Je suis Charlie

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Satire unter Beschuss

Am Tag des Filmstarts von Je suis Charlie in Deutschland ist es genau ein Jahr her, dass die terroristische Attacke religiöser Fundamentalisten die Welt erschütterte. Am 7. Januar 2015 drangen zwei schwer bewaffnete Brüder algerischer Abstammung mit französischer Staatsbürgerschaft in die Redaktionsräume der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo im 11. Arrondissement ein, töteten dort elf Personen, darunter einen Großteil der Redaktion, und verletzten weitere Anwesende schwer. Die Bluttat versetzte Frankreich und die ganze Welt in einen Schockzustand, die Berichte über die Tat und die anschließende Flucht der Attentäter sowie den am folgenden Tag durchgeführten Überfall auf einen koscheren Supermarkt, der im Zusammenhang mit dem Mordanschlag stand, verdeutlichten, dass der Terror von IS und Al Quaida längst den Weg mitten ins Herz von Europa gefunden hatte. Eine Angst, die sich durch die verheerenden Anschläge in Paris vom 13. November 2015 bestätigt hat.
Unter dem Eindruck der Tat, die Frankreich bis ins Mark traf, sprach der Filmemacher Emmanuel Leconte seinen Vater Daniel an, seines Zeichens ebenfalls Regisseur, Produzent und Drehbuchautor, und meinte zu diesem, dass es dringend geboten sei, einen Film über das Magazin zu machen, woraufhin dieser seinen Sohn aufklärte, dass es diesen Film bereits gäbe. 2008 hatte Daniel Leconte den 110-minütigen Film C’est dur d’être aimé par des cons (auf deutsch ungefähr „Es ist schwer, von Arschlöchern geliebt zu werden“) realisiert – damals freilich noch ohne die geringste Ahnung zu haben, was Charlie Hebdo widerfahren sollte. Unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse beschlossen Vater und Sohn, das Material dieses ersten Porträts für einen weiteren Film zu benutzen, der sozusagen unter dem unmittelbaren Eindruck einen neuen Blick auf die Macher von Charlie Hebdo wirft.

Der damals durch die Medien (nicht nur die sozialen) geisternde Slogan „Je suis Charlie“, mit dem die Menschen in Frankreich und der Welt Stellung bezogen für die Meinungs- und Pressefreiheit, der nun zum deutschen Filmtitel geworden ist, gerät in diesem Fall zu einer Zuspitzung der Intention des filmischen Schnellschusses (seine Weltpremiere feierte der Film bereits vier Monate nach den Anschlägen beim Filmfestival in Cannes): Das Werk bietet quasi eine Innenansicht des durchaus nicht unumstrittenen Magazins, es solidarisiert sich und enthält sich demnach weitgehend einer kritischen Beleuchtung der Prinzipien von Charlie Hebdo, das gezielten Provokationen niemals aus dem Weg ging. Im Gegenteil: Die Vorwürfe, die nach der ersten Solidaritätswelle auftauchten, Charlie Hebdo habe das Unglück sozusagen selbst mit heraufbeschworen, indem es bewusst Grenzen überschritten habe, sind hier allenfalls Gegenstand wütender Entgegnungen.

Dabei muss man freilich auch das völlig andere Denken und Fühlen in Frankreich verstehen: Dort, wo die strikte Trennung von Staat und Kirche zu den großen traditionellen Errungenschaften der Französischen Revolution gehören, wo Karikaturen und beißend scharfe Satire einen viel größeren Stellenwert haben als hierzulande, ist das Selbstverständnis von freier Meinungsäußerung und den Grenzen bzw. Freiheiten von politischem Kommentar und Satire ein anderes. Wenn man so will, sind die Zumutungen des Journalismus und die Sticheleien von Karikaturisten weitaus größer als hierzulande. Und gerade hieraus entsteht bei Je suis Charlie ein Spannungsverhältnis zwischen den Bildern und Botschaften, das den Film über seine eigentlichen Intentionen hinaus zu einem spannenden und vielsagenden Werk werden lässt: Zwar haben wir alle protestiert, haben „Je suis Charlie“-Bilder auf unsere Facebook-Profile gepostet, haben gehashtagt, was das Zeug hält. Andererseits lassen wir es tagtäglich zu, dass die Medienlandschaft von so genannten „besorgten Bürgern“ als Lügenpresse verunglimpft wird – den selben „Demokraten“ übrigens, die sich bei ihren Montagsspaziergängen mit Charlie Hebdo solidarisierte, aber JEDE Form der kritischen Berichterstattung über sie selbst diskreditieren, verhindern und attackieren.

Je suis Charlie mag zwar an der einen oder anderen Stelle zu sehr aus dem Geiste einer unbedingten Solidarität geprägt sein, zugleich aber besticht der Film durch eine große emotionale Nähe und Dichte, die sich immer wieder in den Interviews mit den Überlebenden Bahn bricht: Wenn sie von den Ereignissen berichten und ihre Stimmen dabei brüchig werden, die Augen nach unten gehen und sich der Schmerz auf ihre Gesichter legt, wird in diesen Momenten das ganze Ausmaß der Katastrophe sichtbar, bei der quasi die ganze Welt Zeuge war und die wir doch bis heute nicht annähernd erfasst haben. Der Film von Daniel und Emmanuel Leconte ist sicherlich ein weiterer Schritt auf dem Weg, die Ereignisse zu verarbeiten und einzuordnen. Und er macht deutlich, dass wir uns niemals vor dem Terror und der Zensur beugen dürften – weder von der einen noch von der anderen Seite.

Je suis Charlie

Am Tag des Filmstarts von „Je suis Charlie“ in Deutschland ist es genau ein Jahr her, dass die terroristische Attacke religiöser Fundamentalisten die Welt erschütterte. Am 7. Januar 2015 drangen zwei schwer bewaffnete Brüder algerischer Abstammung mit französischer Staatsbürgerschaft in die Redaktionsräume der Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ im 11. Arrondissement ein, töteten dort elf Personen, darunter einen Großteil der Redaktion, und verletzten weitere Anwesende schwer.
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Meinungen

Jörg Wasik · 07.01.2016

Als Mensch, der seine politische Mündigkeit anlässlich seiner vielen privaten Frankreichbesuche entwickelt hat (angefangen mit meinen wiederholten Aufenthalten als schulischer Austauschpartner im Südwesten Frankreichs seit der siebenten Klasse am Gymnasium - zwischenzeitlich als begeisterter Bergsportler [stets unter Franzosen!] in den französischen Alpen seit den 80er Jahren - bis hin zu meinen häufigen Treffen mit einem mir befreundeten französischen Geschichtslehrer aus Limoges [anlässlich derer stets auch der "kleine Unterschied" im politischen Denken zwischen vielen Franzosen und manchen Deutschen offen und kameradschaftlich erörtert wird!]), als solch ein also insbesondere durch den Kontakt zu Frankreich "europäisierter" Deutscher kann ich Ihren Kommentar zum Film NUR UNTERSTREICHEN UND BEKRÄFTIGEN: Satire muss(!) erlaubt sein. Lasst uns diesen Film anschauen und öffentlich besprechen - unsere neuen Mitbewohner aus Afghanistan, Iran, Irak und von sonstwo, die sich seit dem letzten Sommer bei uns als Flüchtlinge und Migranten eingefunden haben, sollen sehen: Deutschland ist ein freies Land! J. Wasik