Kinder der Steine - Kinder der Mauer

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Sag mir wo die Steine sind...

Da posiert im Bethlehem des Jahres 1989 eine Gruppe von zehnjährigen Jungs in lebendiger Manier für ein Foto, und zwanzig Jahre später machen sich die Dokumentarfilmer Robert Krieg und Monika Nolte in den Nahen Osten auf, um die Protagonisten dieser Momentaufnahme aufzuspüren. Die Resultate dieser Recherche präsentiert nun die Dokumentation Kinder der Steine – Kinder der Mauer nach einer Idee des Fotografen Ralf Emmerich, die im Rahmen des Abu Dhabi Film Festivals 2010 uraufgeführt wurde.
Im Rahmen der Dreharbeiten zu seinem Dokumentarfilm Intifada – Auf dem Weg nach Palästina bereiste der promovierte Soziologe Robert Krieg im Frühjahr 1989 die Region des Westjordanlandes. Nachdem sich eines Tages auf einem Marktplatz in Bethlehem ein Gefecht zwischen palästinensischen Bewohnern, die mit Steinen warfen, und Besatzungstruppen, die mit Gaswaffen schossen, ereignet hatte, entdeckte der Dokumentarfilmer in einer Gasse eine übermütige Jungenschar, die Hände zum Victory-Zeichen geformt. Dieses Bild der Unbekümmertheit inmitten kriegerischer Auseinandersetzungen überdauerte nicht nur auf einem Foto, sondern gleichermaßen im Gedächtnis des deutschen Regisseurs, der sich zwanzig Jahre später in Begleitung seiner Kollegin Monika Nolte erneut auf den Weg in diese unwegsame Region machte – dieses Mal, um die nunmehr erwachsenen Jungs von damals zu treffen, die zur Zeit der ersten Intifada nicht selten selbst zu Steinen griffen, um israelische Soldaten zu attackieren.

Mohamed Kwazba, Baha‘a Al-Khateeb, Mohamed Al-Khateeb, Khader Kwazba, Mohanad Masalmeh und Mosa Masalmeh, die einstigen Kinder auf dem Foto, sind nun selbst Väter und leben nach wie vor in der Altstadt von Bethlehem – allerdings mittlerweile von einer Mauer umgeben, die Teil der israelischen Sperranlagen ist, die das Westjordanland vom übrigen Staat abtrennen. Wie früher einfach mal nach Jerusalem zu fahren, darauf müssen sie jetzt verzichten, erzählen die Männer, deren eingeschränkter Lebensalltag sich nun in einem kleinen, abgegrenzten Radius bewegt. Auf die ringsum stark angewachsenen israelischen Siedlungen weisend erklären sie nicht ohne Zynismus, dass die Israelis die Steine, die sie warfen, gesammelt hätten, um immer mehr Siedlungen zu errichten.

Es ist diese Metaphorik der Steine und Mauern, auf welcher sich der Titel der Dokumentation stützt, und dieses Thema setzt sich in den kaum kommentierten Darstellungen der Lebenssituationen der sechs Männer in Bethlehem fort. Stellen sie einerseits launig das Foto ihrer Kindertage nach, beklagen sie andererseits ihre erschwerten Alltagsbedingungen vor allem nach Ende der zweiten Intifada – begleitet von akzentuiertem Jazz, der atmosphärisch über den Bildern schwebt. So persönlich diese Damals-und-Heute Dokumentation mit ihren zum einen zufälligen, und dann doch wieder gezielt gesuchten Darstellern auch angelegt ist, bahnt sich doch das höchst Politische stets seinen Weg, unentrinnbar, unaufhaltsam, denn es geht um Israel / Palästina im Jahre 2010.

Das Konzept von Robert Krieg und Monika Nolte erscheint so schlicht wie direkt: Die sechs Palästinenser werden zu Hause und bei der Arbeit gefilmt, gemeinsam und getrennt, in Freundschaft und im Streit, während sie erzählen, lamentieren und polemisieren. Kinder der Steine – Kinder der Mauer bietet seinen Protagonisten einen freien, selten durch wenige, knappe Fragen gelenkten Raum, ihre individuelle Geschichte zu erzählen, die auf Grund der speziellen Konstellation zu einem politischen Zeitzeugnis gerät.

Wer sich – zuvorderst innerhalb des Dokumentationsgenres – mit brisanten Territorien beschäftigt, sieht sich in der Regel einem ganz bestimmten Erwartungsanspruch der Kritik und des Publikums ausgesetzt: „Beide Seiten“ sollen möglichst gleichermaßen berücksichtigt werden, Ausgewogenheit im Sinne einer differenzierten Präsentation möge herrschen, vor allem wenn es um die Darstellung brisanter, allgemein konträr diskutierter Themen geht. Ob es sich im Rahmen dieser Dokumentation um die explizite Intention der Filmemacher handelt, die vielschichtigen Hintergründe und die Perspektive der „anderen Seite“ zu vernachlässigen und sich damit politisch zu positionieren, stellt eine müßige Frage dar. Kinder der Steine – Kinder der Mauer ist keine Dokumentation zur aktuellen Diskussion um Deutungshoheiten im Palästina-Israel Konflikt, sondern zeichnet in ebenso nachdenklich stimmender wie höchst emotionaler Weise die Entwicklung von sechs palästinensischen Kindern nach, deren persönliches Schicksal eng mit dem politischen ihres Volkes und Landes verbunden ist.

Kinder der Steine - Kinder der Mauer

Da posiert im Bethlehem des Jahres 1989 eine Gruppe von zehnjährigen Jungs in lebendiger Manier für ein Foto, und zwanzig Jahre später machen sich die Dokumentarfilmer Robert Krieg und Monika Nolte in den Nahen Osten auf, um die Protagonisten dieser Momentaufnahme aufzuspüren.
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Meinungen

Gernot Steinweg · 23.01.2011

ausgezeichneter Film über das ganz "normale" Leben in den von Israel besetzten Gebieten.