In the Grayscale (2015)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Dem Kitsch davonradeln

Neben den unzähligen Geschichten, in denen ein Mann zwischen zwei Frauen oder eine Frau zwischen zwei Männern steht, ist ein Film, in welchem die Hauptfigur zwischen zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts steht, zwar immer noch ungewöhnlich; es handelt sich bei einer solchen Konstellation jedoch um keine dramaturgische Novität. So ist der Kernkonflikt, dem sich der Regiedebütant Claudio Marcone und der Drehbuchautor Rodrigo Antonio Norero in In the Grayscale widmen, in den letzten Jahren beispielsweise auch in Stephan Lacants Freier Fall sowie in Tomasz Wasilewskis Tiefe Wasser bearbeitet worden. Gleichwohl ist es dem Duo geglückt, dem Szenario neue, reizvolle Aspekte abzugewinnen.

Im Zentrum steht der freischaffende Architekt Bruno (Francisco Celhay), der sich kürzlich in die Werkstatt seines Großvaters (Sergio Hernández) zurückgezogen hat, da er Zeit zum Nachdenken braucht. Seine Ehefrau Soledad (Daniela Ramírez) und sein achtjähriger Sohn Daniel (Matías Torres) befürchten, dass er bald gänzlich ausziehen wird – doch Bruno wirkt noch unentschlossen. Als er mit einem kreativen Projekt betraut wird, soll ihm der junge Historiker Fer (Emilio Edwards) als Stadtführer dienen. Die beiden durchqueren auf ihren Fahrrädern Santiago de Chile – und kommen sich rasch näher. Aber während Fer offen schwul lebt, ist sich Bruno seiner Gefühle nicht sicher.

Die Handlung von In the Grayscale hat diverse Fallstricke. Wie in allen Erzählungen über Untreue besteht die Gefahr, dass der Protagonist unsympathisch und rücksichtslos erscheint. Marcone und Norero beweisen viel Mut, indem sie eine zwiespältige Sicht auf Bruno zulassen und dessen Verhalten nicht durch eine betont negative Darstellung seines Umfeldes zu relativieren versuchen, wie dies zum Beispiel in Tiefe Wasser der Fall ist. Brunos Ichbezogenheit zeigt sich etwa, wenn er von der antriebslosen Soledad in einer Szene fordert, zum Wohl des gemeinsamen Kindes weiterhin zu „funktionieren“ – während er selbst sich Abstand von der Familie ausbittet und sich somit seiner väterlichen Verantwortung teilweise entzieht. Der Darsteller Francisco Celhay versieht seine Rolle nicht nur im Hinblick auf deren sexuelle Orientierung mit einigen Schattierungen und interpretiert Bruno als innerlich zerrissenen Menschen. Seinem nuancierten Spiel ist es zu verdanken, dass unsere emotionale Bindung an Bruno letztlich gelingt. Mit der Zeichnung von Soledad als Person mit ganz eigener Tragik, die sich dem Publikum recht spät in einer von Celhay und Daniela Ramírez eindrücklich dargebotenen Dialogpassage offenbart, vermeidet es der Film, die „Dritte im Bunde“ lediglich zu einem Störfaktor der aufkeimenden neuen Liebe verkommen zu lassen und ihre Auftritte auf das Erheben von Vorwürfen zu beschränken. Auch in dem Gespräch zwischen Bruno und dessen Großvater, in welchem der Enkel seine Situation mitteilt, fällt keiner der zu erwartenden Klischee-Sentenzen.

Auf das absolute No-Go in Bezug auf das Erzählen und Inszenieren einer sexuell ambivalenten Dreiecksgeschichte wird erfreulicherweise ebenfalls verzichtet: Die queere Romanze zwischen Bruno und Fer wird nicht als pikantes Abenteuer gestaltet; Fer hat nichts von einem schwulen Verführer. Statt einer Ausbeutung des Themas setzt In the Grayscale auf Wahrhaftigkeit: Die Annäherung vollzieht sich durch gemeinsames Lachen, durch faszinierte Blicke und verschämt dahingesagte Sätze; die erotischen Szenen übertrumpfen in ihrer unverkrampften Sinnlichkeit sogar jene aus Tom Tykwers Drei. Mit Fer verfügt der Film zudem über eine großartige Love-Interest-Figur: Er hasse Happy Endings, erklärt er Bruno; über dessen „romantisches“ Zitat aus Cameron Crowes Jerry Maguire („You complete me!“) kann er nur spotten. Und als Bruno ihm gegen Ende sein Herz ausschütten will, radelt Fer ihm einfach davon, bis beide so sehr aus der Puste sind, dass sich für kitschiges Gerede gar keine Gelegenheit mehr bietet – eine Methode, die unter RomCom-Held_innen Schule machen sollte. In the Grayscale ist ein Werk, das Fer gefallen würde, da es sich nicht der Scheinheiligkeit einer harmonischen Auflösung hingibt: ein ehrlicher und zugleich wunderschöner Film!
 

In the Grayscale (2015)

Neben den unzähligen Geschichten, in denen ein Mann zwischen zwei Frauen oder eine Frau zwischen zwei Männern steht, ist ein Film, in welchem die Hauptfigur zwischen zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts steht, zwar immer noch ungewöhnlich; es handelt sich bei einer solchen Konstellation jedoch um keine dramaturgische Novität.

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