In the Darkroom

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Frau des Schakals

Die erste Annäherung, so erfahren wir gleich zu Beginn des Films, fand in einer Dunkelkammer statt. Dort, so erzählt die Frauenstimme, sei Carlos aufdringlich geworden, sie habe das als wenig angenehm empfunden. Zugegeben, wenn man das als Szene in einem Spielfilm sähe, würde man nicht unbedingt erahnen, dass die Fotografin aus bürgerlichen schwäbischen Verhältnissen und der Mann im Dunkeln später ein Paar werden würden – zudem ein berühmt bis berüchtigtes. Die Frau, die da spricht und sich an die erste nähere Begegnung erinnert, heißt Magdalena Kopp, der Mann, von dem sie erzählt, Ilich Ramírez Sanchéz, genannt „Carlos, der Schakal“, der als einer der führenden Köpfe des Linksterrorismus viele Jahre lang die Schlagzeilen beherrschte und auf dessen Konto zahlreiche Attentate gehen.
Magdalena Kopp ist in Nadav Schirmans Dokumentarfilm In the Darkroom gewissermaßen Hauptfigur, Stellvertreterin und Kronzeugin in Personalunion: Zwar dreht sich der Film um sie, aber auch um den Abwesenden, um den, auf den sich auch heute noch alle Aufmerksamkeit richtet. Selbst nach dem Ende des Films erscheint sie vor allem als die Frau an der Seite des Schakals, als Frau im Dunkeln. Man mag, nein man muss dies als eine Enttäuschung empfinden – doch es ist das Bild, das Magdalena Kopp von sich selbst zeichnet, das Bild, das sie von sich preisgibt. Unwillkürlich beginnt man sich zu fragen, wie viel von diesem Bild stimmt und wie viel vielleicht einer Strategie geschuldet ist, die dazu dient, die eigenen Taten und Verantwortlichkeiten zu relativieren.

Ihr Weg in die linke Szene Frankfurts war vor allem eine Flucht aus der spießbürgerlichen Behaglichkeit ihrer schwäbischen Heimat Neu-Ulm, mit Freund und Tochter zieht sie in eine WG, beginnt beim Verlag Roter Stern zu arbeiten und stößt zu den neu gegründeten „Revolutionären Zellen“ (RZ), einer linksterroristischen Vereinigung, die unter anderem am Überfall auf die OPEC-Konferenz 1975 und an der Entführung einer Air France-Maschine ein Jahr später von Tel Aviv nach Entebbe beteiligt war. Bei den „Revolutionären Zellen“ lernt sie Johannes Weinrich kennen und lieben, nach Streitigkeiten in der Organisation um die zukünftige Ausrichtung schließen Weinrich und sie sich Carlos an, der bereits beim Überfall auf die OPEC und der Flugzeugentführung federführend war. Seit 1979 sind „Carlos“ und Magdalena dann ein Paar, doch die Zweisamkeit ist nur von kurzer Dauer. 1982 wird sie bei den Vorbereitungen zu einem Anschlag auf eine anti-syrische Zeitschrift in Paris verhaftet, 1985 aber wieder entlassen. Sie kehrt zu ihrem Mann zurück, lebt dann mit ihm und der 1986 geborenen Tochter in Damaskus, um schließlich 1992 nach Venezuela zu gehen, wo sie drei Jahre lang bei Carlos‘ Familie untergebracht ist. Erst als ihr Mann 1994 im Sudan festgenommen und nach Frankreich ausgeliefert wird, sagt sie sich von ihm los und stellt sich als Zeugin zur Verfügung. Seit Ende 1995 lebt sie wieder in Neu-Ulm.

Es ist schon auffällig bei diesem Lebensweg Magdalena Kopps, wie sehr er dem Ideal einer emanzipierten Frau widerspricht, wie er von der 68er-Generation gerne gezeichnet wurde. Nach ideologischen Grund- und Glaubenssätzen sucht man bei dieser Frau vergebens. Viel eher erscheint sie als anfällig für Manipulationen – und Carlos, so deutet es sich zwischendrin immer wieder an, war und ist ein wahrer Meister darin, Menschen dazu zu bringen, dass sie ihm helfen. Magdalena Kopps „Marsch durch die Terrorinstitutionen“ wird vor allem von Männern bestimmt, sie selbst erscheint als Mitläuferin, als Unterstützerin aus Liebe, nicht aus Überzeugung. Weil sie aber zugleich Carlos mittlerweile kritisch gegenübersteht, ist es schwer zu fassen, warum Magdalena Kopp letzten Endes diesen Weg eingeschlagen hat. Und weil sie selbst in den Interviews eine recht persönliche, aber selten wirklich reflektierende Haltung zu ihrem Leben einnimmt und der Film an dieser Stelle auch niemals nachhakt, wird man am Ende beinahe ernüchtert und auch ein wenig enttäuscht wegen des Erkenntnisgewinns, den In the Darkroom bereit hält. Trotz allem Interesse, das man diesem Film entgegenbringt, tendiert dieser nämlich nahezu gegen Null. Ungleich spannender, weil drängender sind die Momente, in denen eine andere Frau ins Geschehen eingreift: Die gemeinsame Tochter von Magdalena Kopp und Ilich Ramírez Sanchéz ist es, die endlich all jene Fragen stellt und Emotionen zeigt, die man als Zuschauer lange Zeit schmerzlich vermisst

Vielleicht liegt es ja an den Kinobildern, die wir von Ilich Ramírez Sanchéz haben, an Olivier Assayas vielstündiger Terrorismus-Popoper Carlos oder an den beiden Verfilmungen des Buches Der Schakal von Frederick Forsythe über einen gedungenen Killer, der den französischen Präsidenten Charles de Gaulle ermorden soll und nach dem der echte „Carlos“ seinen Beinamen erhielt. Jedenfalls klafft das mediale Bild des „Top-Terroristen“ und das Bild, das sich nach den Erzählungen seiner Frau von ihm formt, erheblich auseinander. Überhaupt geht es bei In the Darkroom, wie es bereits schon der Titel andeutet, immer wieder um Zwischenräume, um Lücken, um Dinge, die im Dunkeln bleiben, um Unerklärliches, Unverständliches, Unbegreifliches. Die Enttäuschung, die am Ende übrig bleibt, ist eine doppelte – sie demontiert einerseits den Mythos „Carlos“ und einige andere Mythen der linksrevolutionären Geschichtsschreibung, zugleich aber enttäuscht die „Banalität des Bösen“. Und fast unwillkürlich fragt man sich, ob sich Ähnliches über eine andere Terroristin sagen lässt, deren Prozess vor dem Oberlandesgericht in München gerade die Welt in Atem hält.

In the Darkroom

Die erste Annäherung, so erfahren wir gleich zu Beginn des Films, fand in einer Dunkelkammer statt. Dort, so erzählt die Frauenstimme, sei Carlos aufdringlich geworden, sie habe das als wenig angenehm empfunden. Zugegeben, wenn man das als Szene in einem Spielfilm sähe, würde man nicht unbedingt erahnen, dass die Fotografin aus bürgerlichen schwäbischen Verhältnissen und der Mann im Dunkeln später ein Paar werden würden – zudem ein berühmt bis berüchtigtes.
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