Love (2015)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Prädikat unbefriedigend

Ist Lars von Trier etwa ein Prophet? Die Tagline seines Skandalfilms Nymphomaniac, die man auch auf dem Poster lesen konnte, lautete nämlich „Forget About Love“. Und in gewisser Weise fasst dieser Satz ziemlich gut zusammen, was mit Gaspar Noés neuem Film Love geschieht, der im Vorfeld seiner Premiere in Cannes auch dank einer recht massiven Marketing-Kampagne mit NSFW-Postern und stückchenweiser Informationspolitik einen regelrechten Hype erlebte.

Murphy (Karl Glusman) ist ein junger Filmemacher aus den USA, der in Frankreich an einer Filmschule studiert (wobei man ihn genau dabei niemals sieht) und davon träumt, lebensechtes Kino zu machen, Filme, die aus „Blut, Sperma und Tränen“ bestehen. Als er die Künstlerin Electra (Aomi Muyock) kennenlernt, ist es Liebe auf den ersten Blick. Gemeinsam begeben sich die beiden auf eine sexuelle Entdeckungsreise, die auch die erst 17-jährige Nachbarin Omi (Klara Kristin) mit einschließt. Weil vor allem Murphy nicht treu sein kann und gelegentlich mit anderen Frauen schläft, er gleichzeitig aber bei Electra überaus eifersüchtig reagiert, gerät die einstige Harmonie in Schieflage, die – begünstigt durch den enormen Drogenkonsum der beiden – schließlich eskaliert. Als dann Omi schwanger wird, trennen sich Murphy und Electra, obwohl sie sich einstmals schworen, nie ohne den anderen leben zu wollen.

Mit einer Laufzeit von 135 Minuten ist Love viel zu lang geraten — was vor allem daran liegt, dass die Story, die Figurenzeichnung und -entwicklung sowie die Schauplätze allenfalls den Charakter eines groben Entwurfs besitzen. Hinzu kommt, dass ausgerechnet Murphy bei Lichte betrachtet ein Arschloch reinsten Wassers ist, das nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das zweier Frauen ruiniert und dabei die ganze Zeit über sein eigenes Dasein jammert. Dass man ausgerechnet für solch einen promiskuitiven Waschlappen, der sich selbst wie ein eifersüchtiger Gockel gebärdet, Empathie empfinden soll oder kann, ist nicht der erste, aber vielleicht der gravierendste Trugschluss, dem Noé in seiner ausufernden Skizze erliegt. Seine Szenen einer Beziehung und von deren Niedergang sind eine willkürlich und schnell redundant wirkende Aneinanderreihung von Kopulationsakten, Rückblenden auf Murphys und Electras gemeinsames Leben und ihre sexuellen Abenteuer sowie die Verzweiflung des Möchtegern-Filmemachers, der seine Ex-Freundin immer noch liebt und der nun befürchten muss, dass sie sich etwas angetan hat, weil sie seit einiger Zeit für niemanden mehr zu erreichen ist.

Dabei gibt es durchaus Sequenzen, bei denen jene revolutionäre und inszenatorische Könnerschaft aufblitzt – in der Clubszene etwa oder wenn Noé die Farbfilter anschmeißt und seine Interieurs in jenes Rot taucht, das bereits bei Irreversible für eine sinnliche Glut gesorgt hat. Insgesamt aber erscheint ausgerechnet bei diesem Film, der alle Schranken niederreißen möchte, das filmästhetische Repertoire des in Paris lebenden Argentiniers zu beschränkt: Er vertraut überwiegend auf die bekannten, stets mittig angeordneten Großaufnahmen von Gesichtern, die meist von einem Fenster oder einer Tür mit einem zusätzlichen Rahmen versehen sind, streut dann und wann dezente Steadycam-Fahrten ein, inszeniert aber sonst überwiegend statisch, ohne die behauptete Entfesselung der Emotionen auch in entsprechende Bilder zu kleiden.

Es ist deutlich, vielleicht sogar überdeutlich, was Gaspar Noé mit diesem Film möchte – schließlich legt er seine Agenda eines Kinos, bei dem die Sexualität selbstverständlicher Bestandteil des Filmes ist, Murphy in den Mund. Und prinzipiell ist dieses Ziel auch durchaus begrüßenswert. Allerdings erscheint es nach Love noch ein weiter Weg zu sein, bis dies auf nicht nur erregende, sondern auch auf anregende Weise geschieht. Aufgrund der erzählerischen Rahmung nämlich verbrauchen sich auch die Sexszenen schnell und wirken auf Dauer wie ein sinnloser Leistungsfick auf Viagra und Valium ohne die Erlösung eines finalen Orgasmus.

Dabei helfen auch die vermutlich selbstironisch gemeinten Referenzen auf das eigene Werk und die eigene Person wenig (in Murphys Wohnung findet sich eine maßstabsgetreue Nachbildung des Love Hotel aus Enter the Void, Electras Galerie heißt Noé und das kleine Kind aus der Affäre mit Omi trägt den Namen Gaspar), sondern wirken beinahe schon wie eitle Gockeleien. Der ersehnte und an einer Stelle auch gezeigte Cumshot ins Gesicht des Zuschauers (die einzige Szene, in der das eingesetzte 3D übrigens gerechtfertigt ist) erweist sich als laues Lüftchen, dem man leider das Prädikat unbefriedigend verleihen muss.
 

Love (2015)

Ist Lars von Trier etwa ein Prophet? Die Tagline seines Skandalfilms „Nymphomaniac“, die man auch auf dem Poster lesen konnte, lautete nämlich „Forget About Love“. Und in gewisser Weise fasst dieser Satz ziemlich gut zusammen, was mit Gaspar Noés neuem Film „Love“ geschieht, der im Vorfeld seiner Premiere in Cannes auch dank einer recht massiven Marketing-Kampagne mit NSFW-Postern und stückchenweiser Informationspolitik einen regelrechten Hype erlebte.

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