Ich bin die Andere

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Abgründe familiärer Identitäten

Es mutet zunächst an wie ein männlicher Tagtraum: Der junge, erfolgreiche Ingenieur Robert Fabry (August Diehl) trifft während einer Geschäftsreise in der Halle seines Hotels auf eine attraktive, aufregende und aufreizend gekleidete Frau (Katja Riemann). In Gentleman-Manier rettet er die Unbekannte davor, als mutmaßliche Prostituierte des Hauses verwiesen zu werden, und auf seinem Zimmer verbringen sie eine heiße Nacht miteinander. Selbst das Erwachen ist erfreulich, denn das für die Liebesdienste zuvor empfangene Honorar hat die Schöne auch noch zurückgelassen. Und es kommt noch besser: Bereits am selben Tag begegnet ihr Fabry in Person der seriösen und charmanten Anwältin Dr. Carolin Winter erneut, denn überraschenderweise ist sie es, die ihn juristisch betreuen soll. Doch Ich bin die Andere wäre kaum ein Film von Margarethe von Trotta nach der gleichnamigen Romanvorlage von Peter Märthesheimer, wenn damit der Traum nicht zumindest vorläufig beendet wäre.
In seltsamen familiären Strukturen aufgewachsen und noch immer nachhaltig darin verstrickt ist Carolin Winter eine Frau mit vielen unterschiedlichen Gesichtern, die sich in einer so genannten multiplen Persönlichkeit mit erheblichem Leidensdruck manifestieren: Ist sie einerseits die souveräne Anwältin, so wird sie bei geradezu konspirativen, inzestuös anmutenden telefonischen Kontakten mit ihrem übermächtigen Vater (Armin Mueller-Stahl) zu einem eingeschüchterten, kleinen Mädchen. Und manchmal ist sie auch die frivole Carlotta, die sich in Gestalt einer obszönen Hure exzessiv von Männern begehren lässt.

Bei ihrem Wiedersehen in der Anwaltskanzlei ignoriert Carolin alle Anspielungen Roberts auf die vergangene Nacht und flüchtet in Tränen aufgelöst nach einem gemeinsamen Abendessen, als Robert versucht, sich ihr erneut intim zu nähern. So verwirrt er auch ist, kann Robert doch seine Gedanken nicht von Carolin lösen. Zurückgekehrt nach Starnberg gesteht er seiner Lebensgefährtin Britta (Bernadette Heerwagen) die Begegnung mit Carolin und bittet sie, das Erlebnis auf sich beruhen zu lassen. Doch Britta fordert ihn auf, sich klar zu entscheiden und zu diesem Zweck Carolin wiederzusehen. So begibt sich Robert auf die Suche nach dieser mysteriösen Frau, in die er sich bereits rettungslos verliebt hat.

Schließlich findet Robert Carolin im Rheingau auf den Weinbergen ihres Vaters, eines angesehenen Winzers, der als herrischer Patriarch von seinem Rollstuhl aus das Leben seiner Familie dirigiert. Bei einem Abendessen im Hause der Winters lernt Robert Carolins Mutter (Karin Dor) sowie ihren Vater kennen und bekommt eine Ahnung von den bedrückenden und zerfahrenen Familienstrukturen, in denen auch die Hausdame Fräulein Schäfer (Barbara Auer) und der stumme Diener Bruno (Dieter Laser) keine geringe Rolle spielen. In der Nacht darauf sucht ihn Carolin erneut als verführerische Carlotta auf, kann sich aber später offensichtlich nicht mehr an dieses Erlebnis erinnern. Obwohl er spürt, dass mit seiner wechselhaften Geliebten etwas Schwerwiegendes nicht stimmt, entscheidet Robert sich dafür, Britta zu verlassen und Carolin zu heiraten, die sich gewaltig über seinen Antrag zu freuen scheint. Ihr Vater jedoch eröffnet dem Freier seiner Tochter drohend, dass diese immer nur ihn selbst lieben werde und er nicht gewillt sei, die einzige Person, die ihm noch nahe sei, aufzugeben. Als Carolin kurze Zeit darauf unvermittelt verschwindet, gelingt es Robert, sie in Casablanca aufzuspüren, wo die beiden sich fernab der familiären Reichweite ihres Vaters wieder bedeutend näher kommen. Doch dann geschieht auf einem Ausflug in die Wüste ein schreckliches Unglück …

Auf der Seite der Macher wie auf jener der Darsteller versammelt der Film Ich bin die Andere honorige Personen: Peter Märthesheimer, der 2004 verstarb, gestaltete nach seinem Roman, der posthum in diesem September erschienen ist, das Drehbuch gemeinsam mit Pea Fröhlich. Margarethe von Trotta, der nachgesagt wird, dieser Film sei ein wenig untypisch für ihre bisherigen Werke, führte Regie, und vor der Kamera agierten wohlbekannte deutsche Schauspielerinnen wie Katja Riemann, Karin Dor und Barbara Auer, sowie auch August Diehl neben einem geradezu unantastbar gigantischen Armin Mueller-Stahl. Gedreht wurde überwiegend an Originalschauplätzen in Deuschland und Marokko, und die Geschichte eines Frauenschicksals mit multipler Persönlichkeit, die gleichzeitig jene der Demaskierung einer verlogenen, bürgerlichen Schein-Idylle darstellt, wurde von Kameramann Axel Block mit einer ganz besonderen Farbdramaturgie ausgestattet, bei der vor allem das sehr differenziert gestaltete Rot künstlerisch zum Einsatz kommt.

Ich bin die Andere wurde auf dem diesjährigen Toronto International Film Festival vorgestellt und mit viel Beifall aufgenommen. Dennoch erscheint die Geschichte in ihrem Handlungsverlauf recht vorhersehbar und ihre Thematik sowie deren Repräsentation kommen in einigen Sequenzen ein wenig wie alte Bekannte daher. Doch wie gute alte Bekannte, die in einer Inszenierung zwischen ausführlicher Persönlichkeitsstudie und Thriller mit engagierten Akteuren durchaus sehenswert sein können.

Ich bin die Andere

Es mutet zunächst an wie ein männlicher Tagtraum: Der junge, erfolgreiche Ingenieur Robert Fabry (August Diehl) trifft während einer Geschäftsreise in der Halle seines Hotels auf eine attraktive, aufregende und aufreizend gekleidete Frau (Katja Riemann).
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Meinungen

Christel Walther · 09.01.2007

Schon, um Armin Mueller-Stahl wieder in Höchstform zu erleben, war das Ansehen wert.

Kinderaugen26 · 05.11.2006

Also ich finde den Film um Gegenzug zu meinen Vorrednern klasse. Bei der NRW Premiere in Essen brachte uns Margarethe und Karin Dor den Film nahe. Ja, er sorgte für einen spannenden Kinoabend. Danke Margarethe, das Sie sich an dieses Thema herangetraut haben und Danke Katja, Du bist wie immer der Hammer!!!

Thessa · 16.10.2006

Margarete von Trotta - wer zieht da nicht ehrwürdig den Hut? Aber nach ihrem jüngsten Filmwerk - "Ich bin die Andere" - weiß ich nicht mehr, was ich von ihr halten soll. Vielleicht so viel: Sie kommt langsam in den deutschen Filmtrott hinein. Nicht nur, dass sie im Filmtitel einmal mehr das Wörtchen "andere" (scheint jetzt in Mode zu sein) verwendet hat, nein, sie besetzt auch noch Katja Riemann hoffnungslos fehl. Sie überzeugt einfach nicht als Frau mit multipler Sklerrose, Verzeihung, Persönlichkeit. Aber selbst wenn sie es täte: Na und? Was will uns der Film denn sagen? Von Trottas Abgleisung in die für die Kinogesellschaft unwesentlichen Themen schreitet leider immer wieter voran. Noch auf ein Juwel zu warten, kann man wohl aufgeben.

dubbidu · 13.10.2006

Ich fand den Film nur enttäuschend. Wer das Leben von wirklich betroffenen Menschen mit multipler Persönlichkeit kennt, wird vermutlich fast ärgerlich über diesen Film. Wieder einmal werden Klischees bedient und ein völlig falsches verzerrtes Bild dieser Persönlichkeitsveränderungen gezeigt. Schade, hatte gehofft, dass zu diesem Thema mal was sensibles und treffendes gemacht wird. Dieser Film hier ist völlig daneben.
Wer dagegen nur irgend ne vorhersehbare Story sehen will und am besten alles was einem dort über "Multiple Persönlichkeiten" gesagt und gezeigt wird schnellstens vergisst, mag vielleicht nen netten Kinoabend haben.

G.Donovang · 07.10.2006

Ich bin richtig neugierig auf den Film. Nur leider kann ich nicht heraus bekommen wann er wo gezeigt wird. Ich wohne in der Nähe von 26789 Leer. Vieleicht können Sie mir schreiben wo, hier in der Nähe, der Film gezeigt wird. Ich bedanke mich und würde mich auf eine Antwort von Ihnen freuen. Gabriele Donovang

· 05.10.2006

bin sehr gespannt...