Kathedralen der Kultur

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Das Verhältnis von Mensch und Gebäude

Was würden Gebäude erzählen, wenn sie sprechen könnten? Dieser Frage spüren Michael Glawogger, Michael Madsen, Robert Redford, Margreth Olin, Karim Ainouz und – auf seine Initiative hin – Wim Wenders in dem 3D-Dokumentarfilm Kathedralen der Kultur nach. Die jeweiligen Interpretationen sind in sechs rund 25-minütigen Episoden zu sehen, in denen sich jeder Regisseur einem Gebäude seiner Wahl widmet.
Den Auftakt macht Wim Wenders mit seiner Annäherung an die Berliner Philharmonie. Entworfen wurde das Gebäude von Hans Scharoun und es blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Den historischen, kulturellen und musikalischen Aspekten nähert sich Wim Wenders, indem er dem Gebäude eine Stimme (Meret Becker) gibt, so dass die Berliner Philharmonie ihre Geschichte selbst erzählt. Anfangs wirkt es ein wenig befremdlich, allerdings erlaubt dieses Vorgehen eine Konzentration auf die Architektur und das Innenleben – sowie ein visuelles Erfahren des Gebäudes. Außerdem zeigen sich im Vergleich mit Robert Redfords Episode über das Salk-Institute in La Jolla weitere Vorteile dieses Stils: Redford lässt getreu einer klassischen Dokumentation verschiedene Wissenschaftler sowie einen Haustechniker über das Gebäude erzählen, um die Vorzüge der vielen offenen Räume und Arbeitsplätze sowie die Bedeutung des Platzes und der Aussicht für die Kreativität des menschlichen Geistes zu betonen. Jedoch wirken ihre Aussagen schnell redundant. Im Gegensatz dazu entsteht bei Wim Wenders Episode der Eindruck, man würde das Gebäude tatsächlich durchdringen und nicht nur bewundern. Dazu trägt auch bei, dass Wenders und Margreth Olin in ihrem Teil über die Oper in Oslo die Möglichkeiten der 3D-Technik wenigstens in Ansätzen ausnutzen – jedoch nicht so bemerkenswert wie bei Pina. Bei beiden gibt es daher sehr gelungene Einstellungen, insgesamt ist der Film in 2D aber sicher nicht weniger überzeugend.

Einen dritten Weg der Annäherung hat Michael Glawogger für seine Episode über die Russische Nationalbibliothek in St. Petersburg gewählt. Die Kamera folgt den labyrinthischen, teilweise heruntergekommenen Gängen, beobachtet fast ausschließlich Frauen bei der Katalogisierung und Sortierung der Bücher und dazu erklingen Auszüge aus Büchern von Gogol, Dostojewsky und Brodsky, vorgetragen von Gennadi Vengerov in englischer Sprache mit starkem Akzent. Das Gesehene und Gehörte wirkt wie ein stream of consciousness, der das Gebäude sinnlich erforscht und es als Hort von Gedanken und Ideen würdigt.

Die interessanteste und eindrucksvollste Episode ist dem dänischen Regisseur Michael Madsen zu verdanken, der das als humanste Haftanstalt der Welt bekannte norwegische Hochsicherheitsgefängnis Halden als ‚Kathedrale der Kultur‘ ausgewählt hat. Eingeleitet mit einem Zitat von Michel Focault, nach dem es zwischen Gefängnissen, Fabriken und Schulen eine Ähnlichkeit gibt, erforscht er die Wechselwirkung zwischen dem Gebäude und den Inhaftierten, zwischen Individualität und Haftstrafe. Mit Bildern von Gefangenen beim Basketballspielen mit den Wärtern, beim Einkaufen im gefängniseigenen Supermarkt, Aufnahmen des Hauses für Familienangehörige, die zu Besuch sind, aber auch einer Sequenz, in der die Reinigung einer Isolationszelle zu sehen ist, die ein Häftling mit Exkrementen beschmiert hat, belegt er eindrucksvoll, wie eng der Anspruch, dass das Gefängnis der erste Schritt in die Rehabilitation sei, mit der Architektur zusammenhängt. Überdies wird deutlich, dass es letztlich die Menschen sind, die ein Gebäude ausmachen.

Auch Margreth Olin spürt in ihrer Episode über das Osloer Opernhaus dem Geist des Gebäudes nach, indem sie sich auf die Menschen konzentriert, die zum einen in der Oper auftreten, üben und arbeiten, und zum anderen das Gebäude von außen besichtigen. Eingeleitet mit einem Zitat von Tomas Tranströmer und dem Satz „I am a house“, gesprochen von Olin selbst, wird diese Episode fast zu einem Gedicht, in dem Oystein Mamens Kamera beeindruckende Perspektiven für die vielen weißen Flächen innerhalb und außerhalb des Gebäudes und erstaunliche Symmetrien findet.

Karim Ainouz schließt den Reigen in der langen Version des Films mit seinem Teil über das Centre Pompidou. Als es 1977 von Renzo Piano und Richard Rogers entworfen wurde, waren die Franzosen aufgrund der vielen Rohre und des industriellen Designs schockiert, doch mittlerweile ist es fester Bestandteil der Pariser Kunst- und Kulturszene geworden. Ainouz legt den Fokus auch auf die Menschen, die durch dieses Gebäude strömen, auf die Gänge, die Rolltreppen und verschiedenen Bereiche, die das Centre Pompidou erst zu der Kulturmaschine machen, die inmitten der Stadt pulsiert.

Trotz der vielen reizvollen Aspekte, Kameraeinstellungen und interessanten Zugänge zum Thema Architektur stellt sich im Verlauf des insgesamt über zweieinhalb Stunden langen Filmes Redundanz ein – sei es bei der Erzählstimme oder der Rolle des Menschen für ein Gebäude –, deshalb erfordert das Sehen viel Konzentration. Aber der Film wird sowohl in einer langen Version als auch in zwei Teilen mit jeweils drei Episoden im Kino zu sehen sein – und letzterer ist hier der Vorzug zu geben. Ohnehin zeigt Kathedralen der Kultur vor allem das Potential und den Reiz einer Reihe über Architektur und Bauwerke, die man sich durchaus auch im Fernsehen vorstellen könnte.

Kathedralen der Kultur

Was würden Gebäude erzählen, wenn sie sprechen könnten? Dieser Frage spüren Michael Glawogger, Michael Madsen, Robert Redford, Margreth Olin, Karim Ainouz und – auf seine Initiative hin – Wim Wenders in dem 3D-Dokumentarfilm „Kathedralen der Kultur“ nach. Die jeweiligen Interpretationen sind in sechs rund 25-minütigen Episoden zu sehen, in denen sich jeder Regisseur einem Gebäude seiner Wahl widmet.
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