Jan und Jandl oder Aus dem wirklichen Leben

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Manchmal, besonders während einer existentiellen Krise, geschieht es, dass bestimmte Worte, die sich machtvoll ins Bewusstsein eines gepeinigten Wesens drängen, diesem derart Verständnis und Trost spenden, als seien sie genau dafür ersonnen worden. So ergeht es auch dem Helden in Stefan Zeilers Spielfilmdebüt Jan und Jandl oder Aus dem wirklichen Leben, einem verkrachten Dichter, der sich in egomanisch anmutender Manier an den Zeilen von my own song des österreichischen Wortsetzers Ernst Jandl (1925-2000) entlang hangelt.
Sein 40. Geburtstag steht unmittelbar bevor, und gerade wurden die Texte des kinderlosen Singles Jan Querbeet (Daniel Krauss), der sich mit einem Buch oder seinen Notizen auch schon mal am Rande von Spielplätzen oder sonstwo in der Natur niederlässt, von einem Verlag abgelehnt. Obwohl er nur allzu gern betont, dass seiner Dichternatur Erfolg und Applaus im Grunde geradezu zuwider seien, löst das vernichtende Urteil über sein Werk doch nagende Selbstzweifel aus, die auch der Standardtrost seiner Freundin Lydia (Gilia Uebelhör), er müsse nur unvermindert an sich glauben, kaum abmildert.

Neben Lydia sind es Claudia (Simone Leona Hueber), in die er früher einmal verliebt war, und Cordula (Elif Veyisoglu), die ebenfalls gern schreibt, mit denen Jan seine Befindlichkeiten bespricht. Auch die drei Frauen ringen – jede für sich und auf ihre Art – mit den Entfaltungen ihrer Wünsche und Persönlichkeiten, wobei es vor allem Cordula durch ihre Ablehnung zermürbender Selbstreflexionen gelingt, Jans Fokus auf die Akzeptanz, Verteidigung und Behauptung seiner Individualität zu lenken. Sie ist es auch, die ihm angelegentlich die Verse von Ernst Jandls my own song vorträgt: „ich will nicht sein so wie ihr mich wollt…“.

Als Jan im Rahmen einer kulturellen Veranstaltung zum ersten Mal die Gelegenheit bekommt, einem öffentlichen Publikum Kostproben seines literarischen Schaffens vorzutragen, verweigert er nach der ausführlichen Ankündigung des Moderators (Claus Sasse) trotzig seinen Auftritt. Damit scheint der so viel versprechende Abend, an dem auch seine drei Freundinnen zugegen sind, die sich überraschenderweise untereinander kennen, gelaufen, und Jan will sich nach dem peinlichen Eklat zurückziehen. Doch es gelingt den Frauen, ihn zu überreden, sich noch eine ganz besondere musikalische Darbietung anzuschauen…

Jan und Jandl oder Aus dem wirklichen Leben, der von Regisseur Stefan Zeiler als Protokoll einer lyrischen Verwirrung bezeichnet wird, folgt weniger einer linearen Erzählstruktur, sondern stellt vielmehr einen stark textuell geprägten Stimmungsbogen aus der Perspektive des dichtenden Protagonisten dar, dessen Notizen auch während ihres Entstehungsprozesses mit seiner Stimme unterlegt häufig auf der Leinwand erscheinen. Diese für einen Film ungewöhnliche Visualisierung des inneren Monologs eines Autors betont puristisch den einsamen Akt des Schreibens, der im Verlauf der Dramaturgie immer deutlicher in die unscharfe Sphäre zwischen der so genannten Realität und einem träumerisch-tröstlichen Wunschdenken gerät. So imaginiert der enttäuschte Dichter ein ebenso versöhnliches wie schmeichelhaftes Finale seiner zunächst gescheiterten ersten Lesung – oder ereignet sich dieses tatsächlich? Es ist diese Offenheit im Spannungsfeld von Fakten und Fiktion, die diesen formal streng konstruierten Film prägt, der möglicherweise die Botschaft transportiert, dass gerade auf künstlerischem Terrain das Erleben und Empfinden weitaus bedeutsamer ist als das, was gemeinhin als die Wirklichkeit definiert wird.

Das engagierte Debüt, das offensichtlich reichlich Herzblut des Regisseurs enthält, ist auch ein Film über die unerfüllten Sehnsüchte der kinderlosen Intellektuellen-Generation in der Lebensmitte, bei der die berühmt-berüchtigte Selbstverwirklichung mitunter geradezu als Pflichtprogramm erscheint, um irgendwie dem zu entkommen, was als gesicherte, gewöhnliche Existenz gilt. Während die Frauen durchaus ihrem Alter entsprechend gereift wirken, verkörpert Jan das Klischee des trotzigen, stets um sich selbst kreisenden und unverstandenen Dichters, dessen zementierte und mitunter infantil anmutende Glaubenssätze seiner eigenen Entwicklung im Wege stehen. Dass ihn am Ende genau das berührt, dem er sich zuvor verweigert hat, bewahrt den Film davor, selbst in den Verstrickungen seines Helden zu versinken, dessen intensive Befindlichkeiten seine gesamte Atmosphäre zwischen sanfter Heiterkeit, Melancholie und verzweifeltem Aufbegehren beherrschen. Diese Stimmungen werden von einer vielseitigen Filmmusik flankiert, die gelegentlich einen erfrischenden, leicht ironischen Kontrast zur Schwerlastigkeit der Hauptfigur sowie zu den schlichten, überwiegend harmonischen Bildern schafft.

Der Autor, Maler und Filmemacher Stefan Zeiler, der in München lebt, hat mit Jan und Jandl oder Aus dem wirklichen Leben sein erstes Spielfilmprojekt realisiert, das bisher zwar noch keinen Verleih gefunden hat, aber am 28. April um 18 Uhr im Rahmen des Bücherfestes Lesarten 2009 in Weimar unter dem Motto „Liebe!“ im Kino mon ami in Anwesenheit des Regisseurs seine Premiere feiern und noch an den beiden folgenden Tagen dort zu sehen sein wird. Keine leicht konsumierbare Kinokost stellt dieses ungewöhnliche wie gewagte Debüt dar, doch einen ansprechenden Film über Schreibräume und Autorenschaft mit all ihren Höhen und Tiefen im Dickicht des grenzenlosen Territoriums der Fiktion.

Jan und Jandl oder Aus dem wirklichen Leben

Manchmal, besonders während einer existentiellen Krise, geschieht es, dass bestimmte Worte, die sich machtvoll ins Bewusstsein eines gepeinigten Wesens drängen, diesem derart Verständnis und Trost spenden, als seien sie genau dafür ersonnen worden.
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Meinungen

M.A. · 28.05.2009

Der Film wird zusätzlich am 12. und 13. Juni 2009 um 20 Uhr im Babylon in Berlin sowie am 10. und 11. Juli 2009 um 18 Uhr im Camera Kino in Freising zu sehen sein.