I Love You Phillip Morris

Eine Filmkritik von Florian Koch

Liebe überschreitet alle Grenzen

Selbst der Oscarerfolg von Brokeback Mountain kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Hollywood Beklemmung herrscht, wenn es um die Vermarktung von Filmen mit homosexuellen Inhalten geht. Jüngstes Beispiel dafür ist die Farce um die Veröffentlichung der starbesetzten Liebeskomödie I Love You Phillip Morris. Bereits zur Weltpremiere in Sundance vor einem Jahr wurden erste skeptische Stimmen laut. Kein größeres Studio wollte zugreifen. Zu gewagt wäre Jim Carreys satirisch überhöhte Sexszene mit einem fremden Mann, zu wenig massenkompatibel die innigen Küsse von Ewan McGregor und Carrey. Nach langem Hin und Her sicherte sich die völlig unbekannte Consolidated Pictures Group die Rechte und versprach der Co-produzierenden EuropaCorp unter Leitung des Kinoschwergewichts Luc Besson (Léon – der Profi) I Love You Phillip Morris am 12. Februar herauszubringen. Doch daraus wurde nichts. Wieder verschob sich der US-Kinostart vom März, April bis hin zum 30. Juli. Irgendwann reichte es Besson, die Rechte wanderten zurück an EuropaCorp und eine neue Verleihfirma soll den Film jetzt in ausgewählten Kinos platzieren. Es steht aber zu befürchten, dass er am Ende doch nur in den DVD-Regalen verstaubt – wie gut, dass in aufgeschlossenen Teilen Europas liberaler mit I Love You Phillip Morris umgegangen wird.
Steven Russell (Jim Carrey) gilt als Stütze einer kleinen Spießer-Gemeinde im beschaulichen Georgia. Als gewissenhafter Polizist ist er überall anerkannt und am Sonntag lässt er es sich auch nicht nehmen im Kirchenchor mitzusingen. Seiner Frau Debbie (Leslie Mann) gegenüber zeigt sich der Familienvater als verständnisvoller Ehemann, der jeden Abend vor dem zu Bett gehen noch ein Gebet spricht. Doch die „Idylle“ trügt. Steven träumt von einem anderen Leben und kann es nicht verwinden, dass er nie seine richtige Mutter kennen lernen durfte. Fieberhaft sucht Steven nach ihr, und als er sie endlich gefunden hat trifft ihn ihre Abweisung umso härter. Als er eines Nachts einen heftigen Autounfall erleidet hinterfragt Steven seine ganze bisherige Existenz. Ohne Rücksicht auf Verluste entschließt er sich dazu, seine ungelebten homosexuellen Empfindungen voll auszuleben. Er lässt Frau und Kind zurück und stürzt sich mittenrein in Miamis flamboyante Schwulenszene. Doch seine neu gefundene Freiheit kostet eine ganze Menge Geld. Nur mit allerlei geschickten Betrügereien kann er sich über Wasser halten. Bis die Polizei ihn doch erwischt, und Steven ins Gefängnis wandert. Aus anfänglicher Verzweiflung erwacht bei Steven plötzlich ein neuer Lebenssinn, als er hinter Gittern den sensiblen Mithäftling Phillip Morris (Ewan McGregor) kennen lernt. Fortan fasst er den Entschluss, sich nie wieder von seiner neuen großen Liebe zu trennen – mit allen Konsequenzen.

So erstaunlich es sich anhören mag, I Love You Philip Morris beruht auf einer wahren Geschichte. Der Journalist Steve McVicker hat das faszinierende Leben des mehrfachen Gefängnisausbrechers Steven Jay Russell in seinem Buch I Love You Phillip Morris: A True Story of Life, Love, and Prison Breaks aufgearbeitet. John Requa und Glenn Ficarra (Bad Santa) interessierten sich gleich für den Stoff, schrieben ein eigenes Drehbuch und wurden von Jim Carrey, der sich früh für das provokative Projekt einsetzte auch dazu ermutigt die Regie zu übernehmen. Deren Frische, Enthusiasmus, aber auch den ein oder anderen Stilbruch merkt man dem Film in jeder Minute an. Requa und Ficarra entschieden sich für einen satirischen Tonfall, der zwar bis zum Schluss konsequent durchgehalten wird und für mehr als nur einen richtigen Lacher sorgt, aber in den dramatischeren Gefängnissequenzen nicht immer funktioniert. Inhaltlich erinnert ihre Geschichte deutlich an Steven Spielbergs Catch Me If You Can und Steven Soderberghs Der Informant. Dennoch bewahren sich die jungen Regisseure einen eigenen Tonfall und überraschen immer wieder mit spektakulären Wendungen. Den Zuschauer lassen sie dabei häufig im Unklaren darüber, ob der Erzähler Steven Russell es ehrlich mit einem meint oder nicht doch eine neue Betrügerei ausheckt.

John Requa und Glenn Ficarra können sich in I Love You Phillip Morris auf zwei mutige Hauptdarsteller verlassen, die für ihre Rollenwahl – besonders im Fall von Jim Carrey – den bewussten Tabubruch in Kauf nahmen. Carrey, der sich in den letzten Jahren immer mehr von seinem Blödelimage lösen wollte, geht den steinigen Weg Richtung Ernsthaftigkeit, den er mit Die Truman Show und Vergiß mein nicht! erfolgreich einschlug, engagiert weiter. I Love You Phillip Morris ist wohl die extremste und anspruchsvollste Rolle, auf die sich der Starkomiker jemals eingelassen hat. Seine Exaltiertheit und seinen Hang für extreme gestische und mimische Übertreibungen wird Carrey wohl nie aufgeben. Aber diese Markenzeichen setzt er in I Love You Phillip Morris überaus gekonnt ein. Gerade in seinen vielen Scheinexistenzen, sei es als Wirtschaftsboss oder als Anwalt blüht Carreys Schauspieltalent auf. Aber auch die radikale Abkehr von der heterosexuellen Vergangenheit und die Lust am Spiel mit Schwulenklischees bekommt Carrey glaubwürdig hin. Carreys stimmiges Homosexuellenporträt trägt entschieden zum Gelingen bei. Denn den Regisseuren ging es bei ihrem Debüt im Gegensatz zur Buchvorlage in erster Linie nicht darum, Russels Betrügerwerdegang nachzuzeichnen. Für sie sollte die Liebesgeschichte, also die unbedingte Hingabe von Russell zu Morris, im Zentrum stehen. Glücklicherweise lässt sich Ewan McGregor in den essentiellen Anbandelungsszenen von Carrey nicht an die Wand spielen.

Der Schotte war in den letzten Jahren in sehr vielen Rollen zu sehen. Manchmal werkelte er an vier Projekten gleichzeitig. Diese Arbeitswut führte aber nicht unbedingt zu einprägenden Charakterporträts. Ganz anders in I Love You Phillip Morris. Mit Strähnchen in den Haaren, einem seligen Dauerlächeln und einer wachsweichen Stimme zeichnet McGregor seinen Morris beeindruckend präzise als völlig hilflose, fast lebensunfähige, aber auch liebenswerte Figur. Eine Tanzszene in einer Gefängniszelle gehört dann auch zu den amüsantesten und berührendsten Momenten zwischen McGregor und Carrey in I Love You Phillip Morris.

Bei all der irrwitzigen Situationskomik und den skurrilen Pärchensequenzen vergessen die Regisseure aber auch nicht, die Abgründe ihrer Figuren zu zeigen. Nur gehen diese Momente des Innehaltens, des Hinterfragens der Charaktere in der rasanten Erzählweise fast verloren. Denn ihre stilisierte Inszenierung, samt einer dynamischen Kameraarbeit, rasanten Schnitten und einer grellen Bildsprache duldet letztendlich keine Momente der Ruhe. Am Ende bleibt I Love You Phillip Morris ein gewagtes Filmexperiment, das sich weder um gängige Moralvorstellungen noch um eine stromlinienförmige Dramaturgie schert. Trotz einiger Sprünge in der Handlung und unnötiger inszenatorischer Mätzchen gewinnt die Beziehungsfarce dank der erstklassigen Chemie der beiden spielfreudigen Hauptdarsteller eine erfrischend abseitige Note, die aus dem Liebesfilm-Genre erfreulich heraus sticht.

I Love You Phillip Morris

Selbst der Oscarerfolg von „Brokeback Mountain“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Hollywood Beklemmung herrscht, wenn es um die Vermarktung von Filmen mit homosexuellen Inhalten geht. Jüngstes Beispiel dafür ist die Farce um die Veröffentlichung der starbesetzten Liebeskomödie „I Love You Phillip Morris“.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen