Innen Leben

Eine Filmkritik von Falk Straub

Syrisches Kammerspiel

Millionen Syrer sind seit dem Beginn des Bürgerkriegs aus ihrer Heimat geflohen. Wie es denen ergeht, die geblieben sind, zeigt Regisseur und Drehbuchautor Philippe Van Leeuw in seinem beklemmenden Kammerspiel Innen Leben. Bei der Berlinale 2017 erhielt er dafür den Publikumspreis der Panorama-Sektion.
Abou Monzers (Mohsen Abbas) Blick ist müde. Zu viel haben seine Augen in den vergangenen sechs Jahren gesehen, zu wenig Veränderung war darunter. Auch an diesem Morgen bietet sich dem alten Mann ein altvertrautes Bild, als er mit einer Zigarette im Mund im Schutz der Vorhänge auf den Innenhof schaut. Eine Gruppe Menschen steht dicht gedrängt, tauscht sich, vielleicht auch Waren aus und zerstreut sich schlagartig in alle Himmelsrichtungen, als ein Schuss fällt. Alltag in Syrien.

Abou Monzer wohnt bei seinem Sohn und seiner Schwiegertochter Oum Yazan (Hiam Abbass), die den überfüllten Haushalt mit harter Hand zusammenhält. Ihre vier Wände sind die einzig noch bewohnbaren in dem ausgebombten Mietshaus. Zwei dicke Balken an der Tür sollen Plünderer, die dicken Vorhänge vor den Fenstern Heckenschützen fernhalten. Neben Oum Yazans drei Kindern Yara (Alissar Kaghadou), Aliya (Ninar Halabi) und Yazan (Mohammad Jihad Sleik) harren die Haushaltshilfe Delhani (Juliette Navis), Yaras Freund Karim (Elias Khatter) und ein junges Nachbarspaar mit einem Baby auf den wenigen Quadratmetern aus. Sie heißen Samir (Moustapha Al Kar) und Halima (Diamand Abou Abboud) und haben Hoffnung. Ein Bekannter Samirs bereitet ihre Flucht in den Libanon vor.

Mit Innen Leben gelingt dem gelernten Kameramann Philippe Van Leeuw ein intensives Seherlebnis. Die Geschlossenheit seines Dramas, die Konzentration auf die drei aristotelischen Einheiten Zeit, Raum und Handlung verleihen seinem Kammerspiel so viel mehr Intensität, als dies vielen anderen Kriegsfilmen trotz oder gerade wegen ihrer Schauwerte gelingt. Virginie Surdejs Kamera, die die engen Räume häufig ungeschnitten durchmisst, überträgt die Panik in den Gesichtern, die Klaustrophobie der Lebensumstände auf das Publikum. In diesem Krieg sind selbst die Blicke rationiert, ist es entscheidend, wer was zu welchem Zeitpunkt sieht. Gerade weil Van Leeuw nicht alles zeigt, was er zeigen könnte, die Gräuel oft nur über die Tonspur vermittelt, setzen sich diese umso stärker in den Köpfen der Zuschauer respektive Zuhörer fest.

Innen Leben ist erst Van Leeuws zweiter Spielfilm als Regisseur. Bereits sein Debüt, das der 1954 geborene Belgier 2009 mit Le Jour où Dieu est parti en voyage (internationaler Titel: The Day God Walked Away) gab, war eine Kriegsgeschichte, ein Drama über den Völkermord in Ruanda. Doch lag das Morden dort bereits eineinhalb Jahrzehnte zurück, erzählt sein jüngstes Drama von gegenwärtigen Ereignissen, die uns alle angehen. Eine Binse, freilich, aber auch eine, die man angesichts der immer gleichen Nachrichtenbilder allzu schnell beiseiteschiebt. Innen Leben ist auch ein Appell, das Leid der Syrer nicht zu vergessen, geschweige denn zu marginalisieren.

Nicht zuletzt ist Innen Leben ein Film über starke Frauen und abwesende Männer. Während die Männer außerhalb der Wohnung für das Morden verantwortlich zeichnen, können die Männer in der Wohnung, ein Alter, ein Kind und ein Jugendlicher, ihre Frauen nicht beschützen, als der vermeintlich geschützte Rückzugsort zum Gefängnis wird. Dann bleibt den Frauen nur, ihre Würde zu bewahren. Denn ihre Unschuld haben sie längst verloren. Juliette Navis, Hiam Abbass und allen voran Diamand Abbou Abboud spielen das ganz wunderbar.

Das Ende gleicht dem Anfang, weil in diesem Krieg die Tage längst ununterscheidbar geworden sind. 24 Stunden später sind die Figuren kein Stück weiter, nur ein Stück gebrochener als zuvor. In den Blick des alten Mannes mischt sich außer Resignation nun auch Trauer.

Innen Leben

Millionen Syrer sind seit dem Beginn des Bürgerkriegs aus ihrer Heimat geflohen. Wie es denen ergeht, die geblieben sind, zeigt Regisseur und Drehbuchautor Philippe Van Leeuw in seinem beklemmenden Kammerspiel „Innen Leben“. Bei der Berlinale 2017 erhielt er dafür den Publikumspreis der Panorama-Sektion.
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