Kümmel baut

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Eine "Neue Welt" für Polen

In den 1980er Jahren war Hermann Kümmel Sozialist und baute Schulhäuser in Nicaragua. Jetzt baut Herr Kümmel Einkaufshäuser in Polen. Vor kurzem, nach fünfjähriger Bauzeit, eröffnete sein letztes Projekt in Rzeszów, im Osten Polens: die „Neue Welt“. An seiner Seite arbeitet die polnische Managerin Viola Wojnowski. Die „Neue Welt“ soll den Menschen vor Ort etwas geben „was sie bisher noch nicht hatten und von dem sie auch nichts wussten“. „Bedarf schaffen“, nennt man das wohl in so mancher Branche. Ihren eigenen Bedarf deckt Viola Wojnowski inzwischen lieber in Deutschland, denn in Polen leben möchte sie nicht mehr. Fünf Jahre lang hat Dokumentarfilmer Paul Hadwiger den Bau der Shopping Mall mit der Kamera begleitet. Das Highlight der Stadt soll die „Neue Welt“ werden, doch die Diskrepanz zwischen dem erträumten Leben und der alltäglichen Realität, die Hadwiger mit seiner Kamera einfängt, könnte größer nicht sein.
So wird diese Großinvestition mit 800 Parkplätzen in eine Gegend gebaut, in der das Durchschnittseinkommen bei 200-500 Euro liegt. Selbst kleinere Geschäfte können kaum überleben, das Einkaufszentrums wird ihr Schattendasein bzw. ihren Niedergang voll endgültig besiegeln. Doch Hermann Kümmel ist zuversichtlich.

Diesen Enthusiasmus können nicht alle teilen. Hadwiger portraitiert nicht nur die Bauherren und Investoren, sondern auch die Menschen, die direkt vom Bau betroffen sind. Die meisten Anwohner, so scheint es, haben keinen Bedarf an mehr Konsum. Der Kioskbesitzer, dessen Stand direkt neben dem Neubau steht, weiß, dass seine Tage gezählt sind. Herr Adamski von der Lokalzeitung kämpft wie Don Quijote gegen die Windmühlen der Investorenfirmen. Er möchte aufklären, doch er hat weder die Mittel dazu, noch interessiert es seine Leser.

Im ersten Drittel taumelt der Film zwischen den einzelnen Figuren hin und her und portraitiert sie durch kleine Geschichten, Aussagen und Geschehnisse. Danach bezieht sich Hadwiger mehr auf die einzelnen Bauphasen und den alltäglichen Absurditäten und Quälereien, die bei solch einem Großprojekt entstehen. Dies ist mitunter paradox und lustig, doch bald verlangsamt sich das Tempo so stark, dass es sich anfühlt, als würde man beinahe schon in Echtzeit den fünfjährigen Bautätigkeiten beiwohnen.

Fast scheitert der Film an seiner Liebe fürs Detail, doch dann eröffnet sich eine herrliche und spannende Metaebene. Mit Hilfe des Vehikels „Neue Welt“ beginnt die Dokumentation über die Arbeit als Sinn- und Lebensspender zu sinnieren. Vor allem die langsam in die Tage kommenden älteren Herren erzählen darüber, was die Arbeit ihnen bedeutet. Glücklich mache sie ihn, meint Herr Kümmel, doch die Langzeitdokumentation mag mit ihren unkommentierten Bildern eine andere Geschichte erzählen. Herr Adamski, der alte Journalist sinniert indes darüber, wie es ist, wenn mal alt wird und nicht mehr von Nöten ist. Der Job, er hält diese Menschen nicht nur finanziell über Wasser. Auch sein ideeller Stellenwert, sein Identifikationsfaktor wird durchdacht. Definiert der Mensch seine Arbeit oder definiert die Arbeit den Menschen? Und wie kommt Herr Kümmel dazu, erst Schulhäuser in Nicaragua zu bauen und jetzt Einkaufszentren mit dem ironischen Titel „Neue Welt“ in Gegenden zu setzen, in denen diese wohl die letzten Überreste der Einzelhandelsinfrastruktur zerstören werden?

Geduld ist gefragt bei Kümmel baut. Wer diese aufbringen kann, wird belohnt mit einer interessanten, manchmal melancholischen und fast schon philosophischen Dokumentation, die durchaus anregt, nach dem Kinobesuch noch einmal über das eigene Arbeitsleben nachzudenken.

Kümmel baut

In den 1980er Jahren war Hermann Kümmel Sozialist und baute Schulhäuser in Nicaragua. Jetzt baut Herr Kümmel Einkaufshäuser in Polen. Vor kurzem, nach fünfjähriger Bauzeit, eröffnete sein letztes Projekt in Rzeszów, im Osten Polens: die „Neue Welt“.
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