Jeder hat einen Plan

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Ein anderes Leben

Sein Leben hinter sich lassen, alle früheren Bindungen kappen und ganz von vorne anfangen – von dieser reizvollen Vorstellung hat sicher jeder schon einmal geträumt. Und doch sind nur die Wenigsten bereit, wirklich alles aufzugeben und sich neu zu finden. Verwunderlich ist das nicht, immerhin ist der Mensch ein Gewohnheitstier. Gedankenspiele sind erlaubt, deren Umsetzung bleibt aber oftmals unerfüllt. Nicht so im Spielfilmdebüt der argentinischen Regisseurin und Drehbuchautorin Ana Piterbarg: Das atmosphärische, insgesamt aber etwas unentschlossen wirkende Thriller-Drama Jeder hat einen Plan handelt von einem unglücklichen Mann, der alles tut, um seinem festgefahrenen Leben den Rücken zu kehren.
Der Kinderarzt Agustín (Viggo Mortensen) lebt mit seiner Frau Claudia (Soledad Villamil) in einem schicken Appartement in Buenos Aires. Die beiden planen, ein Baby zu adoptieren, was vor allem Claudia in große Vorfreude versetzt. Hinter der Fassade der scheinbar perfekten Ehe kriselt es jedoch gewaltig. Agustín will eigentlich kein Kind, fühlt sich von seiner Frau eingeengt und hat auch die Lust an seinem Beruf verloren. Nicht selten schließt der depressive Mann sich tagelang in seinem Zimmer ein. Nach einem erneuten Ehestreit hat Claudia genug und nimmt Reißaus, um Abstand zu gewinnen. Agustín staunt nicht schlecht, als kurz darauf sein Zwillingsbruder Pedro (ebenfalls Viggo Mortensen) vor der Tür steht und ihm eröffnet, dass er sterbenskrank ist. Der desillusionierte Kinderarzt sieht plötzlich seine Chance gekommen, das ungeliebte Dasein in Buenos Aires hinter sich zu lassen. Er ertränkt seinen Bruder in der Badewanne, nimmt dessen Identität an und macht sich auf den Weg ins Tigre-Delta, wo Pedro als Imker lebte und die Geschwister ihre Kindheit verbrachten. Der Rollentausch und die Rückkehr zu seinen Wurzeln stellen Agustín jedoch schon bald vor ernsthafte Probleme. Denn Pedro besserte zusammen mit seinem zwielichtigen Jugendfreund Adrián (Daniel Fanego) sein Einkommen durch Entführungen auf, wobei der letzte Coup mit einem Mord endete.

Der faszinierend in Szene gesetzte Schauplatz der verwunschenen Tigre-Flusswelt scheint immer wieder auf den Film als Ganzes überzugreifen. Die Figuren und ihre Handlungen sind oftmals ebenso undurchsichtig wie die Umgebung, in der sie sich bewegen. Das gilt nicht zuletzt für Agustín, den Viggo Mortensen angenehm zurückhaltend verkörpert. Auch wenn der Zuschauer zu Beginn Einblick in sein Leben erhält, wird nie ganz klar, woher seine tief sitzende Unzufriedenheit kommt. Fühlt sich der Arzt im großstädtischen Buenos Aires verloren, weil er aus einer anderen, urtümlichen Welt stammt? Sucht er deshalb den Weg zurück zu seinen Wurzeln? Agustín scheint es selbst nicht genau zu wissen, immerhin bekennt er an einer Stelle des Films ganz offen, dass er keinen Plan verfolgt, was die affirmative Formulierung des Titels in ironischem Licht erscheinen lässt.

In ruhigen, farblich entsättigten Bildern zeigt Piterbarg das stetig voranschreitende Eintauchen Agustíns in Pedros Leben, das zunehmend bedrohliche Züge annimmt: Die Söhne des ermordeten Entführungsopfers wollen Rache. Und der kurzzeitig abgetauchte Adrián sucht seinen vermeintlichen Komplizen auf, um ihn für ein neues Verbrechen zu gewinnen. Problematisch ist zudem, dass Agustín starke Gefühle für Rosa (Sofía Gala), die Freundin seines Bruders, entwickelt, die früher auch mit Adrián zusammen war. Ein verhängnisvolles Beziehungsgeflecht, das von einer schwer greifbaren, aber konsequent unheilvollen Stimmung umgeben ist.

Trotz der atmosphärisch ansprechenden Gestaltung des Films will der Funke nie ganz auf den Zuschauer überspringen. Ein Grund hierfür dürfte die fast durchweg wenig sympathische Figurenzeichnung sein. Selbst Agustín wird bis auf seine zarte Annäherung an Rosa von ausschließlich unlauteren Motiven getrieben und ist letztlich nichts weiter als ein erschreckend rücksichtsloser Egoist. Darüber hinaus zeigt sich Piterbargs Spielfilmdebüt in erzählerischer Hinsicht zuweilen etwas unausgereift. Als spannender Thriller mit Krimielementen funktioniert Jeder hat einen Plan nur bedingt, da die Handlung insgesamt eher schleppend und selten zugespitzt vorangetrieben wird. Immer wieder fallen Figuren aus der Geschichte heraus, oder Andeutungen werden nicht konsequent weitergeführt, was dem Film einen Teil seiner Ausdruckskraft nimmt. Talent kann man der jungen Regisseurin und Drehbuchautorin sicherlich nicht absprechen. Das zeigen die originelle visuelle Gestaltung und das Gespür für einen stimmungsvollen Szenenaufbau. Bei ihrem nächsten Projekt ist ihr aber im Hinblick auf die dramaturgische Entwicklung des Stoffes ein etwas glücklicheres Händchen zu wünschen.

Jeder hat einen Plan

Sein Leben hinter sich lassen, alle früheren Bindungen kappen und ganz von vorne anfangen – von dieser reizvollen Vorstellung hat sicher jeder schon einmal geträumt. Und doch sind nur die Wenigsten bereit, wirklich alles aufzugeben und sich neu zu finden. Verwunderlich ist das nicht, immerhin ist der Mensch ein Gewohnheitstier. Gedankenspiele sind erlaubt, deren Umsetzung bleibt aber oftmals unerfüllt. Nicht so im Spielfilmdebüt der argentinischen Regisseurin und Drehbuchautorin Ana Piterbarg.
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Meinungen

@Dodo · 17.06.2012

Nein, noch nicht. Grüsse, Mike

Dodo · 17.06.2012

Steht denn schon ein Verleih für Deutschland bzw. ein Starttermin fest?