Juventude em marcha

Kontrastprogramm

Ziemlich abwechslungsreich, wenngleich auch nicht gerade berauschend präsentierte sich der gestrige Wettbewerbstag mit zwei Filmen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können: Der portugiesische Filme Juventude em Marcha / Colossal Youth von Pedro Costa widmet sich dem Schicksal des Einwanderers Ventura, einem alten Mann von den Kapverdischen Inseln, der durch den Abriss des Lissaboner Elendsquartiers, in dem er haust, erneut zum Heimatlosen wird. Von seiner Frau verlassen hört Ventura sich die Geschichten und Erzählungen der Schicksale seiner Nachbarn an, die in endlosen Einstellungen ohne Schnitt und Bewegung eingefangen werden. Außerdem versucht Ventura verbissen, für sich und diverse Straßenkids und andere Gestrandete, einen bezahlbaren Wohnkomplex zu finden, um nicht auf der Straße leben zu müssen. Harte Kost für das anspruchsvolle Festival-Publikum, das in Massen aus der Vorstellung strömte.

Manch einem allerdings gefiel die quälende Aura der Verzweiflung: Die TAZ beispielsweise bezeichnet Juventude em Marcha als „Arte Povera im besten Sinne, da der Film aus der Begrenztheit der Mittel eine überzeugende Strenge der Form gewinnt“ und folgert messerscharf: „Eine radikalere Position war in diesem Jahr in Cannes nicht auszumachen.“ Manch einer sieht das freilich (wie immer) anders. So vermerkt der Rezensent von der Stuttgarter Zeitung genervt, dass es rätselhaft sei, wie ein Film dieser Art es überhaupt in den Wettbewerb schaffen könne – und manchmal ist man dann doch ganz froh, dass keine Journalisten in den Auswahlgremien Sitz, Stimme und Gewicht haben. Vor allem gestört haben hier die entweder schweigsamen oder unendlich geschwätzigen Figuren und endlos lange Einstellungen, die dem Film vermutlich den zweifelhaften Titel des „most walked-out film of the festival“ einbringen werden. Der Tagesspiegel nennt Juventude em Marcha einen „portuguiesischen Hardcore-Fado“ und haut damit in eine ähnliche Kerbe.

Leicht bis seicht hingegen präsentiert sich der französische Wettbewerbsbeitrag Quand j’etais chanteur mit dem gallischen Urgestein Gérard Depardieu in der Hauptrolle als singendem, aber reichlich heruntergekommenen Entertainer, der per Zufall (oder Drehbuch) eine junge Frau (Cécile de France) kennen lernt, die sein alterndes Herz in Aufruhr versetzt. Die Frankfurter Rundschau bemängelt vor allem gänzlich unambitionierten Stil des Films, der gerade mal zum Prädikat eines „Fernsehfilms der Woche“ gereiche, und stellt immerhin fest, dass der Regisseur Xavier Giannoli knapp die Riffs der Schmonzette umschifft habe. Immerhin, so mag man hinzufügen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnet Quand j’etais chanteur sogar als „vergessenswerten Film“, was für ein Werk, das seinen Platz im Wettbewerb von Cannes zu sehen ist, und für die Programmmacher wohl einer Höchststrafe gleichkommt. Der Tagesspiegel hingegen findet, dass sich Quand j’etais chanteur wunderbar dazu eigne, sich nach den aufregenden Tagen an der Croisette ab- statt aufzuregen und stellt fest, dass Depardieu und Cécile de France „den Myriaden von Nichtliebesgeschichten in Cannes“ eine eigene Version hinzufügen würden und zwar „lebensklein, überlebensgroß“.

Noch zwei Filme fehlen, dann ist der Wettbewerb komplett, doch bereits jetzt raunen die Auguren, dass der Jahrgang 2006 ein schlechter gewesen sei für Filmfreunde; letzte Hoffnungen an einen Knaller sind vor allem an Guillermo de Torros El Laberinto del fauno geknüpft, der heute zu sehen ist. Im Rennen um die Goldene Palme stehen derzeit vor allem Volver und Babel hoch im Kurs, Andrea Arnolds Red Road werden Außenseiterchancen eingeräumt. Wir sind gespannt. Morgen Abend wissen wir mehr.

Juventude em marcha

Ziemlich abwechslungsreich, wenngleich auch nicht gerade berauschend präsentierte sich der gestrige Wettbewerbstag mit zwei Filmen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können.

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