Karen llora en un bus

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Das Leben neu anstreichen

Der Titel ist die erste Szene: Im Bild ist eine Frau in großer Einstellung zu sehen; sie weint und lehnt ihren Kopf ans Fenster. Karen hat eben ihren Mann verlassen und sich auf die eigenen Beine gestellt. Ob sie damit gehen oder gar große Sprünge machen kann, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. Karen llora en un bus ist die Geschichte der Emanzipation einer Frau in einem Land bzw. auf einem Kontinent, der für seinen machismo bekannt ist. Der Debütfilm des Gabriel Rojas Vera ist einer der wenigen kolumbianischen Filme, die es in die deutschen Kinos schaffen. Er erzählt eine lateinamerikanische Geschichte, die aber genauso gut anderswo auf der Welt passieren könnte.
„Ich bin dabei, mein Leben zu malen, es neu anzustreichen“, erzählt Karen (Ángela Carrizosa Aparicio) dem Schriftsteller Eduardo (Juan Manuel Diaz). Und eigentlich will sie es richtiggehend übermalen. Das alte Leben so belassen und verlassen, wie es ist, einen Schlussstrich darunter ziehen und einen Neuanfang wagen. Ihre Ehe war ein großer Fehler, sagt sie gegenüber ihrem Mann Mario. Sie ist nicht die Frau, die zu ihm und in sein Leben passt. Umso weniger aber ist sie eine Frau, die ihrem – und keinem anderen – Mann die Jacke hinterhertragen und auf verspätete Verabredungen warten will. Karen will einen Job, eigene Freunde, ihr eigenes Geld und vor allem zu sich selbst finden. Und deshalb setzt sie sich eines Abends nach nicht weniger als zehn Jahren Ehe in einen Bus und sucht nach ihrem neuen Leben.

Dass dies nicht so ganz einfach ist, muss Karen schnell feststellen. Sie findet Zuflucht in einer heruntergekommenen Pension nur, weil sie im Voraus bezahlen kann – doch das Geld wird nicht lange reichen. Für viele Jobs ist sie zu alt, oder es gibt keine freien Stellen. Und immer wieder muss sie erklären, dass sie niemanden kennt in der Gegend, der ihr helfen könnte. Als Mario sie jedoch aufsucht, zurück mit nach Hause nimmt und erklärt, dass sie alleine nicht überleben könne, da sie „absolut gar nichts“ könne, ist dies Motivation genug, es doch zu versuchen. Karen beißt alle Zähne zusammen und beißt sich durch. Auch als ihr die Tasche mit all ihren Habseligkeiten geklaut wird, gibt sie nicht auf. Sie klaut und bettelt sich die eine Mahlzeit am Tag zusammen, geht – obwohl sie keine Lust dazu hat – mit Zimmernachbarin Patricia (María Angélica Sánchez) aus und lässt sich von deren Männerbekanntschaften einladen und hilft anderen Menschen, auch wenn sie es eigentlich ist, die Hilfe dringend nötig hätte.

Schließlich lernt sie den Schriftsteller Eduardo kennen. Für Partygirl Patricia ist er der Ausbund an Langeweile und Beispiel für einen schlechten Haarschnitt, doch Karen tut dessen ruhige Art gut. Sie mag Literatur, und er nimmt sie mit in die Inszenierung eines seiner Stücke. Sie lieben sich und planen eine gemeinsame Zukunft. Doch dann muss Karen feststellen, dass sie allzu schnell in alte Verhaltensmuster zurückfällt. An dieser Stelle beginnt die eigentliche Emanzipation.

Karen llora en un bus ist eine originelle Geschichte, die aus der Erlebnisperspektive seiner weiblichen Hauptfigur präsentiert wird. Der Film, der im Forum der 61. Berlinale seine Premiere feierte, begleitet seine Protagonistin auf ihrem Weg in die Unabhängigkeit, die Kamera beobachtet genau, ist auf das Innere der Figur gerichtet und lässt nur erahnen, durch welch schwierige Phase sie zu gehen hat. An einigen Stellen allerdings wirkt der Film sehr arrangiert, das Drehbuch erscheint zu wohldurchdacht, wenn Karen den Männern jeweils mit einem „Du hast Recht“ das Sagen überlässt.

Vor allem aber ist Karen llora en un bus ein Film mit tollen Bildern und der wunderbar schlichten und bedächtigen Erzählweise, die man von Filmen aus Lateinamerika gewöhnt ist. Und er ist eine feinfühlige Studie der Selbstverwirklichung einer Frau in einer, so wirkt es, noch immer – auch in Zeiten der allseits beschworenen Globalisierung – patriarchalischen Gesellschaft. Die Schlussszene nimmt sowohl den Titel als auch die Anfangsszene auf und zeigt eine andere Frau, die weinend in den Bus steigt und sich hinter Karen ans Fenster setzt. Karens Schicksal erscheint hier also als nur eines von vielen.

Karen llora en un bus

Der Titel ist die erste Szene: Im Bild ist eine Frau in großer Einstellung zu sehen; sie weint und lehnt ihren Kopf ans Fenster. Karen hat eben ihren Mann verlassen und sich auf die eigenen Beine gestellt. Ob sie damit gehen oder gar große Sprünge machen kann, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. „Karen llora en un bus“ ist die Geschichte der Emanzipation einer Frau in einem Land bzw. auf einem Kontinent, der für seinen „machismo“ bekannt ist.
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