Kein Ort

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Willkommen in der Festung Europa

Auch wenn der Krieg im Nordkaukasus weitgehend in Vergessenheit geraten ist, bekommen wir doch immer wieder zumindest eine Ahnung davon, dass dort die Waffen weiterhin nicht schweigen. Die Gewalt verbleibt dabei keineswegs in Tschetschenien und den benachbarten Gebieten, sondern bahnt sich immer wieder auch ihren Weg nach Russland, wie die Bombenattentaten auf die Moskauer U-Bahn aufs Grausamste verdeutlichen. Und selbst nach der Installation des russlandfreundlichen tschetschenischen Präsidenten Ramsan Achmatowitsch Kadyrow kehrt keine Ruhe ein – im Gegenteil. Kein Wunder also, dass die Zahl der Flüchtlinge aus den Gebieten des Nordkaukasus stetig wächst und sie mittlerweile die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe in der EU stellen.
In Kein Ort begleitet die Regisseurin Kerstin Nickig vier Flüchtlinge aus der Unruheregion Nordkaukasus durch ihren Alltag, der geprägt ist von der Sorge um die Verwandten, der Angst vor der Abschiebung und der leisen Hoffnung auf ein anderes, ein besseres Leben. Hinzu kommt die Furcht vor den „Emissären“ des tschetschenischen Präsidenten, die ausgesandt werden, um politische Gegner auch im Exil zur Räson zu bringen – mit Drohungen, Einschüchterungsversuchen und brutaler Gewalt. Spätestens seit dem 13. Januar 2009, als der Regimekritiker Umar Israilov in Wien auf offener Straße umgebracht wurde, herrscht unter den Flüchtlingen aus dem Nordkaukasus die nackte Angst.

Dass Kerstin Nickig trotz dieser Schwierigkeiten und zahlreicher anderer Hindernisse einige Flüchtlinge aufgetrieben hat, die bereit sind, vor der Kamera zu sprechen und von ihrer Situation zu berichten, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Zwar geht es in ihren Erzählungen auch immer wieder um die Situation in ihrer Heimat, doch der Blick ist meist – möglicherweise auch aus Angst vor Repressalien – nach vorne gerichtet und setzt sich mit ihrem Status als Flüchtling auseinander. Ali beispielsweise ist ein Journalist aus Inguschetien, der ein Tagebuch seines Exils mit dem bezeichnenden Titel „Salamaleikum Europa“ schreibt, in dem er seine Erfahrungen mit den Mühlen der Demokratie festgehalten hat: „Der EU-Bürokrat arbeitet ein Formular ab, in dem genau beschrieben ist, wie ein Asylsuchender aussehen, was er sagen und welche Papiere er mitbringen muss. Er muss diesen Mensch dann nur noch mit seiner Schablone vergleichen und die Entscheidung treffen. Aber eine Frage hätte ich schon: Wo gibt es einen Test, mit dem man herausfinden kann, was dieser oder jener Mensch durchgemacht hat?“

Es ist ein bitteres Fazit, dem sich auch Tamara und Ruslan, zwei weitere Protagonisten des Films anschließen müssen. Begleitet von Interviews mit Vertretern von Einwanderungsbehörden ergibt sich so ein Bild einer „Festung Europa“, in der die Hoffnungen traumatisierter Flüchtlinge auf ein normales Leben in Sicherheit und einem gesicherten Status immer wieder enttäuscht werden. Dennoch gibt es Hoffnung: Wacha beispielsweise, der in seiner Heimat politisch aktiv war, hat es (als Einziger der hier Vorgestellten) bislang geschafft, er hat in Österreich politisches Asyl erhalten. Angesichts des unermesslichen Leids, das viele der Flüchtlinge hinter sich gelassen haben, und der engstirnigen Bürokratie, der sie sich ausgesetzt sehen, ist das aber nur ein winziger Hoffnungsschimmer.

Kein Ort, dessen schwierige Realisierung unter anderem von der Robert-Bosch-Stiftung unterstützt wurde, ruft zweierlei auf bewegende Weise ins Gedächtnis: Dass im Nordkaukasus nach wie vor ein blutiger Konflikt geführt wird, vor dem zahlreiche Zivilisten auf der Flucht sind. Und dass die restriktive Asylpolitik der EU einer dringenden Reform bedarf, um den Flüchtlingen aus diesen Regionen eine sichere Heimat auf Zeit zu gewähren.

Kein Ort

Auch wenn der Krieg im Nordkaukasus weitgehend in Vergessenheit geraten ist, bekommen wir doch immer wieder zumindest eine Ahnung davon, dass dort die Waffen weiterhin nicht schweigen. Die Gewalt verbleibt dabei keineswegs in Tschetschenien und den benachbarten Gebieten, sondern bahnt sich immer wieder auch ihren Weg nach Russland, wie die Bombenattentaten auf die Moskauer U-Bahn aufs Grausamste verdeutlichen.
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