Ich kenn keinen – Allein unter Heteros

Schwulsein auf dem Lande

Schwule Lebenswelten sind längst ein etablierter Bestandteil einer städtischen Kultur. Schwule Bürgermeister regieren große Hauptstädte wie Paris und Berlin, in Hamburg wird ein schwuler Theaterbesitzer zum Präsidenten eines Fußballclubs gewählt. Politiker, Moderatoren, Köche, Schauspieler genieren sich nicht mehr ihrer Homosexualität. Die Welt ist endlich in sexuell liberaler Ordnung: Vorbei das Verheimlichen des Liebsten, vorbei der polizeilich verfolgte Sex in Parks, vorbei das Getuschel der Nachbarschaft, vorbei die „Schwuchtel“ Schikane am Arbeitsplatz. Und allen voran die Mütter, die entzückt den schwulen Schwiegersohn im Kreise der Familie begrüßen. Wo gibt es da noch Probleme?

Auf dem Land gibt es sie. Zum Beispiel im deutschen Schwabenland. Da gibt es Schwule, die den Absprung in die Stadt nicht geschafft haben oder eigentlich nie weg wollten. Da tuscheln die Nachbarn, da wird die ‚schwule Sau‘ noch öffentlich benannt und da schämen sich die Mütter, wenn der Sohn kein nettes Mädel mit nach Hause bringt. Auf dem Land lebt der Schwule ‚Allein unter Heteros‘ und es gibt erstaunlich viele, die behaupten, noch nie im Leben einen Schwulen getroffen zu haben.
Normal heißt hier eben, Gott hat es so gewollt, dass sich Mann und Frau miteinander vereinigen. Das sagt der angesehene Gemeinderat, immerhin denke die Kirche ja auch wie er. Nein, man kenne eigentlich keine Schwulen im Ort.

Aber der Hartmut, den kennt man — vom Stammtisch. Ein honoriges Gemeindemitglied, der gern seine amourösen Beichten von angeblichen Affären mit Thaimädchen zum Besten gab. Groß war da die Überraschung, als ausgerechnet der sich als schwul outete. Uwe kümmert die Gemeinde hingegen wenig, er lebt mit seiner betagten Mutter in einem kleinen Schwarzwalddorf, gönnt sich Ausflüge ins ferne Berlin, ergründet dort seine Vorliebe für Militärklamotten und wundert sich, dass die Bars in Berlin nachts um zehn noch menschenleer sind.
Stefan, der junge Forstwirt aus Oberschwaben, braucht hingegen Berlin nicht, er lebe ja richtig zentral, Stuttgart und München sind je 150 km und Zürich gar nur 120 km entfernt.

Jochen Hick lässt sich von schwulen Männern unterschiedlichen Alters den Alltag auf dem Land zeigen, begleitet ihre erotischen Fluchten zwischen Dorf und großer Welt nach Thailand, Zürich und Berlin. Aber er überlässt den Schwulen nicht das alleinige Wort, sondern spürt amüsiert, hintergründig und neugierig dem heterosexuellen Urteil über schwule Lebenswelten nach, lässt Kirchenchor und Stammtisch, Mütter und Bekannte zu Wort kommen und dokumentiert das überwältigende Profil eines ebenso oft unwissenden wie bitterkomischen heterosexuellen Blicks auf schwule Männer in deutschen Landen. Ein Blick, der sicher nicht nur auf das Land und den deutschen Südwesten zu beschränken ist…

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