Life, Animated

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Disneyworld

Im Alter von drei Jahren zog sich Owen Suskind plötzlich in sich selbst zurück. Bis dahin war er ein redseliges Kleinkind, doch plötzlich sprach er immer schlechter, bald gar nicht mehr. Seine Eltern waren besorgt, sie gingen zu Ärzten und erhielten schließlich die Diagnose Autismus. Trotz verschiedener Versuche und Therapien drohten seine Eltern und sein älterer Bruder Walt, den Kontakt zu Owen völlig zu verlieren. Doch dann sagte der sechseinhalbjährige Owen nach der Geburtstagsfeier seines Bruders, der traurig war, zu seinen Eltern: „Walter doesn’t want to grow up, like Mowgli or Peter Pan.“ Das war sein erster Satz nach Jahren, in denen er fast gar nicht gesprochen hatte. Auf diese Weise entdeckte sein Vater, der Pulitzer-Preisträger Ron Suskind, dass er über die Disney-Filme, die sein Sohn schaut, Kontakt aufnehmen kann: Über ein Rollenspiel mit einer Handpuppe von Jago, dem gemeinen Sidekick des Bösewichts in Aladdin, fand er wieder Zugang zu seinem Sohn, der sich insbesondere mit den Nebenfiguren, den Helfern der Helden, den Sebastians, Lumières, Timons und Pumbaas identifiziert.
In seinem Dokumentarfilm Life, Animated erzählt Roger Ross Williams nun die Geschichte von Owen und seiner Familie – und insbesondere davon, wie Disneyfilme den im Film 25-jährigen Owen dabei helfen, seine Emotionen und Erfahrungen zu verarbeiteten. Dabei setzt der Film an einem wichtigen Punkt in Owens Leben ein: Er steht kurz davor, die elterliche Wohnung zu verlassen und in einem betreuten Wohnheim sein eigenes Apartment zu beziehen sowie seinen ersten Job zu bekommen. Dabei ist es fraglos berührend und inspirierend zu sehen, wie Owen durch die Filme und die Sidekicks seine Erfahrungen und Wahrnehmungen verarbeitet – es ist einfach, mit den Eltern zu fühlen, die die plötzliche Wandlung ihres Kindes mit einer Entführung vergleichen und dann wieder Zugang zu ihrem Sohn bekommen – durch Filme. Hinzu kommt, dass Owen eine interessante Persönlichkeit ist. Wenn sich seine Stimme verändert, wenn er Sätze aus Disney-Filmen nachspricht, wird deutlich, wie wichtig diese Filme für ihn sind. Als er in der Schule negative Erfahrungen gemacht hat, hat er zudem eine eigene Geschichte geschrieben, in der er alle Sidekicks aus den Disneyfilmen retten muss – und auf diese Vorstellungswelt, in hinreißende Bilder von der Gruppe Mac Guff gefasst, greift er immer wieder zurück. Denn Owen will den Helfern helfen, er will sie beschützen.

Jedoch vernachlässigt Roger Ross Williams durch den intimen Blick in diese Familie auch naheliegende Fragen, die weder aufgeworfen noch gestellt oder gar beantwortet werden: Guckt Owen auch andere Filme, animiert oder real? Sind es immer wieder dieselben Disney-Filme? Was ist mit den neueren Werken? Wie wirkt sich die Sozialisation durch Disney-Filme auf den Alltag aus? Wie will er – abgesehen von einem sehr gelungenen Witz seines Bruders Walt über „Disney-Porno“ – etwas über zwischenmenschliche Beziehungen erfahren? Wie viele autistische Kinder finden über ein Hilfsmittel einen Weg, mit andere zu kommunizieren? Darüber hinaus werden auch Schwierigkeiten innerhalb der Familie nur angedeutet, lediglich Owens Bruder Walt deutet hier in Gesprächen etwas an. Dadurch fehlt – ganz im Gegensatz zu Williams vorherigem Dokumentarfilm God Loves Uganda – eine Perspektive, die über Owen hinausgeht.

Abgesehen davon erlaubt Life, Animated aber Einblicke in die Erfahrungswelt von Owen und versucht sehr eindrücklich, auf der Tonebene nachzuvollziehen, wie unverständlich die Welt für ihn wurde, und rückt manche Perspektiven über die Bedeutung des Lebens und Erfolg zurecht. Und nicht zuletzt erzählt er – Disney hin oder her – über die Kraft von Filmen. Wer könnte sich dem schon entziehen?

Life, Animated

Im Alter von drei Jahren zog sich Owen Suskind plötzlich in sich selbst zurück. Bis dahin war er ein redseliges Kleinkind, doch plötzlich sprach er immer schlechter, bald gar nicht mehr. Seine Eltern waren besorgt, sie gingen zu Ärzten und erhielten schließlich die Diagnose Autismus. Trotz verschiedener Versuche und Therapien drohten seine Eltern und sein älterer Bruder Walt, den Kontakt zu Owen völlig zu verlieren.
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