherche das Drehbuch für einen Spielfilm. Trotzdem kann man das Ergebnis nicht einfach der einen oder anderen Kategorie zurechnen. Ganz bewusst möchte die Regisseurin, die seit 2000 in Berlin lebt, Grenzen überschreiten, auch die zwischen Realität und Fiktion. So spielen zwei der Protagonisten sich selbst, die Figur des Murat ist ebenfalls mit einem Laien besetzt, aber die Frauenfiguren werden von professionellen Schauspielerinnen verkörpert.

Eine zentrale Szene des Films spielt während des Nationalfeiertages. Militär marschiert, Panzer werden vorgeführt und Kampfjets donnern in Formation über die Köpfe der Massen. Hier wird unaufdringlich ein Zusammenhang hergestellt: zwischen der Perspektivlosigkeit der jungen Leute und einer dumpfen Aggression, die sich in einem auflebenden Nationalismus äußert. Das ist sensibel beobachtet und gut recherchiert. Dass Asli Özge den Zeitgeist und die Probleme der türkischen Gesellschaft treffend ins Bild gesetzt hat, lässt sich auch an den Preisen ablesen, die der Film gewonnen hat. Er lief auf einigen renommierten Festivals, unter anderem in Locarno und Toronto. Als jeweils bester Film wurde er jedoch in der Türkei ausgezeichnet, bei den Wettbewerben in Istanbul und Adana.

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Streng genommen ist das ein Spielfilm, aber eigentlich funktioniert er wie eine Dokumentation: Die aus Istanbul stammende Regisseurin Asli Özge zeichnet in ihrem zweifach ausgezeichneten Erstling das Bild einer Gesellschaft im Wartestand.
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