Matterhorn - Wo die Liebe hinfällt

Eine Filmkritik von Rajko Burchardt

Die Ankunft des Fremden

„Wenn du lügst, dann belügst du auch Gott“, weist Fred (Ton Kas) den fremden Mann (René van ‚t Hof) in seinem Haus zurecht. Dieser soll gelogen haben, als er um Benzingeld bittend an seiner Haustür erschienen sei. Denn schon am nächsten Tag fängt Fred ihn beim Nachbarn gegenüber ab – im Glauben, der namenlose Landstreicher wolle auch dessen Hilfe ersuchen. Als tatsächliche Lüge jedoch wird sich einzig Freds in den Zwängen einer ritualisiert pedantischen Normalität, gottgläubigen Strenge und trostlosen Alltäglichkeit eingerichtetes Leben erweisen. Ein Leben, das der mysteriöse Gast, fast wie einst in Pasolinis Teorema, ganz gehörig auf den Kopf stellt.
Matterhorn – Wo die Liebe hinfällt erzählt die Annäherung der beiden scheinbar ungleichen Männer so wenig aberwitzig und so selbstverständlich menschlich, als beginne er schon gleich bei seinem zweiten Akt. Interessanterweise leitet der Film die denkbar unübliche Liebesgeschichte auch nicht mit der Ankunft des Fremden, sondern einem der vielen Alltagsmechanismen Freds ein: Er selbst ist es, der in der ersten Szene gesenkten Hauptes aus dem Bus steigt und das eigene Lebensumfeld der kleinen niederländischen Dorfgemeinde fremdartig beäugelt. Bevor er, wie wohl jeden Tag, sein Haus betritt, im Ledersessel Bachs oratorischen Passionen lauscht und pünktlich das Abendbrot zubereitet. Mit einem stets versichernden Blick zum Familienfoto an der Wand, das still und leise von glücklicheren Tagen zu sprechen scheint.

Anstelle der verstorbenen Ehefrau und des ausgestoßenen Sohnes sitzt nun aber der merkwürdige Streuner an Freds Essenstisch, so klar unterhalb des Fotos positioniert, dass der Film diese Beziehung offenbar schon visuell eindeutig queer definieren möchte. Der formalen Lakonie fügt sich dabei die Dialogarmut im nicht länger zur Debatte stehenden Miteinander der beiden – so klar, wie sie nun gemeinsam ihren Alltag bestreiten werden, so klar ist auch, dass es dafür nicht vieler Worte bedarf. Erst spät im Film werden wir erfahren, dass Theo, so der Name des (anderen) Mannes ohne Eigenschaften, seit einem Autounfall unter Sprach- und Gedächtnisverlust leidet. Und überhaupt reicht Matterhorn die erzählerischen Informationen nur nebensächlich, fast pflichtschuldig, nach. Es zählen situative Momente, zwischenmenschliche Stimmungen, zaghafte Intimität. Nicht lautstark raschelnde Drehbuchseiten.

Was in Freds Fürsorge zunächst als ein Handeln christlicher Nächstenliebe anmuten mag, offenbart in der Art seiner Blicke allmählich eine tiefe Sehnsucht nach Zuneigung und schließlich auch ein unausgesprochenes schwules Begehren. Obwohl der Film die konventionellen Coming-Out-Rituale streift (Fred verschlägt es in eine Szene-Bar, die er fluchtartig wieder verlässt), ist sein sanfter Zugang zu Bruchstellen der Heteronormativität immer ein bedingungslos eigentümlicher. Genauso etwa, wie Fred und Theo während einer regnerischen Nacht willkürlich in die Kirche am Ende der Dorfstraße stürmen, um sich das Ja-Wort zu geben, beschließen sie auch eine gemeinsame Reise zum titelgebenden Matterhorn – an dem sich, symbolisch ein wenig überspannt, die neu gewonnene Freiheit noch einmal bildlich festhalten lässt.

Der warmherzigen Geschichte, rührigen Mischung aus Komik und Tragik und ganz besonders auch der einnehmenden Leistung der beiden Hauptdarsteller verdankt Matterhorn – Wo die Liebe hinfällt seinen großen Erfolg beim Publikum. Das Kinoregiedebüt des niederländischen Schauspielers und Comedians Diederik Ebbinge gewann nicht nur die Zuschauerpreise der internationalen Filmfestivals von Rotterdam und Moskau, sondern konnte sich auch gegen eine derzeit bekanntlich wieder florierende homophobe russische Presse durchsetzen, die versucht war, ihn als Gefahr für Kinder zu brandmarken. Dabei sind es ja insbesondere die Momente von Kindergeburtstagen, auf denen Fred und Theo als ulkiges Gesangsduo auftreten, die dem Film seine aufrichtigsten Momente schenken.

Matterhorn - Wo die Liebe hinfällt

„Wenn du lügst, dann belügst du auch Gott“, weist Fred (Ton Kas) den fremden Mann (René van ‚t Hof) in seinem Haus zurecht. Dieser soll gelogen haben, als er um Benzingeld bittend an seiner Haustür erschienen sei. Denn schon am nächsten Tag fängt Fred ihn beim Nachbarn gegenüber ab – im Glauben, der namenlose Landstreicher wolle auch dessen Hilfe ersuchen.
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Meinungen

@Eline · 10.01.2014

Das wird im Text auch nirgends behauptet. Grüsse, Mike

Eline · 10.01.2014

Nicht Fred ist oder wird Schwul, sein Sohn arbeitet in der Szene-Bar!

Franziska · 02.01.2014

Ich habe diesen Film vor einigen Monaten in den Niederlanden gesehen und schon damals den Machern alles Gute bei der Suche ach einem deutschen Verleih gewünscht - nun ist es also geglückt! Ein herrlich spröde-anrührendes Stück Kino mir großartigen Darstellern - erwachsen gewordene Mr Bean-Fans etwa könnten auf Ihre Kosten kommen - und angenehm unaufgeregt erzählt, mit Rücksicht auf das feine Gemüt dieses Films.