I Used to Be Darker

Eine Filmkritik von Jennifer Borrmann

Ein ganz normaler ungewöhnlicher Tag

Es gibt nicht die eine große Geschichte in I Used to Be Darker. Der Zuschauer erhält einen kurzen, offenbarenden Einblick in die durch emotionale und familiäre Bindungen verknüpfte Gruppe von Menschen, deren eigene und sehr persönliche Geschichten zusammengenommen diese Filmerzählung ausmachen. Musik nimmt dabei eine diegetische Rolle ein. Bereits der Titel setzt den Ton des gesamten Films: Die Textzeile „I Used to Be Darker“ stammt aus „Jim Cain“, einem Lied des Sängers und Songwriters Bill Callahan, das mit „then I got lighter, then I got dark again“ weitergeht. So banal es klingen mag, der Alltag, das Leben sind ein Auf und Ab, ein Hell und Dunkel, immer wieder, für jeden. Weil I Used to Be Darker diese auch sehr feinen Schwankungen mit filmischen Mitteln so ruhig, wertfrei und respektvoll distanziert aufnimmt und widerspiegelt, ist er der bisher beste Film von Regisseur Matt Porterfield.
Die 19-jährige Taryn (Deragh Campbell) wird ungewollt schwanger, packt ihre Sachen und entflieht ohne ein Wort ihrer Umgebung in Irland, um ihrer Tante Kim (Kim Taylor) in Baltimore einen Überraschungsbesuch abzustatten. Kim, ihr Noch-Ehemann Bill (Ned Oldham) und die gemeinsame Tochter Abby (Hannah Gross) befinden sich gerade mitten in der räumlichen Trennung des Scheidungsprozesses.

Während Taryn sich von ihren Problemen geographisch und emotional einfach entfernt, bleibt Abby dort, wo die Missstimmung herrscht und wendet all ihre Wut und aggressiven Ärger darüber gegen sich, wie gegen ihre direkte Umgebung. Bill war früher Musiker, heute zahlt er die Rechnungen, wirkt wie ein desillusionierter Künstler, der in einer Realität angekommen ist, in der sein kreatives Schaffen keinen Platz mehr hat. Nur noch passiv bereichert er sich musikalisch durch das Hören von experimentellem Jazz. Selbst als er einmal die Gitarre zur Hand nimmt, endet das nicht gut. Kim ist die einzige Aktive, die sich auch räumlich bewegt, alle anderen befinden sich noch in Verarbeitungsprozessen, verharren mehr in ihrer Umgebung.

Wie auch in Hamilton und Putty Hill schafft es vor allem die wunderbare Kameraarbeit von Jeremy Saulnier, den Zuschauer als teilnehmenden Beobachter in das Geschehen zu werfen, ohne ihn oder sie als Voyeur abzustempeln. Mit Bedacht bleibt die Kamera, die hier mehr denn je als Fenster in eine andere Welt fungiert, im Flur, während Taryn die Badezimmertüre schließt und den Schwangerschaftstest macht. Gleichzeitig darf der Zuschauer auch Dinge sehen, die die Charaktere nur machen, weil sie sich unbeobachtet fühlen. Sie sind nur Teil der mise en scène: nur kleine Stücke des Gesamtbildes und Teile ihrer Umwelt, aber desto näher und echter wirken sie auf den Zuschauer.

Häufig verharrt die Kamera statisch in beobachtender Stille und lässt die Protagonisten sich auch mal aus dem Bildausschnitt bewegen, so dass einige Szenen wie lebendige Photographien wirken. Gerade dadurch wirkt die Wut, die die vier Charaktere ab und an ausleben, viel stärker, weil alleine Mimik und Gestik als Ausdruckskraft dienen, nicht die Kamerabewegung. Auch die Dialoge – wenn sie überhaupt vorkommen – wirken, Porterfield-Film-typisch, irgendwie natürlicher und realistischer, als in vielen anderen Filmen. Dazu trägt auch die großartige Ausleuchtung bei: Wenn es dunkel ist, ist es eben dunkel. Es gibt keine hastigen dramaturgischen Schnitte, alles wirkt weich, gleitet dahin. Wenig wirkt hier inszeniert, weil diese Weichheit der Bilder nicht andauert, sondern immer wieder durch den Inhalt gestört wird, Risse tun sich auf.

Erzählerisch begleitet werden Bilder und Dialoge von der Musik, die ab und zu den Part des Dialogs übernimmt. Taryn fragt Kim irgendwann, ob es „scheiße ist, eine Mutter zu sein“ („Does it suck – being a mum?“). Später im Film reagiert diese mit ihrer Darbietung des Songs „American Child“ darauf, wenn sie auf das Großziehen „des amerikanischen Kindes“ in Unsicherheit und sogenannter Freiheit eingeht – aber, so der Tenor – wir werden’s schon irgendwie hinkriegen. Auch Kim Taylors „Days like this“, das sie am Ende singt, während bereits der Abspann läuft, hallt noch lange nach. Endlich mal wieder ein Film, bei dem man am Liebsten noch zwei Stunden sitzen bleiben würde, um die vielen Details, die Kleinteiligkeit der eigentlich einfachen Erzählung im Ganzen zu erfassen. Es bleibt eine wohlig deprimierende Stimmung, die gerade so den Grat zwischen Pessimismus und einem übertrieben positiven Blick in die Zukunft hält.

Die kreativen Darker-FilmemacherInnen sind ein kleines Kollektiv, das teilweise schon mehrfach miteinander kollaborierte: Autor und Regisseur Matt Porterfield und Autorin Amy Belk, die schon das nächste gemeinsame Projekt ansteuern: „Take these broken wings“. Außerdem Produzent Steve Holmgren (Putty Hill, The Ballad of Genesis and Lady Jaye), Kameramann Jeremy Saulnier (Hamilton, Putty Hill) und Marc Vives, der für den Schnitt verantwortlich zeichnet (Putty Hill, The Ballad of Genesis and Lady Jaye). In Deutschland wird der Film erst Anfang 2014 durch den Arsenal-Verleih in die Kinos kommen – aber das Warten lohnt sich. Bis dahin hat man genügend Zeit, sich Hamilton (2006) und Putty Hill (2010) nochmal anzusehen.

I Used to Be Darker

Es gibt nicht die eine große Geschichte in „I Used to Be Darker“. Der Zuschauer erhält einen kurzen, offenbarenden Einblick in die durch emotionale und familiäre Bindungen verknüpfte Gruppe von Menschen, deren eigene und sehr persönliche Geschichten zusammengenommen diese Filmerzählung ausmachen. Musik nimmt dabei eine diegetische Rolle ein.
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Meinungen

Jan · 12.07.2013

Mein Lieblingsfilm von der Berlinale 2013!