Mein Stück vom Kuchen

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Geld gegen Moral

Während die Finanzwirtschaft auf den Abgrund zurast, kommt jetzt ein kleiner Film aus Frankreich zu uns in die Kinos, der den Irrsinn der modernen Ökonomie auf ganz persönliche Weise anschaulich macht. Mein Stück vom Kuchen, der neue Film von Cédric Klapisch, zeigt uns auf, welche Widersprüche unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert ertragen muss: Reiche Banker, die sich gierig das Vermögen der Weltwirtschaft aufteilen, während die Mittel- und Unterschicht immer ärmer wird.

Symbolisch dafür steht die Existenz von France (Karin Viard): Sie verdient rund 1.000 Euro im Monat, hat eine Familie zu ernähren, spart, wo sie nur kann, und ist dazu auch noch alleinerziehende Mutter. Kein Wunder, dass das Einkommen gerade mal für das Nötigste ausreicht. Die Lage verdüstert sich, als France plötzlich erfährt, dass das Unternehmen, in dem sie arbeitet, bald geschlossen werden soll. Die Existenz der ganzen Familie steht auf dem Spiel.

Parallel zu den prekären Verhältnissen des Kleinbürgertums sehen wir den getriebenen Alltag des Börsianers Steve Delarue (Gilles Lellouche): An der Londoner Börse tätig, verdient sich der adrette 36-Jährige mit irren Spekulationen eine goldene Nase – Geschäfte, deren Prinzip nicht mal er völlig versteht, obwohl Steve seinen Job ziemlich gut macht. Sein Chef ist zufrieden und hat Größeres mit ihm vor: Er soll nach Paris ziehen, dort eine Zweigstelle gründen und – bei Erfolg – zurück nach London kommen, um die Geschäftsleitung des Hedge-Fonds-Imperiums zu übernehmen. Der Job ist nichts für Gutmenschen. Doch das ist für Steve kein Problem: „Kein Sorge, ich bin böse. Sehr, sehr böse“, versichert er seinem Chef mit einem verstohlenen Augenzwinkern.

In Paris treffen die Biographien von Steve und France aufeinander: Die alleinerziehende Mutter lässt ihre Kinder zurück, reist aus der nördlichen Provinz in die Hauptstadt des Landes, wo sie bei einer Putzfrauen-Vermittlungsagentur nach einer Anstellung sucht. Steve wiederum, der mit den Aufgaben des Alltags völlig überfordert ist, möchte eine Haushaltshilfe engagieren. Irgendwann steht dann France vor seiner Tür – sie wird eingestellt; genau zum richtigen Augenblick, denn plötzlich gibt Steves Exfrau den gemeinsamen Sohn ab, weil sie, wie verabredet, in den Urlaub fahren will. Nicht gerade geübt in väterlicher Fürsorge und mit dem Aktienhandel ohnehin viel zu beschäftigt, fleht Steve seine neue Haushaltshilfe an, einen ganzen Monat bei ihm wohnen zu bleiben. Geld spielt keine Rolle. Denn Steve, der Banker, braucht Hilfe. Selbst das abendliche Vorlesen einer Geschichte fällt ihm schwer.

Das ist die Stelle, an der die Handlung eine überraschende Wendung nimmt: France kann ihr Glück kaum fassen, im Luxus zu leben und auch noch für einfache Alltagsarbeiten so gut bezahlt zu werden. Als sie ihre Kinder am Wochenende in der heimatlichen Provinz besucht (oben, in Nordfrankreich), nimmt sie den ersten Gehalts-Check in die Hand und tut etwas, was sie schon lange nicht mehr getan hat: in einem billigen Supermarkt nach Herzenslust einzukaufen. Im Hintergrund erklingt die Musik von Pretty Woman. Erleben wir hier also die neue Version eines klassischen Aschenputtel-Märchens? Die rasante Verwandlung eines hässlichen Entleins zum Schwan?

Nein, denn Cédric Klapisch, Regisseur von sonst so leichtfüßigen Komödien wie dem Studenten-Klassiker L’auberge espangole, verändert die Gegensätze zwischen Gut und Böse nicht. Zwar sehen wir, dass sich die beiden unterschiedlichen Figuren annähern und sogar eine Affäre beginnen, doch die bittere Wirklichkeit holt die beiden immer wieder ein. Klapisch macht uns klar, dass es in der Zeit des aggressiven Spätkapitalismus nicht mehr möglich ist, ein klassisches, das heißt: die Klassen zusammenführendes Happy-End zu konstruieren.

Die Pointe in seinem Film ist so einfach wie wirkungsvoll: France erfährt per Zufall, dass die Spekulationsmechanismen, auf die Steve so stolz ist und die ihn so reich gemacht haben, für die Schließung ihres alten Arbeitsstandortes verantwortlich sind. Das lässt Zorn in ihr aufkeimen: Sie lockt den unverbesserlichen und immer wieder ins Bösartige abdriftenden Börsianer mit einem Trick in die Provinz (indem sie seinen kleinen Sohn entführt), damit sich Steve ein Bild von der ruinösen Lage machen kann. Er soll verstehen, was seine Zahlenspiele für die kleinen Arbeiter und Angestellten bedeuten. Das ist der große Show-Down, der moralische Imperativ dieses Films.

An der Freund-Feind-Metapher hält Klapisch bis zum Schluss fest. Sein Werk ist ein beeindruckendes und doch merkwürdiges Zwitter-Wesen, eine Komödie und ein Sozialdrama, mit ebenso heiteren wie ernsten Elementen. Egal, wie man nun die Botschaft beurteilen mag (böser Banker trifft gute Putzfrau): Es besteht kein Zweifel, dass dieser Film einen ökonomischen Widerspruch, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit behandelt, die uns in Zukunft lange beschäftigen wird. Dieser Film erinnert uns an die klaffenden Gegensätze unserer Wirklichkeit – und zwar in einer emotional aufrüttelnden Sprache, die schockierend, berührend und ungemein verstörend ist.

(Tomasz Kurianowicz)
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Es war schon immer ein Grundproblem des sozial engagierten Kinos, das kaum sichtbar zu machen war, was dort vor sich geht, wo viel Geld in kürzester Zeit über inzwischen nur noch virtuelle Tische geschoben wird – was, so muss man mit Brecht fragen, ist schon der Überfall auf eine Bank gegenüber der Gründung einer Bank? Und in der Tat: Ersteres lässt sich natürlich hervorragend in Szene setzen, macht aufregende Bilder, während Banker im Film stets Unsichtbares tun und dann allenfalls ob ihrer moralischen Verdorbenheit halber zu dunkeln Figuren gestaltet werden können. (Und zugleich ist es sicher kein Zufall, dass das Kino zahlreiche Bankräuber als Helden kennt – schließlich stehlen sie ja von den ganz Reichen –, von einem Investmentbanker als Identifikationsfigur hat man aber, sofern er sich im Film nicht läutert, noch nicht gehört.)

Das inszenatorische Grundproblem hat Cédric Klapisch (hierzulande vor allem durch seine Euro-Studentenkomödie L’auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr bekannt) für seinen neuen Film Mein Stück vom Kuchen auch nicht lösen können, aber er macht zunächst das Beste daraus und versucht aus dem Problem eine Tugend, aus der Unsichtbarkeit ein Strukturprinzip zu machen. Schon in den ersten Bildern noch des Vorspanns stellt er konkretes und abstraktes Wirtschaften einander gegenüber: Hier stehen arbeitslose Arbeiter vor einer Fabrik, Kräne wirbeln Container herum, dort flirren bunt Kurven und Zahlenreihen über einen Bildschirm, und es werden Knöpfe gedrückt; und während sich dort Menschen im Anzug Zahlen zurufen, wird hier ein Geburtstagskuchen geteilt.

Bei France (Karin Viard) zuhause wird gefeiert, und natürlich bekommt jede und jeder am Tisch ein gleichgroßes Stück; später in einem Gespräch an seinem Londoner Arbeitsplatz wird der Finanzhändler Steve (Gilles Lellouche) sagen, er wolle eben einfach sein „Stück vom Kuchen“ — und damit sind, den Filmtitel in Bild wie Sprache zitierend, die Gegensätze schon klar definiert. Denn wie Steve das sagt, klingt es, auf einen realen Kuchen bezogen, kindisch, gierig – und natürlich hat Steve keinerlei Vorstellung davon, dass auf der anderen Seite des Tisches jemand weniger vom Kuchen bekommt als er.

Klapisch, der auch das Drehbuch verfasst hat, lässt seine beiden Protagonisten dann ein wenig konstruiert aufeinandertreffen: France ist arbeitslos, seit ihre Firma in Dunkerque dicht machen musste; um ihre beiden heranwachsenden Töchter zu ernähren, macht sie sich nach Paris auf, um dort unter der Woche als Putzfrau zu arbeiten. Steve wird in seine französische Heimatstadt geschickt, um dort einen Investmentfonds aufzubauen, mit dem er sich seinem Chef gegenüber als Einzelkämpfer und Führungsperson beweisen soll. Natürlich braucht er jemanden, der ihm seine Wohnung sauber hält und seine Hemden bügelt – France wird diese Aufgaben übernehmen, und noch einige mehr, als plötzlich Steves kleiner Sohn vor der Tür steht.

France und Steve sind als völlig gegensätzliche Personen angelegt – das beginnt bei Geschlecht und Haarfarbe, meint aber vor allem ihre Charakterzüge: die Frau ist verantwortungsbewusst bis zur Selbstaufgabe, bodenständig und jemand, der mit anderen spricht; Steve ist zu normalen sozialen Interaktionen nahezu unfähig und wundert sich, als ein von ihm umworbenes Model trotz einer Reise nach Venedig nicht gleich mit ihm ins Bett gehen möchte.

Dass diese Figuren trotz ihrer klaren gesellschaftlichen Funktionalität nicht leere Karikaturen dessen bleiben, was sie repräsentieren, ist vor allem den hervorragenden Darstellern zu verdanken. Viard verleiht ihrer Figur auch Unsicherheiten und harte Momente, die aus dem Engel der Arbeiterklasse, als der France gelegentlich erscheinen mag, vor allem eine besorgte, verzweifelte Frau und Mutter machen. Und Lellouche kämpft tapfer dagegen an, nur das finstere Finanzmonster geben zu müssen, indem er seiner Figur nicht nur ein wenig emotionale Tiefe (und Vergangenheit) gibt, sondern vor allem: das ahnungslose Staunen des wirklich Überraschten. Steve ist tatsächlich überrascht darüber, wie er von anderen wahrgenommen wird; er ist tatsächlich unfähig, Emotionen zu zeigen und zu empfinden, und erst als sein Sohn auf einmal verschwindet, erweckt ihn das ein wenig zum Leben.

Mein Stück vom Kuchen begleitet den gemeinsamen Weg von Steve und France eine ganze Weile lang als komödiantische Geschichte – die Missverständnisse und Differenzen zwischen den beiden verfügen schließlich über ausreichend humoristisches Potential, bis hin zum grotesken Missverhältnis darin, welchen Wert die beiden bestimmten Geldbeträgen zusprechen. Für eine Weile lässt Klapisch dies geschehen und baut dann den Film Schritt für Schritt zu einer Pretty-Woman-Geschichte auf, zu einer neuen Variante vom verkannten Aschenputtel, das dann doch noch seinen reichen Prinzen findet – um dann aber doch am Ende das tragische Potential der Grundkonstellation auszukosten.

Da schiebt der Film auf einmal wieder den eher biederen Anspruch an allgemeiner Gültigkeit in den Vordergrund, die er nach der Exposition hinter den wesentlich interessanteren und charmanteren Hauptfiguren versteckt hatte – und man erinnert sich: ja, die Hauptfigur heißt France wie ihr Heimatland, der Staat also mit den starken Gewerkschaften, die so machtlos wirken gegen die internationalen Finanzmärkte. Das ist aber nicht die eigentliche Enttäuschung am Schluss von Mein Stück vom Kuchen, und auch nicht der Umstand, dass zuletzt keine Hoffung bleibt, nirgends.

Schwieriger nachzuvollziehen ist hingegen, dass Klapisch zuletzt doch noch versucht, den Dreh zu kriegen zum sozial bewegten Kino. Das Problem dabei ist die milde Utopie, die dem Zuschauer eine (trügerische) Hoffnung mit auf den Weg gibt: Dass sich mit der Abkehr vom Abstrakten zu einer konkreten Person, vom Digitalen zur physischen Gegenwehr irgendeine Hoffnung verbände. Als wären nicht, außerhalb der Leinwand und ihrer Darstellungskraft, schon längst wieder Kräfte am Werk, die den Status Quo zu bewahren suchten.
 

Mein Stück vom Kuchen

Während die Finanzwirtschaft auf den Abgrund zurast, kommt jetzt ein kleiner Film aus Frankreich zu uns in die Kinos, der den Irrsinn der modernen Ökonomie auf ganz persönliche Weise anschaulich macht. „Ein Stück vom Kuchen“, der neue Film von Cédric Klapisch, zeigt uns auf, welche Widersprüche unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert ertragen muss:

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